Die Kellertür wurde von außen aufgeschlossen und eine Kerze hineingebracht. Ein kleiner, untersetzter Mann in der Livree eines Dieners trat zu dem Gefangenen und ließ das Licht der Kerze auf sein geschundenes Gesicht fallen. Sir Clarence Marmion zeigte keinerlei Regung, als er den gefolterten Leib betrachtete.
»Hat er nichts mehr gesagt?«
»Nichts außer Schmerzensschreien, Sir Clarence.«
»Habt Ihr ihn Euch bis zum Letzten vorgenommen?«
»Mit Stahl und Feuer. Er hat sich halb zu Tode geblutet.«
»Würde eine Tracht Peitschenhiebe ihm nicht die Zunge lösen?«
»Aber nur, um um Gnade zu winseln.«
»Wer keine gewährt, hat auch keine verdient«, sagte der andere kalt. »Walsinghams Leute sind skrupellos. Wir müssen genauso sein.«
Der Diener packte das Haar des Gefangenen und schlug ihm den Kopf auf den Tisch. Dann spähte er ihm direkt ins Gesicht.
»Etwas lauter, Sir! Wir können nichts hören!«
Ein langer Seufzer quälte sich durch die aufgeplatzten Lippen.
»Wer war es?« zischte Sir Clarence. »Ich will den Namen des Spions, der Rickwood verraten hat.«
Der Gefangene wand sich in Todesqualen, sagte jedoch nichts.
»Redet schon!« herrschte ihn der Hausherr an. »Welche von Walsinghams Kreaturen hat ihn in den Tod geschickt?«
»Ich kann die Information nicht aus ihm heraushacken.«
»Seinen Namen!«
Sir Clarence verlor die Kontrolle über sich und schlug den Mann mit mächtigen Hieben ins Gesicht, bis das Blut über seinen ganzen Handschuh spritzte. Dann zog er die Hand zurück und trat zur Tür. Er hatte seine Beherrschung wiedergewonnen.
»Was jetzt, Sir Clarence?« fragte der Diener.
»Tötet ihn.«
*
Obwohl das Haus in Shoreditch jetzt halb leer war und weniger hungrige Münder am Tisch zu füttern waren, hatte Margery Firethorn immer noch eine Menge häuslicher Aufgaben zu erledigen, die sie in Bewegung hielten. Eine davon bestand im regelmäßigen Besuch auf dem Markt, um Lebensmittel zu kaufen und sich mit den Händlern zu streiten, die sie übervorteilen wollten. Die Diener waren unfähig, die besten Stücke zu den niedrigsten Preisen zu ergattern, deshalb hatte sie sich diese Aufgabe persönlich vorbehalten. Das bewirkte, daß sie das Haus auch mal verließ und nicht in Grübelei verfiel.
Sie betrat die Stadt bei Bishopsgate und geriet in einen kleinen Tumult. Bewaffnete Soldaten rannten umher, stießen die Leute zur Seite und gingen rauh mit jedem um, der sich beschwerte. Margery ließ ein paar bissige Bemerkungen fallen und schlenderte zum Markt in der Gracechurchstreet. Schon bald befand sie sich in einem heftigen Streitgespräch mit einem glücklosen Händler über die Qualität seiner Früchte. Als sie ihn auf den Preis heruntergehandelt hatte, den sie zu zahlen bereit war, begab sie sich kampfeslustig zum nächsten Stand und begann ihr Spiel aufs neue.
Nach einiger Zeit befand sie sich dicht am Queen's Head, was zu wehmütigen Gedanken an Westfield's Men führte. Sehr unterschiedliche Gefühle erfüllten sie. Obwohl sie noch immer zornig auf ihren Mann war, vermißte sie ihn doch sehr. Auch wenn sie ihn lautstark zur Rede gestellt hätte, würde sie die Strafpredigt doch mit ein paar Küssen gemildert haben. Margery Firethorn konnte ihrem Ehemann nicht die ganze Schuld geben. Als sie ihn heiratete, heiratete sie auch das Theater, und das brachte eben ein paar Widrigkeiten mit sich.
Dafür erhielt sie jetzt einen weiteren Beweis. Auf einem Hocker vor dem Gasthaus saß ein dünner, asketisch wirkender Mann mit einer Viola zwischen den Beinen, der seinem Instrument klägliche Töne entlockte, in der Hoffnung, damit ein paar Münzen von den Passanten zu ergattern. Es war Peter Digby. Noch vor zehn Tagen war er der stolze Leiter einer Gruppe von Musikanten gewesen, die für Westfield's Men spielten. Jetzt stand er auf der Straße und hoffte auf ein paar dürftige Pennies. Wirklich, das Theater war ein grausamer Arbeitgeber.
»Master Digby! Welche Überraschung!« sagte sie.
»Mistress!«
»Habt Ihr keine andere Arbeit als das hier, Sir?«
»Keine, für die ich Geld bekäme.«
Sie nahm eine Münze aus ihrer Tasche und drückte sie ihm in die Hand. Er dankte ihr für diese Freundlichkeit und erkundigte sich nach der Theatergruppe. Sie wußte nichts Neues, das sie ihm hätte sagen können, sondern redete nur ganz allgemein. Entferntes Geschrei ließ sie beide in Richtung Bishopsgate schauen. Dort liefen noch mehr Soldaten herum.
»Was hat der Tumult zu bedeuten?« fragte sie.
»Habt Ihr es denn nicht gehört?«
»Nein, Master Digby.«
»Einer von den Schädeln ist von den Piken verschwunden.«
»Das ist aber wirklich eine scheußliche Sache!«
»Während der Nacht heruntergeholt«, sagte er. »Und das war kein einfacher Scherz. Wenn der Übeltäter gefaßt wird, muß er mit dem Strang rechnen. Sie suchen sehr nach ihm.«
»Wessen Kopf ist denn heruntergeholt worden?« fragte sie.
»Der eines Verräters, der erst vor kurzem hingerichtet wurde.«
»Wie hieß er denn?«
»Anthony Rickwood.«
5. KAPITEL
Die großen Erwartungen, mit denen Westfield's Men weiterzogen, wurden schon bald durch die äußeren Umstände gedämpft. Starke Regenfälle während der Nacht hatten eine Straße, die sich sowieso schon in schlechtem Zustand befand, in ein Schlammbad verwandelt.
Die anliegenden Gemeinden waren für die Instandhaltung aller Straßen innerhalb ihres Bezirkes verantwortlich, doch im Falle einer großen Überlandstraße wie der Great North Road war dies für die Gemeinden eine unerträgliche Belastung. Sie hatten überhaupt nicht die Möglichkeit, die Geldmittel für den Unterhalt einer derartigen Verkehrsader auch nur im entferntesten aufzubringen, und Westfield's Men litten unter diesem Umstand.
»Benutzt die Peitsche, Mann!«
»Das hilft auch nicht weiter!«
»Wir stecken fest, Master Firethorn!«
»Ich hole Euch hier raus, und wenn ich den Karren mit meinen eigenen Händen herausziehen muß, das schwöre ich Euch!«
Doch Firethorn mußte klein beigeben. Obwohl er eines der Karrenpferde beim Geschirr packte und mit aller Kraft daran zog, bewegte sich keines der Tiere auch nur einen Schritt vorwärts. Ein Vorderrad des Fuhrwerks war bis zur Radnabe eingesunken, der ganze Karren kippte zur Seite.
»Das ist Eure Schuld, Master Bracewell.«
»Ich konnte nicht um das Loch herumfahren, Sir.«
»Das Fuhrwerk ist zu schwer, weil Ihr die gesamte Belegschaft an Bord habt. Das Gewicht ist Euer Untergang.«
»Ich konnte nicht von ihnen verlangen, in diesem Schlamm zu waten, Master Gill. Das würde ihre Schuhe ruinieren und ihre Sachen verdrecken.«
»Das wäre immer noch besser als dieses Malheur.«
»Unternehmt etwas, Nick!« kommandierte Firethorn.
»Ja, Sir.«
»Und zwar auf der Stelle.«
Nicholas sprang vom Kutschbock und winkte allen, vom Karren herunterzusteigen. Dann wurde er mühselig entladen. Mit der Axt hackte er einen kräftigen Holzstamm zurecht und schob ihn unter die Seite des Wagens, an der das Rad eingebrochen war. Mit Hilfe dreier Männer benutzte er diesen Hebel, um den Karren aufzurichten. Es gab ein lautes, schmatzendes Geräusch, als das Rad aus dem Schlamm auftauchte. Jetzt wurden die Pferde angetrieben, und das Fuhrwerk kam frei. Während es wieder beladen wurde, rief Lawrence Firethorn nach dem Gesetz.
»Diese Gemeinde müßte komplett verhaftet werden!«
»Die können doch nicht jedes Loch in der Straße reparieren«, sagte Hoode besänftigend. »Wir müssen eben vorsichtiger sein.«
»Ich zerre sie vor ein Kriminal- und ein Geschworenengericht.«