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Doch da gab es ein unvorhergesehenes Problem. Seit mehr als zwei Stunden war sie mit dem Dekan hinter verschlossenen Türen, und als sie herauskam, geschah das nicht im Geiste der Zerknirschung. Sie machte immer noch den Eindruck unverrückbarer Zuversicht und trug immer noch jenes engelhafte Lächeln auf dem Gesicht. Es ist nicht genau bekannt, in welchem Zustand des Zusammenbruchs sie den gelehrten Mann zurückließ, der versucht hatte, ihr das Sendungsbewußtsein auszutreiben. Ihre Gewißheit war jedenfalls von diamantener Härte.

Humphrey Budden stand draußen und wartete auf sie.

»Nun?«

»Meine Prüfung ist beendet«, sagte sie.

»Was habt ihr besprochen?«

»Hauptsächlich die Bibel.«

»Hat der Dekan dich über deine Pflichten aufgeklärt?«

»Das hat Gott bereits getan, Sir.«

»Er hat also keinen Erfolg gehabt?« fragte Budden ungläubig.

»Er hat meine Entscheidung akzeptiert.«

»Wahnsinn, nichts als Wahnsinn!«

»Findest du, daß deine Frau verrückt ist, Humphrey?«

»In diesem geistigen Zustand allerdings.«

»Dann mußt du mich wirklich verabscheuen.«

Sie standen zwischen den Grabsteinen auf dem Kirchhof. Der Himmel war finster, dicke Wolken zogen auf, der Wind kündigte Regen an. Normalerweise kleidete Eleanor Budden sich nach bürgerlicher Mode mit einem Mieder und einem langen Rock in gedeckten Farben, mit einer Kappe, die ihr geflochtenes Haar versteckte, und mit einem Spitzenkragen von ausgesuchter Qualität, was für ihren Mann ein Symbol seines beruflichen Stolzes war. Er wünschte, daß sie einerseits Zurückhaltung zeigte, andererseits aber auch seinen Beruf, sein Glück und seine Männlichkeit hervorhob. Derartige modische Nichtigkeiten hatte sie inzwischen abgelegt. Jetzt trug sie nur noch ein einfaches graues Hemd und eine Morgenhaube. Ihr langes Haar hing lose über ihren Rücken.

Merkwürdigerweise begehrte er sie mehr denn je zuvor. Trotz dieses Aufzugs, trotz des Ortes und trotz des unsicheren Wetters merkte er, daß sein Begehren anschwoll und seine berechtigten Ansprüche sich verhärteten. Verrückt oder irregeleitet, sie war ganz einfach schön. Unbeeindruckt durch den Pfarrer und unzugänglich selbst für den Dekan, sie war immer noch die Ehefrau von Humphrey Budden und mußte zu Verstand gebracht werden.

»Du wirst ab sofort nicht mehr keusch bleiben!« verlangte er.

»Wieso das, Sir?«

»Du gehst jetzt auf der Stelle mit mir nach Hause!«

»Mir gefällt dein Ton nicht.«

»Wenn du den schon früher gehört hättest und eine starke Hand gespürt, die das verstärkt hätte, dann befänden wir uns jetzt nicht in dieser schwierigen Lage.«

»Willst du mir drohen, Sir?«

Sie war kühl und ohne Furcht, was ihn einen Moment innehalten ließ, doch ihre großen blauen Augen und ihre samtene Haut ließen seine Entschlossenheit zurückkehren. Er packte ihren Arm.

»Laßt mich los, Sir. Ihr tut mir weh.«

»Komm sofort nach Hause, damit wir das Problem im Schlafzimmer lösen können. Das soll nicht zu deinem Schaden sein.«

»Laßt mich zufrieden, Humphrey. Vereinigung im Fleische ist sündhaft.«

»Aber nicht in der Ehe.«

»Wir sind nicht mehr Mann und Frau.«

Er packte auch ihren anderen Arm und rang mit ihr, als sie versuchte, sich freizukämpfen. Der Druck ihres Körpers gegen den seinen trieb ihn weit über die Grenzen der Vernunft hinaus.

»Unterwirf dich meinen Umarmungen!«

»Das werde ich nicht, Sir.«

»Das ist mein angestammtes Recht.«

»Jetzt nicht mehr.«

Ihr Widerstand verstärkte seine Wut noch mehr.

»Ich schwöre, wenn du mir nicht gehorchst, nehme ich dich hier auf der Stelle, zwischen den Toten von Nottingham.«

»Das werdet Ihr nicht wagen.«

»Nicht wagen?« heulte er.

»Gott wird Euch davon abhalten.«

Bis zum Äußersten erregt, packte er mit groben Händen ihr Hemd, riß daran und legte eine wohlgerundete Schulter und einen Teil ihrer Brust frei. Doch in das Geräusch des zerreißenden Stoffes mischte sich noch ein anderes. Die Kirchentür öffnete sich, Miles Melhuish kam im Zustand höchster Verblüffung aus der Kirche. Es war ihm unbegreiflich, wie Eleanor Budden es geschafft haben konnte, dem Dekan zu widerstehen. Als er jedoch die Szene vor sich sah, verstand er nur allzu gut und erzitterte wegen der Sündhaftigkeit.

»Das hier, auf geheiligtem Boden!« donnerte er.

»Ich wurde dazu getrieben, Sir«, meinte der Spitzenmacher.

»Gewalt gegen das schwache Geschlecht anzuwenden!«

»Ihr habt mir eine strenge Haltung angeraten.«

»Aber nicht von dieser ekelhaften Art.«

»Vergebt ihm, Sir«, sagte Eleanor. »Er weiß nicht, was er tut. Ich hatte nichts anderes erwartet. Gott hat mich gewarnt, daß viel Leid über mich kommen werde. Und doch hat Er mich gerettet, wie Ihr ja gesehen habt. Er hat Euch aus der Kirche zu meiner Rettung hierher geschickt.«

Eleanor fiel betend auf die Knie, und Melhuish nahm den geschlagenen und geknickten Ehemann beiseite, um ihn inmitten der Grabsteine zurechtzuweisen. Als Eleanor fertig war, half ihr der Priester auf die Füße und schubste ihren Ehemann mit einem scharfen Blick auf sie zu.

»Vergib mir meine Gemeinheit, Eleanor.«

»Du hast dich nur wie ein Mann verhalten.«

»Ich habe mich schwer gegen dich versündigt.«

»Dann mußt du die Sünde von dir abwaschen. Rufe zu Gott, damit er dir ein reines Herz gibt und alles Böse von dir nimmt.«

Humphrey Budden war verzweifelt. Von seiner Frau verlassen, von der Kirche gemaßregelt - sein Fall war jenseits aller Hoffnung. Anstatt eine pflichtbewußte Ehefrau mit nach Hause zu bringen, hatte er sie für immer verloren, und zwar an eine Stimme, die er selber noch kein einziges Mal vernommen hatte.

»Darf ich erfahren, was du vorhast, Frau?«

»Ich folge dem Pfad der Rechtschaffenheit.«

»Sie muß dem Befehl des Dekans folgen«, sagte Melhuish.

»Ich gehe nach Jerusalem«, sagte sie.

»Nach York«, korrigierte der Vikar. »Nur der heilige Erzbischof kann in dieser Sache ein Urteil sprechen. Ihr müßt ihm einen Brief des Dekans überbringen und um eine Audienz bitten.«

»York!« Budden war beunruhigt. »Darf ich mitkommen?«

»Ich reise allein«, sagte sie bestimmt.

»Wie willst du dir Unterkunft und Verpflegung beschaffen?«

»Gott wird dafür sorgen.«

»Die Straßen sind nicht mal für einen Mann sicher, noch viel weniger für eine Frau wie dich. Du bist in Lebensgefahr!«

»Mir wird nichts geschehen.«

»Es ist gefährlich, für dich und jeden anderen Reisenden.«

»Ich habe den Schutz des Herrn auf meiner Reise.«

Es begann zu regnen.

*

Oliver Quilley fluchte auf den Regen und setzte sein Pferd in Trab. Nicht weit vor ihm war eine Baumgruppe, die Schutz versprach für ihn und seinen jungen Begleiter. Quilley war eine kleine, schmächtige Gestalt von etwa dreißig Jahren und von einer gewissen ansprechenden Zerbrechlichkeit. In seiner Kleidung eines Höflings wirkte er unpassend und bombastisch neben dem stämmigen Mann, den er sich in Leicester als Leibwächter und Begleiter ausgesucht hatte. Die Bäume bewegten sich und schwankten im Regen, doch ihr dichtes Blätterdach versprach Schutz vor dem schlimmsten Sturm. Während Quilley voranritt, preßte er eine Hand auf sein Herz, als wolle er es festhalten.

»Haltet nach rechts«, rief er.

»Ja, Master.«

»Dort finden wir Schutz vor dem Sturm.«

»Ja, Master.«

Der junge Mann trug wenig zur Unterhaltung bei, war jedoch wegen seines stämmigen Körperbaus eine beruhigende Begleitung. Quilley vergab ihm seine Unbeholfenheit und trieb ihn auf die Baumgruppe zu. Sie waren durchnäßt, als sie dort eintrafen, und so erleichtert, daß sie dem schlechten Wetter entwischt waren, daß sie in ihrer Vorsicht nachließen. Das war ihr Verhängnis.