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»Warum wurden die anderen denn nicht vor Gericht gestellt?«

»Weil sie bisher noch nicht gefaßt werden konnten.«

»Wird das denn noch passieren?«

»Sir Francis Walsingham wird sich schon darum kümmern.«

»Und wie?«

»Seine Leute werden das ganze Königreich durchkämmen.«

Bevor George noch eine weitere Frage formulieren konnte, erhob sich ein Schrei ganz in der Nähe. Nicholas raste los, das Schwert in der Hand. Richard Honeydew hatte voller Angst hinter einem Busch aufgeschrien, hinter den er sich zurückgezogen hatte, um sein Geschäft zu verrichten. Nicholas war in Sekundenschnelle bei ihm und sah, wie er mit vor Entsetzen weit aufgerissenem Mund da hockte und auf etwas zeigte, das vom höchsten Punkt des Hügels auf sie zukam.

Es war ein so verblüffender und exotischer Anblick, wie sie ihn nie zuvor auf ihren Reisen erlebt hatten. Eine Gruppe von zwanzig oder mehr Leuten war aufgetaucht, in bizarrsten Kostümen, die aus bestickten Turbanen und grellbunten Schals bestanden und über Lumpen und Fetzen getragen wurden. Ihre dunkelhäutigen Gesichter waren rot und gelb bemalt, an ihren Füßen klingelten Glöckchen, während sie auf ihren Pferden dahinritten. Sie waren gleichzeitig furchterregend und faszinierend. Richard Honeydew war wie benommen.

Nicholas lachte und klopfte ihm auf den Rücken.

»Die tun dir nichts, Junge.«

»Wer sind die, Master?«

»Ägypter.«

»Wer?«

»Günstlinge des Mondes.«

»Sind sie echt?«

»So echt wie du und ich.«

»Warum sehen sie so merkwürdig aus?«

»Es sind Zigeuner.«

*

Anne Hendrik war über Watling Street gereist, um ihre Kusinen in Dunstable zu besuchen. Schon bald zog sie weiter nach Bedford, wo sie bei einem Onkel blieb, und freute sich, als er sie einlud, ihn auf einen Besuch bei seinem Bruder in Nottingham zu begleiten. Obwohl diese Stadt nicht auf dem Reiseplan von Westfield's Men gestanden hatte, brachte der Besuch sie der Gruppe näher, ein tröstlicher Gedanke für sie. Erst jetzt, da sie von ihm getrennt war, merkte sie, welch wichtige Rolle er in ihrem Leben spielte. Sie lebten nun schon fast drei Jahre im selben Haus, und inzwischen hatte sie seine ungewöhnlichen Fähigkeiten schätzen gelernt.

Jetzt vermißte sie seinen sanften West-Country-Akzent, seinen Sinn für Humor und seine unendliche Rücksichtnahme. Viele Männer hätten brutale Züge angenommen, wenn sie das erlebt hätten, was er durchmachen mußte, doch Nicholas blieb sich selbst treu und aufmerksam für die Nöte anderer. Er hatte seine Fehler, doch selbst die brachten jetzt bei ihr ein nostalgisches Lächeln hervor. Während Anne an den Marktständen von Nottingham vorbeischlenderte, während ihre Hände Spitzen, Leder und Batist betasteten, waren ihre Gedanken bei ihrem liebsten Freund.

Sie spürte, daß er nicht allzuweit von ihr entfernt war.

»Kauf das nicht, Anne.«

»Was?«

»Das beste Leder gibt's in Leicester.«

»Oh… ja.«

Sie legte die Geldbörse, die sie geistesabwesend in die Hand genommen hatte, wieder zurück und hakte sich bei ihrem Onkel ein. Er war mittlerweile ein alter Mann geworden und würde sicher nicht mehr viele Reisen zu seinem Bruder unternehmen. Es machte ihm Freude, seine Nichte während der Reise zu verwöhnen. Sie war schon immer seine Lieblingsnichte gewesen.

»Was kann ich dir kaufen, Anne?«

»Aber ich bin es, die Euch ein Geschenk machen sollte, Onkel.«

»Dein Besuch ist schon das schönste Geschenk«, sagte er und deutete mit seinem Stock auf die Marktstände. »Such dir aus, was dir gefällt.«

»Da ist nichts, was ich brauche.«

»Ich möchte dir aber etwas schenken.«

»Das habt Ihr mir schon geschenkt, indem Ihr mich hierher gebracht habt.«                       

Er blickte sich um und kratzte sich gedankenvoll den Kopf. Als die Idee sich formierte, stieß er ein erfreutes Glucksen aus.

»Vielleicht möchtest du ein wenig Unterhaltung haben?«

»Von welcher Art, Onkel?«

»Ich nehme dich zu einer Theateraufführung mit.«

»Gibt es hier denn eine Theatergruppe?«

»Wenn du den Kopf nicht in den Wolken hättest, hättest du das schon längst selber herausgefunden. An jeder Ecke hängen Theaterplakate.«

»Wirklich?«

Die Spannung steigerte sich. Konnte es sein, daß Westfield's Men hier waren?

»Ich zeige sie dir, Nichte.«

»Ich folge Euch.«

Er schob sich vor ihr durch die Menge, bis sie den Ye Olde Salutation Inn erreichten, eines jener Wirtshäuser, die sich dicht um Nottingham Castle drängten und die seit unzähligen Generationen die durstigen Kehlen erschöpfter Reisender erfrischten.

An einem Pfosten vor dem Haus war ein Plakat mit verschnörkelter Schrift angenagelt. Anne Hendrik spürte ihren Puls hämmern, als sie den Namen des Stückes erkannte.

»Pompeius der Große«. Edmund Hoodes berühmte Tragödie.

Ein Triumph für Westfield's Men.

In derselben Sekunde verwandelte sich ihre Freude in Zorn. Das Publikum würde keinen Lawrence Firethorn in einer seiner besten Rollen zu sehen bekommen. Man offerierte ihm die etwas seichteren Talente eines Giles Randolph und seiner Gruppe.

»Möchtest du dieses Stück mit mir zusammen anschauen, Anne?«

»Nichts für mich, Onkel. Ich kann das Stück nicht ausstehen.«

Zornig wandte sie sich ab.

Als sie die Wälder erblickten, wußten sie, daß sie Nottinghamshire erreicht hatten. Leicestershire hatte nur wenig Wald und noch weniger Wildgehege, weil das Land hauptsächlich landwirtschaftlich genutzt wurde. Die Felder mit Gerste, Hülsenfrüchten und Weizen und die Weiden mit Kühen und Schafen boten einen vertrauten Anblick. Kaum hatten sie jedoch die Grenze überschritten, als Westfield's Men eine völlig andere Landschaft vor sich hatten. Sie befanden sich in der »Grafschaft mit dem Wald«, in der allein Sherwood Forest über ein Viertel der Gesamtfläche bedeckte.

Ihre Moral war besser geworden, seitdem die Sonne wieder schien. Die Entscheidung, die Great North Road zu verlassen, hatte gute und schlechte Aspekte. Der Entschluß verschaffte ihnen Aufführungen in Oakham und Melton Mobray vor einem kleinen, aber begeisterten Publikum, doch er lehrte sie auch die Schönheiten des Reisens auf schlechten Straßen bei schlechtem Wetter kennen. Nachdem sie die Nacht etwa fünf Meilen südlich von Nottingham verbracht hatten, hofften sie, das Schlimmste überstanden zu haben.

Als Lawrence Firethorn darauf bestand, die Nacht im Smith and Anvil zu verbringen, hielten die anderen das für ein seltenes Zeichen von Sentimentalität. Lawrence Firethorn war der Sohn eines Dorfschmiedes, hatte den Körperbau dieses Berufsstandes, aber die Haltung eines wahren Gentlemans.

Die alte Schmiede war ein Gebäude aus grobem Feuerstein mit einem tief heruntergezogenen Dach, doch das Gasthaus, das sich um diesen Kern ausgebreitet hatte, war ein hölzernes Fachwerkhaus. Als sie den Schankraum betraten, wurde ihnen sofort klar, warum der Erste Schauspieler darauf bestanden hatte, hier die Nacht zu verbringen.

»Master Firethorn!«

»Komm, laß mich dich umarmen, Susan!«

»Oh, Sir! Das ist aber eine unerwartete Freude!«

»Und deshalb noch viel schöner!«

Die Wirtin war eine attraktive Frau von ausladendem Körperbau und lebhaften Bewegungen. Susan Becket barst geradezu vor lauter Wiedersehensfreude. Ihr volles Gesicht war ein einziges großes Lächeln, rote Haarflechten wirbelten um ihren Kopf. Sie stampfte durch den Schankraum und versetzte Lawrence Firethorn einen knallenden Willkommenskuß auf die Lippen. 

»Was führt Euch in mein Gasthaus, Sir?«

»Was sonst außer dir, meine Liebe?«

»Ihr schmeichelt mir, Schuft!«

»Ich werde noch mehr tun, bevor ich wieder gehe.«

»Weg mit Euch, lüsterner Kerl!« sagte sie kichernd.