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Er marschierte in den Schankraum und ignorierte den katzbuckelnden Willkommensgruß von Lambert Pym. Er wandte sich sofort zur Treppe. Dann klopfte er an eine Tür im Obergeschoß und trat ein.

Robert Rawlins setzte sich erschrocken auf.

»Ich hatte Euch zu dieser frühen Stunde noch nicht erwartet.«

»Die Dringlichkeit hat mich hierher gebracht.«

»Ist etwas nicht in Ordnung?«

»Ich fürchte, ja. Weitere Nachrichten aus London.«

»Was ist passiert, Sir Clarence?«

»Gegen eine bestimmte Person wurde Anklage erhoben.«

»Master Neville Pomeroy?«

»Er wurde verhaftet und in den Tower geworfen.«

»Gütiger Gott!«

»Walsinghams Männer rücken näher.«

»Kann sich einer von uns noch sicher fühlen?« fragte Rawlins.

»Wir haben die Sicherheit unserer Religion, und das ist der beste Schutz gegen jeden Angriff. Master Pomeroy wird ihnen keine Namen nennen, egal, was sie mit ihm anstellen. Wir müssen die Nerven behalten und für unser Überleben beten.«

»Amen.«

6. KAPITEL

Lawrence Firethorn brüllte wie ein Stier, als George Dart an seine Zimmertür im Smith and Anvil hämmerte. In Anlehnung an das Gewerbe seines Vaters spielte der Oberste Schauspieler den eisenharten Schmied auf dem bereitwilligen Amboß von Mistress Susan Becket. Er erfüllte die Luft mit seinen Lustschreien genau in dem Moment, in dem so rüde an seine Tür gedonnert wurde. Er riß die Tür auf und funkelte den kleinen Bühnenarbeiter mit derartig flammenden Zornesblicken an, daß dieser um sein Leben fürchtete. Es war zu jeder Zeit ein einschüchterndes Erlebnis, seinem Arbeitgeber entgegenzutreten, aber vor Firethorn zu stehen, wenn dieser nackt, hoch erregt und nicht in der Lage war, seinem Höhepunkt entgegenzurasen, war wie ein Spaziergang im Siebten Kreis der Hölle. George Dart steckte drei Ohrfeigen ein, bevor er überhaupt den Mund aufmachen konnte. Es dauerte eine Ewigkeit, bis die Botschaft endlich überbracht war.

»Dick Honeydew ist mitgenommen worden, Sir.«

»Von wem, du Idiot? Von wem, du Dummkopf?«

»Von den Zigeunern.«

»Schluß mit diesem Blödsinn!«

»Ich fürchte, er hat recht, Master Firethorn.«

Unterstützung tauchte auf in der Gestalt von Nicholas Bracewell und den drei Lehrlingen, die eine ausführliche Untersuchung des ganzen Anwesens durchführten. Sie hatten jeden Winkel des Hauses durchsucht, einschließlich der Dachböden und Keller, entdeckten aber nicht die geringste Spur von Richard Honeydew. Der Junge war entweder verschwunden - was sehr unwahrscheinlich war —, oder er war entführt worden. Dieser zweite Gedanke wurde von Firethorn sofort akzeptiert, der ihn in eine persönliche Attacke auf sich und seine Karriere ummünzte.

»Sie haben mir meine Jungfer Marion gestohlen!«

»Wir werden ihn schon finden«, sagte Nicholas entschlossen.

»Soll Robin Hood seine Liebesszenen mit sich allein spielen?«

»Ihr werdet einen der anderen Schüler nehmen müssen.«

»Der Gedanke gefällt mir nicht, Nick.«

»Sherwood Forest muß aber eine Jungfrau bekommen.«

»Aber nicht John Tallis!« sagte Firethorn. »Dessen Gesicht paßt zu Komödien, aber nicht zum Küssen. Jungfer Marion kann keine eingefallenen Wangen haben, Sir.«

»Stephen Judd oder Martin Yeo können die Rolle übernehmen.«

»Keiner von beiden ist dafür geeignet.«

»Dann sucht ein anderes Stück aus, Master Firethorn.«

»Um mich von meinen Plänen abbringen zu lassen? Niemals!« Er stampfte mit nackten Füßen auf den Boden und zog sich ein paar Splitter in die Füße. »Diese Schandtat zielt direkt auf mich, Nick. Sie wissen genau, mein Robin Hood ist jenseits aller Vergleiche, und versuchen, mich aus schierem Neid fertigzumachen.«

»Wir müssen den Jungen sofort aufspüren, Sir.«

»Tut das, Nick.«

»Dafür brauche ich ein Pferd.«

»Nehmt meines, guter Mann.«

Nicholas war ganz und gar nicht davon überzeugt, daß Zigeuner Richard Honeydew entführt hatten, auch wenn man die Gruppe in der Gegend beobachtet hatte, doch seine Meinung wurde von dem Mann, der kein Argument akzeptierte, beiseite gefegt. Gleichzeitig um seinen Orgasmus betrogen und seiner Jungfer Marion beraubt - der Erste Schauspieler hatte nur noch Rache im Sinn.

»Aufs Pferd! Aufs Pferd, Nick!«

»Ich werde Euch in Nottingham treffen.«

»Kommt nicht ohne ihn zurück!«

»Wenn der Junge bei den Zigeunern ist, bringe ich ihn mit.«

»Nehmt Euch in acht, Sir! Zigeuner sind gefährlich.«

»Adieu!«

Nicholas hastete davon und verpaßte einen rührenden Moment. Während des Gesprächs zwischen dem Obersten Schauspieler und dem Regisseur stand George Dart unscheinbar daneben und fragte sich, ob er noch ein Mitglied der Gruppe sei und ob man ihn für die bevorstehende Aufführung in Nottingham als Statisten einsetzen würde. Firethorn sah ihn da stehen und hob fragend die Augenbrauen. Darts Gesicht war eine Studie in Unsicherheit und Angst. 

»Bin ich immer noch einer der ›Lustigen Burschen‹, Sir?«

Nicholas sattelte sein Pferd und ritt kurz vor Anbruch der Dämmerung davon. Er war mit Schwert und Dolch bewaffnet. Er war ein ausgezeichneter Reiter. Als Sohn eines wohlhabenden Kaufmanns aus Devon hatte er seinen Vater schon in jungen Jahren auf dessen Reisen begleitet und gelernt, wie man reitet und für ein Pferd sorgt. Als Nicholas älter wurde, veranlaßten die Geschäftsverbindungen seines Vaters ihn, durch ganz Europa zu reisen, und dann entwickelte er seine große Liebe für die See, eine Leidenschaft, die darin gipfelte, daß er drei Jahre mit Sir Francis Drake um die Welt segelte. Trotzdem hatte er das richtige Gefühl für den Sattel nicht verloren. Mit klugem Bedacht hielt er sein Pferd in einem stetigen Trab.

Er brauchte vier Stunden, um ihre Spur aufzunehmen, und zwei weitere, um sie zu erreichen. Sie hatten in einem Dorf in Leicestershire angehalten, um ihre Waren zu verkaufen und den simplen Gemütern des Nestes Unterhaltung zu bieten. Während die Zigeunerfrauen Kopftücher verkauften oder den Einfältigen aus der Hand lasen, verwandelten sich die Männer in Artisten, die den Dorfbewohnern ihre Kunststücke vorführten. Nicholas band sein Pferd fest und begab sich zu der Wiese, auf der sich alle versammelt hatten. Aus seiner Deckung hinter einem Haselnußstrauch beobachtete er eine Szene, die farbig und anregend war. Trotz der Umstände fesselten sie sein Interesse.

Nicholas hatte immer Sympathie für Zigeuner empfunden. Es waren Vagabunden, die den Duft der Freiheit an sich trugen. Dennoch hatten sie härtere Strafen zu befürchten als einheimische Fahrensleute. Nicht nur wurden sie regelmäßig bestraft, ausgepeitscht, ins Gefängnis geworfen oder von den Dorfplätzen mit Stöcken, Steinen und Hunden vertrieben, sie sahen sich auch von Deportation bedroht. Während der gesamten Herrschaft von Heinrich VIII. und auch während der seiner Tochter, der Königin Elizabeth von England, war die offizielle Haltung den sogenannten »Söhnen des Ptolemäus« gegenüber ausgesprochen feindlich. Ganze Gruppen von Zigeunern wurden aufs Festland verschifft, und gelegentlich hörte man den Ruf, die ganze Rasse auszurotten.

Angesichts dieser Probleme war ihr Überleben schon ein kleines Wunder. Irgendwie hatte Nicholas brüderliche Gefühle für sie. Sein eigener Beruf hatte viel Ähnlichkeit mit dem Lebensstil der Zigeuner. Auch Schauspieler waren Geächtete, sofern sie nicht unter der Obhut edler Schirmherren wie etwa Lord Westfield standen. Ohne diesen Schutz konnten sie wie die Zigeuner gejagt und gehetzt werden und wurden oft genug, wie die Zigeuner, für jedes Verbrechen verantwortlich gemacht, das während ihrer Anwesenheit in der Gegend verübt wurde. Zigeuner waren weit davon entfernt, gesetzestreu und ehrlich zu sein, doch Nicholas war schon immer der Auffassung gewesen, daß die Erzählungen über ihre Schlechtigkeit und ihre Zauberei maßlos übertrieben waren.