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Solche Gedanken gingen ihm durch den Kopf, als die akrobatischen Darbietungen zum Ende kamen. Rauhe Hände klatschten Beifall, ein paar kleine Münzen wurden gespendet, als ein kleiner Junge mit einer Mütze an den Zuschauern entlanglief. Jetzt traten Musikanten auf, Tanzdarbietungen waren an der Reihe. Leichtfüßig und geschmeidig zeigten die Männer Tanzfiguren, wie man sie auf dieser Wiese noch nie gesehen hatte. Nicholas bewunderte ihre Künste und ließ sich von dem Eindruck des Phantastischen gefangennehmen. Dann trat der Junge auf. Schon auf den ersten Blick konnte man erkennen, daß er nicht so selbstsicher war wie die anderen, denn er tanzte, als ob er unter einer Art Zwang stünde und keine Freude an dem habe, was er tat.

Nicholas Bracewell hatte diesen Tanz schon einmal gesehen. Es war einer, den Barnaby Gill den Schauspielschülern beigebracht hatte, und einer der Jungen hatte ihn sofort verstanden. Als der Regisseur den gertenschlanken Jungen in seinen Lumpen und mit dem geschminkten Gesicht betrachtete, kam er rasch zu einem Schluß - es war Richard Honeydew. Bei Nacht und Nebel entführt, wurde der Junge jetzt dazu gezwungen, für seinen Aufenthalt bei den Zigeunern zu arbeiten. Er war jetzt einer von denen und mußte für seinen Unterhalt tanzen, auch wenn er das nicht wollte. Als Nicholas näher heranging, um ihn besser betrachten zu können, vollführte der Junge einen Purzelbaum, für den er spontan Applaus erhielt und der den Regisseur in seiner Überzeugung bestärkte. Er hatte selber beobachtet, wie die Lehrlinge diesen Purzelbaum vor ein paar Tagen geübt hatten. Das war der endgültige Beweis.                       

Verhandlungen mit den Zigeunern waren zwecklos, und der Dorfpolizist hatte gegen eine Bande kräftiger Männer, die kämpfen konnten wie die Teufel, nicht den Schatten einer Chance. Nicholas mußte den Jungen also mit Gewalt packen, solange die Überraschung ihm das ermöglichte. Er wartete, bis der Tanz zu Ende war, ließ den Lehrling den Applaus entgegennehmen, dann sprang er von hinten heran und warf dem Jungen den Arm um den Hals. In der anderen Hand hatte er sein Schwert gepackt und schüttelte es entschlossen, um jeden abzuschrecken, während er sich rückwärts seinem Pferd näherte.

»Komm, Dick, laß uns hier verschwinden!«

Doch der Junge schien nicht besonders daran interessiert zu sein, zu verschwinden. Er biß Nicholas mit voller Kraft in den Arm, riß sich los und überschüttete seinen Fänger in fließendem Rumänisch mit Beleidigungen.

Der Regisseur war vollkommen verblüfft.

Der Junge war überhaupt nicht Richard Honeydew.

*

Westfield's Men waren in verzweifelter Stimmung, als sie sich auf den Weg nach Nottingham machten. Auf ihrer Tournee hatten sie schon manchen Schicksalsschlag einstecken müssen, doch diesmal waren sie von einem fürchterlichen Hieb niedergestreckt worden. Die Entführung des Richard Honeydew war ein schlimmes Unglück. Er spielte bei jeder einzelnen Aufführung eine wichtige Rolle. Obwohl es auf Seiten der anderen Schauspielschüler immer noch gewisse Ressentiments gab, hatten sich die Lehrlinge dazu durchgerungen, anzuerkennen, daß der Jüngste unter ihnen auch der Beste war. Er übernahm sämtliche weiblichen jugendlichen Rollen und überließ ihnen die weniger attraktiven Gestalten wie zum Beispiel alternde Gräfinnen, tollpatschige Dienstmädchen, einschüchternde Amazonen und langweilige Liebhaber. Honeydew hatte eine weitere Feder an seinem Hut. Er hatte eine sehr gute jungenhafte Sopranstimme, in jedes Stück wurden besondere Lieder für ihn eingebaut. Ohne ihn gab es nur Schwierigkeiten.

»Lehnt Euch an meine Schulter, Mistress.«

»Das ist mein größter Wunsch, Sir.«

»Wir reisen Seite an Seite.«

»Wie zwei Ochsen im Joch.«

»Ich wette, wir ziehen in die gleiche Richtung.«

Mistress Susan Becket kicherte über diese sexuellen Andeutungen und schwang sich in den Sattel ihres Pferdes, wobei sie sich auf die starke Schulter von Lawrence Firethorn stützte. Er war begeistert gewesen, als sie ihm anbot, sie nach Nottingham zu begleiten, um das Stück zu sehen, nicht zuletzt aber auch, weil sie ihr eigenes Pferd mitbrachte und ein weiteres, das Firethorn benutzen konnte. Sie ließ den Gasthof in d en fähigen Händen ihrer Angestellten zurück und ritt mit der Gruppe, bei der sie auf ihrer weißen Stute auffiel. in jeder Beziehung eine Frau von Format, graziös und sinnlich zugleich, war sie durch ihre einfache Anwesenheit eine Wohltat für die Moral der Schauspieler und besonders für Lawrence Firethorn, dem sie erlaubte, sich nach Belieben in seinen Phantasien auszuleben.

Dennoch wurde sie nicht nur willkommen geheißen.

»Man fragt sich, wie das Pferd sie tragen kann, Sir.«

»Sie ist in der Tat eine stämmige Person, aber durchaus gutaussehend.«

»Und sie wäre so freundlich, daß sie sogar den Sattel und das eigene Pferd tragen würde.«

»Das ist sehr ungezogen von Euch, Sir.«

»Nur dem Schimmel gegenüber.«

»Kennt Lawrence Firethorn sie schon lange?«

»Nur jedesmal eine Stunde.«

»Die beiden sind alte Bettgenossen, nicht wahr?«

»Das haben die geradezu erfunden.«

Barnaby Gill ritt jetzt neben dem Fuhrwerk, das von Christopher Millfield gefahren wurde. Die anderen Teilhaber und die Lehrlinge saßen neben dem Gepäck, während die Angestellten zu Fuß hinter dem Wagen trotteten. Der Tag war heiß, kein Lüftchen brachte ihnen Kühlung. Gill nutzte die Gelegenheit, seinen Weiberhaß loszuwerden.

»Sie ist der wahre Inbegriff ihres Geschlechts, nicht wahr?«

»Mistress Becket?«

»Sie wird der Majestät an ihrer Seite ein kluger Erzbischof sein. Obwohl wir nach York reiten, nimmt sie ihn heute nacht auf eine Pilgerreise nach Canterbury mit und führt ihm all ihre heiligen Reliquien vor. Wenn Master Firethorn sich tief in ihre Taufquelle stürzt, wird er bis zum Hals in die Spülbrühe ihrer Leidenschaft eintauchen und muß dringend ein Stoßgebet zu einem heiligen Märtyrer loslassen, damit der ihn da wieder rausholt.«

»Ihr mögt die Dame nicht«, sagte Millfield trocken.

»Diese nicht und auch keine einzige andere.«

»Euer Grund dafür, Master Gill?«

»Frauen haben neben Schauspielern nichts zu suchen.«

»Auch nicht unter ihnen?«

»Sie sind nichts anderes als scheußliche Ablenkungen, Sir.«

»Würdet Ihr Euch auch keine zum Zierat nehmen?«

»Nur auf dem Lokus, denn das ist ihr angestammter Platz.«

»Ihr seid sehr hart, Master.«

»Kann ein richtiger Mann wirklich Frauen lieben?«

Christopher lachte zur Antwort. Er mochte Barnaby Gill und hatte viel von ihm gelernt, indem er ihn auf der Bühne beobachtete, doch seine Ablehnung des Weiblichen vermochte er nicht zu teilen. Millfield erregte überall, wo er sich aufhielt, weibliches Interesse und genoß es; das betrachtete er als einen der wenigen Vorteile im Leben eines Schauspielers.

Gill begutachtete das hübsche Profil.

»Darf ich Euch eine Frage stellen, Sir?«

»Zögert nicht damit.«

»Wie kam es, daß Ihr Pomeroy Manor kanntet?«

»Ich kannte es eben.«

»Wodurch?«

»Durch The Admiral's Men.«

»Unfähige Halunken!«

»Sie besaßen nicht Eure Qualität, das stimmt«, sagte der andere taktvoll, »aber sie waren schon gut genug. Und sie wußten, wo sie sich die nächste Mahlzeit herholten, wenn sie über Land reisten. Einer von ihnen hatte eine Liste aller Häuser im Kopf, in denen Schauspieler willkommen waren, in ganz England.«

»Das war keine lange Liste zum Auswendiglernen«, sagte Gill bedauernd. »Uns werden viel mehr Türen vor der Nase zugeschlagen als geöffnet.«

»Selbst dann, Sir. Deshalb habe ich mich so angestrengt, die Liste auswendig zu lernen. Master Neville Pomeroy stand darauf und noch eine Reihe weiterer Namen in der Grafschaft Hertfordshire.«