»Habt Ihr jemals solch vorsätzliche Gemeinheit gesehen, Nick?«
»Haltet Euch für Euren nächsten Auftritt bereit.«
»Er hat meine beste Rede unterbrochen.«
»Und Ihr habt zwei von seinen ruiniert.«
»Gabriel versucht, meine Vorstellung kaputtzumachen.«
»Ich glaube, er zahlt nur in gleicher Münze heim.«
»Der Mann hat kein Ehrgefühl.«
»Bringt es ihm durch Euer Beispiel bei.«
»Ich glaube, Ihr steht auf seiner Seite.«
»Nein, Christopher. Meine Sorge gilt allein dem Stück.«
»Warum laßt Ihr es dann durch Gabriel kaputtmachen?«
»Ihr seid in der letzten halben Stunde sein Partner gewesen. Es gereicht Euch beiden nicht gerade zur Ehre.«
»Ich bin der bessere Schauspieler, Nick.«
»Euer Stichwort kommt.«
»Stellt ihn für mich zur Rede.«
»Geht raus und sprecht selber für Euch.«
Christopher Millfield rannte auf die Bühne, um seinen Kampf mit Gabriel Hawkes fortzusetzen. Beide waren gute Schauspieler, die ein breites Spektrum von Nebenrollen beherrschten, und zwar gut; jeder von ihnen war eine Bereicherung der Theatergruppe. Doch auf der Tournee war kein Platz für sie beide. Einer mußte dem anderen Platz machen. Sie hatten sich gegenseitig niemals ausstehen können, doch bei allen früheren Aufführungen hatten sie ihre Antipathie im Interesse der gemeinsamen Arbeit überwunden. Aber jetzt, da Arbeitslosigkeit sie beide bedrohte, verfielen sie in eine offene Feindschaft, die zwar durchaus im Einklang mit ihren jeweiligen Rollen war, doch zugleich dafür sorgte, daß sie sich auf beunruhigende Weise von ihrem Text entfernten.
Nicholas beobachtete das alles mit einer Mischung aus Erstaunen und Mißfallen. Solches Verhalten hatte er von Christopher Millfield erwartet, einem arroganten und aufbrausenden jungen Mann, der sich schnell beleidigt fühlte, auch wenn gar keine Kränkung beabsichtigt war. Gabriel Hawkes war ein völlig anderer Mensch, ein bescheidener, fast scheuer Typ, der sich bei den zotigen Neckereien der Schauspieler keineswegs wohl fühlte und der sich von der breiten Masse entfernt hielt. Nicholas bewunderte die Fähigkeiten beider Männer, doch Gabriel Hawkes war ihm viel sympathischer als der andere. Bei einer langen und schwierigen Tournee wäre seine sanftmütige Gegenwart wesentlich wertvoller gewesen als Millfields Ungestüm.
Doch jetzt zeigte er sich von der denkbar schlechtesten Seite. Indem er sich offen zum Kampf stellte, leistete er seiner Sache einen Bärendienst. Zur Begeisterung des Publikums - doch dem Schauspiel vollkommen entgegengesetzt - packten sich die beiden wie Ringkämpfer, warfen sich mit hölzernen Versen zu Boden, bevor sie mit sich reimenden Gedichten und Fäusten aufeinander losgingen.
Doch plötzlich kam alles zu einem Ende.
Gabriel Hawkes schien seine Niederlage einzusehen. Er sank erkennbar in sich zusammen, verlor jegliches Feuer. Er ließ sich von Christopher Millfield vollkommen fertigmachen und brachte nicht mal andeutungsweise eine Verteidigung zustande. Es tat weh, wenn man nur zusah.
Die meisten Zuschauer merkten nichts von dem heftigen persönlichen Kampf, der sich vor ihren Augen abspielte. Hawkes und Millfield hatten keine tragenden Rollen und verschmolzen mit der Kulisse, sobald Lawrence Firethorn auf die Bühne trat. Er war im wahrsten Sinne des Wortes ein König, und seine Brillanz übertraf alles andere, einschließlich der lächerlichen Bemühungen von Barnaby Gill in der Rolle des klapprigen Liebhabers. Firethorns Herrschaft war überragend.
An der Spitze seines Ensembles trat er vor den Vorhang, um im Applaus zu baden, der von den Innenhofwänden des Queen's Head widerhallte. Plangemäß sollten Westfield's Men in der kommenden Woche wieder eine Vorstellung im Queen's Head geben, doch niemand glaubte wirklich daran, daß es zu dieser Aufführung kommen würde. Die Pest drang immer weiter vor. Die Zuschauer, die eine lange Zeit ohne das Vergnügen des Theaters vor sich hatten, zeigten den Schauspielern, die aus der Stadt vertrieben werden würden, ihre Anteilnahme. Es war eine fröhliche, aber auch wehmütige Angelegenheit.
Lawrence Firethorn vergoß echte Tränen und hielt eine Abschiedsrede. Barnaby Gill schniefte, Edmund Hoode mußte hart schlucken, und der Rest der Gruppe war von Herzen gerührt. Nicholas Bracewell ließ sich von dieser Gefühlswoge nicht davontragen. Seine Aufmerksamkeit galt Gabriel Hawkes, der eigenartig distanziert wirkte. Ein Mann, der das Theater intensiv und ausdauernd liebte, sah jetzt drein, als befremde ihn das alles.
Als sie die Bühne verließen, nahm Nicholas ihn beiseite.
»Was bedrückt Euch, junger Mann?«
»Nichts, Master Bracewell.«
»Seid Ihr ganz in Ordnung?«
»Ich spüre, daß ich krank werde, aber es ist nichts Ernsthaftes.«
»Welche Art von Krankheit?«
»Macht Euch um mich keine Sorgen.«
»Sollen wir Euch zu einem Arzt tragen?«
»Es hat nichts zu bedeuten, sage ich Euch.«
»Paßt gut auf Euch auf, Gabriel.«
Der junge Schauspieler lächelte schwach und berührte seinen Arm.
»Vielen Dank, Master Bracewell.«
»Wofür?«
»Ihr seid mir immer ein guter Freund gewesen.«
Seine Stimme hatte solch einen endgültigen Unterton, daß Nicholas entsetzt war. Während Gabriel Hawkes auf unsicheren Beinen davonging, um sein Kostüm abzulegen und sich auf den Weg zu seiner Unterkunft in Bankside zu begeben, hatte der Regisseur das beunruhigende Gefühl, den Mann nie mehr lebend wiederzusehen.
*
Nachdem die Pest ein paar Wochen lang mit der Stadt gespielt hatte, holte sie jetzt zum tödlichen Schlag aus. London war hilflos. Die Stadt litt unter hämmernden Kopfschmerzen, kaltem Schauer, fürchterlichen Rückenschmerzen, rasendem Puls, Atemnot, hohem Fieber und vollständiger Rastlosigkeit. Widerliche Beulen bildeten sich in der Leistengegend und in den Achselhöhlen. Unkontrollierbares Erbrechen setzte ein. Wenn der Körper erlahmte, brach auch der Geist zusammen. Delirium setzte ein. Die Sterblichkeitsrate stieg unerbittlich an, die Leute lernten wieder einmal zu beten.
»Wann müßt Ihr abreisen, Sir?«
»Sobald es erforderlich wird.«
»Gibt es denn gar keine Hoffnung auf Rettung?«
»Leider nicht, meine Liebe. Allein sieben Todesfälle wurden in dieser Kirchengemeinde gemeldet, ein Dutzend oder mehr in Cripplegate. Wenn man alle Gemeinden zusammenzählt, steigt die Anzahl mit Leichtigkeit auf dreißig und vielleicht sogar auf das Dreifache davon.«
»Der Herr steh uns bei!«
»Für uns armselige Schauspieler gibt es keinen Trost, denn wir sind die ersten, die der Seuche geopfert werden. Der Staatsrat hat einen Erlaß herausgegeben: Alle Theater, Tierkampfstätten und Orte, an denen sich Menschenmassen versammeln, müssen sofort geschlossen werden. Es ist niederträchtig.«
»Es ist unüberlegt, Sir.«
*
Margery Firethorn zog ihren Gatten an sich und ließ ihn die Wärme ihrer Zuneigung spüren. Weiß der Himmel, es war keine gemütliche Ehe gewesen, doch er hatte es nie bereut, selbst wenn die Leidenschaften am stürmischsten waren. Margery war eine gute Frau und liebende Mutter, eine sparsame Hausfrau und überzeugte Christin. Das Leben mit einem so ausschweifenden Partner wie Lawrence Firethorn hätte gewiß jede andere Frau abgeschreckt, doch sie hatte sich der Herausforderung mit standhafter Tapferkeit gestellt. Sie waren beide füreinander bestimmt. Gleichgesinnte Geister, aus dem gleichen Holz geschnitzt.
»Wie lange wirst du fortbleiben?« fragte sie.
»Bis der Queen's Head uns wieder aufnehmen kann.«
»Der Tag kann noch Monate entfernt liegen.«
»Mindestens bis Michaeli.«
»Das wird mir wie eine Ewigkeit vorkommen.«