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»Tatsächlich?«

»Die Arbeit eines anderen berühmten Künstlers.«

»Wie lautet sein Name?«

»Sir Francis Walsingham«, sagte Quilley. »Er malt seine Themen auf Lanzenspitzen. Vielleicht habt Ihr den armen Master Rickwood als Ausstellungsstück am Bishopsgate gesehen.«

»Der Mann war ein Verräter?« Firethorn schluckte.

»Ein strammer Römisch-Katholischer.«

»Halte ich hier eine Leiche in der Hand?«

Quilley zeigte ein mißgünstiges Grinsen, das dem Schauspieler ein sehr unbehagliches Gefühl vermittelte. Inzwischen hatte sich seine Einstellung zu dem Geschenk verändert. Der ursprünglich hoch geschätzte Kunstgegenstand brannte jetzt in seiner Hand wie glühendes Metall.

7. KAPITEL

Leise schlurfte Robert Rawlins durch das Große Westliche Tor ins Innere des Münsters von York und ging langsam am Mittelschiff entlang. Hinter ihm strömte die Sonne durch das große Fenster und brachte das krummlinige Flechtwerk mit dem Herz von Yorkshire in der Mitte und den strahlenden Farben des bleiverglasten Fensters zum Leuchten. Rawlins wirkte dagegen wie ein Zwerg, eine graue, unscheinbare Maus zwischen den gewaltigen weißen Säulen. Fast dreißig Meter über ihm zeigten wunderbare goldene Abbildungen auf der gewölbten Decke wichtige Begebenheiten der christlichen Geschichte. Das war zugleich Verehrung und Warnung, ein ewiger Tribut an das, was vorbei war, und eine klare Anweisung für das, was in der Zukunft geschehen sollte.

Rawlins stand im Seitenschiff, blickte sich um und betrachtete dieses Wunder, gleichzeitig begeistert und gedemütigt von diesem architektonischen Juwel, das zur Ehre Gottes errichtet worden war, wobei er sich durchaus der zahllosen Todesfälle bewußt war, die das Bauwerk gekostet hatte. Er sank auf dem rauhen Stein auf die Knie und sandte ein Bittgebet zum Himmel. Besorgt und voller Angst war er hierhergekommen, um Zuflucht zu finden, und befand sich schon bald in einem inneren Gespräch mit seinem Schöpfer.

Eine Stunde verstrich. Da wurde die Stille von einem lieblichen Klang unterbrochen. Hinter dem Lettner mit seinen Königsstatuen und Stuckengeln hatte der Münsterchor Aufstellung genommen. Stimmen in zarter Harmonie sangen eine Messe. In seiner geistigen Verfassung schien es Robert Rawlins, als hätten die Engel persönlich ihre Stimmen erhoben. Wie gebannt lauschte er dem Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus, Benedictus und Agnus Dei und sprach die altvertrauten lateinischen Worte, die von jugendlichen Stimmen in solcher Schönheit und mit so viel Ausdruck gesungen wurden. Das war ein solcher Balsam für seine Ohren und so viel Beistand für seine Seele, daß ihm Freudentränen über die Wangen rollten.

Der Chormeister hatte jetzt beschlossen, eine Hymne zu proben. Als sich die Stimmen wieder erhoben und die ganze Kathedrale mit honigsüßen Tönen erfüllten, erzielten sie jedoch ein ganz anderes Ergebnis.

Alle Menschen auf der Erde singen dem Herrn ein freudiges Lied. Dient ihm mit Furcht, preist seinen Namen, kommet zu ihm und freuet euch.

Robert Rawlins sprang voller Entsetzen auf die Füße. Nicht nur, weil das Singen von Hymnen von den Puritanern als Teil ihrer Verunglimpfungskampagne gegen die Priester und in ihrem Bemühen, die Kirchengemeinde in den Gottesdienst einzubeziehen, eingeführt worden war. Was ihm besonders im Magen lag, war diese Version des Psalms 100 - Jubilate Deo. Aus dem von Rawlins so geliebten Latein in die Umgangssprache übertragen, war dies das Werk eines gewissen William Kethe, einem Hymnenschreiber, der während Marys Herrschaft aus England geflohen war und als Flüchtling in Genf lebte, zusammen mit Extremisten wie John Knox, Goodman, Whittangham und Foxe. Solche Namen, solcher Glauben und solche Verbindungen waren für Robert Rawlins etwas sehr Anstößiges, und er hielt es für ein Sakrileg, eine solche Hymne an einem solchen Ort zu singen.

Er drehte sich auf dem Absatz um, ging durchs Mittelschiff zum Großen Westlichen Tor zurück. Der Trost, den er gesucht hatte, war ihm verweigert worden. Gott hatte kein Ohr für seine Bitten.

Wieder einmal trat er in eine feindliche Welt hinaus.

Die übergroße Freude, Anne Hendrik wiederzusehen, wurde durch die Tatsache geschmälert, daß er keine Zeit hatte, die er allein mit ihr hätte verbringen können. Nicholas Bracewell sah sich gezwungen, mit ihr zu sprechen, während er mit der Konstruktion eines Kulissenbaumes für die bevorstehende Aufführung von »Robin Hood und seine Lustigen Gesellen« beschäftigt war. In einer Ecke im Innenhof des Wirtshauses betätigte sich der Regisseur als Zimmermann, unterstützt durch die zweifelhafte Hilfe eines George Dart. Sein Gespräch mit Anne Hendrik wurde deshalb immer wieder von dem Rasseln der Säge und heftigem  Hämmern unterbrochen. Romantische Töne konnten da überhaupt nicht aufkommen.       

»Ich kann mein Glück kaum fassen, daß ich dich gefunden habe«, sagte sie.

»Ich habe dir gesagt, daß es so kommen würde.«

»Wenn nur die Umstände etwas glücklicher wären.«

»Ja, wirklich.«

»Gibt es immer noch keine Neuigkeiten von Dick Honeydew?«

»Leider nicht.«

»Wer hätte ihn denn entführen können?«

»Alle möglichen Leute«, sagte Nicholas seufzend. »Er ist ein hübscher Junge und fällt überall auf, wo wir auftreten. Dick wäre nicht der erste Lehrling, der entführt wird, weil irgend jemand Gefallen an dem Burschen gefunden hat.«

»Ist er in Gefahr?«

»Wir wollen hoffen, daß das nicht der Fall ist.«

»Was glaubst du, wo er sein könnte, Nick?«

»Ich hab' mir das Gehirn zermartert, um darauf eine Antwort zu finden, aber es war umsonst. Ich habe nichts als Ahnungen und Vermutungen.«

»Und was sagen die dir?«

»Banbury's Men.«

»Würden die denn ein solches Verbrechen begehen?«

»Sie haben uns bereits unsere Stücke und unser Publikum gestohlen«, argumentierte er. »Warum sollte das alles sein? Wenn sie uns Dick Honeydew stehlen, versetzen sie uns einen viel schlimmeren Schlag.«

»Glaubst du, der Junge ist bei ihnen?«

»Dafür ist Master Randolph zu gerissen. Wenn er die Entführung befohlen hat - und mein Instinkt sagt mir, daß das so war—, dann hat er damit irgendeinen Kerl beauftragt und ihm befohlen, Dick irgendwo getrennt von der Gruppe hinter Schloß und Riegel zu halten, damit er nicht gefunden werden kann.«

Annes mütterliche Gefühle gewannen jetzt bei ihr die Oberhand. Sie kannte die vier Schauspielschüler gut, am besten Richard Honeydew, und spürte das Unbehagen einer Mutter über sein plötzliches Verschwinden. Ihre Einbildungskraft verstärkte ihre Angst auch noch.

»Werden sie dem Jungen etwas antun?«

»Dazu haben sie keinen Grund«, meinte er und versuchte, sie und auch sich selber zu beruhigen. »Ihr einziges Ziel ist es, Westfield's Men zu schädigen, und das tun sie, indem sie uns einen unserer wichtigsten Schauspieler entführen.«

»Was wird denn mit dem Jungen passieren?«

»Ich denke, sie werden ihn irgendwann laufenlassen.«

»Wann könnte das sein?«

»Sobald sie uns vernichtend geschlagen haben.«

Nicholas schlug ein paar Nägel ein, dann stellte er den kleinen Baum auf die Bodenplatte, die er gerade gezimmert hatte. Er wankte auf dem unebenen Pflaster leicht hin und her. Anne war voller Mitgefühl.

»Das ist aber keine Arbeit für einen Regisseur.«

»Hier muß jeder mit zupacken.«

»Kannst du diese Arbeiten nicht den anderen übertragen?«

Als Antwort kam ein Schmerzensschrei. George Dart hatte den Nagel verpaßt, den er einschlagen sollte, und statt dessen seinen Daumen erwischt. In seinem Schmerz hüpfte er umher, schüttelte die Hand, als ob sie eine Glocke sei, und steckte sie in einen Eimer mit kaltem Wasser, den ein Stallknecht gebracht hatte. Nicholas betrachtete ihn mit amüsiertem Mitleid.

»Da siehst du, warum ich alles überwachen muß, Anne«, sagte er. »Unsere Leute sind eifrig, aber ungelernt. Wenn ich nicht da wäre und auf sie aufpaßte, hätten sie alle zusammen kaum mehr als drei gesunde Finger übrig.«