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Die Tür der Hütte schwang auf. Es war spät am Abend, er konnte nur ein paar undeutliche Schatten in der Dunkelheit erkennen. Der Duft von nachtblühenden Blumen stieg ihm in die Nase und erfrischte und erfreute ihn. Leichter Wind trocknete seinen schweißnassen Körper. Die Schmerzen fielen von ihm ab, seine Lebensgeister kehrten zurück. 

Er hatte keine Ahnung, wo er sich befand, er wußte nur, daß er von hier verschwinden mußte. Er setzte sich in Bewegung und lief über unebenen Boden auf ein großes Gebäude zu, das an einem Ende eines Feldes stand. Weit kam er nicht. Schon nach wenigen Schritten wurde ihm der Weg von einer großen Gestalt versperrt, die ihm so energisch entgegentrat, daß der Junge in sie hineinrannte und rückwärts zu Boden fiel. Völlig verwirrt blickte er hoch in ein Gesicht, das vom Halbmond ein wenig beleuchtet wurde.

»Du bleibst schön hier, Bursche«, sagte der Mann.

Richard Honeydew fiel vor lauter Entsetzen in Ohnmacht.

*       

York war ohne Zweifel eine schöne Stadt. Es lag inmitten des Waldes von Galtres, umgeben von drei Meilen langen, weißen, steinernen Befestigungen, die von vier Ausfalltoren durchbrochen waren. Die Römer hatten diese Stadt an der Mündung von Fosse und Ouse gegründet, wodurch sie einen wichtigen Zugang zum Meer an der Ostküste hatten. Schiffsladungen von Fellen, Wolle und anderen Gütern segelten flußabwärts zum Haupthandelshafen Hull, wo zur Weiterreise auf das Festland umgeladen wurde. Auf der Rückreise waren die Laderäume randvoll gefüllt mit Seife, Seide, Farben, Parfüm, exotischen Gewürzen und edlen Weinen. York war eine aufstrebende Stadt. Sie ließ sich vielleicht von London noch an Größe übertreffen, aber gewiß nicht an Würde. 

Die Straßen waren eng, gepflastert und von Giebelhäusern überschattet. Stinkende Mittelgossen trugen mit ihren Gerüchen zur außergewöhnlichen Atmosphäre der Stadt bei. York vibrierte geradezu vor Leben.

Robort Rawlins verließ seine Wohnung in der Trinity Lane und ging durch die wimmelnden Straßen zum Trip to Jerusalem. Er betrat den Schankraum, in dem Lambert Pym seine Bediensteten mit scharfen Befehlen herumscheuchte. Der Wirt erkannte ihn und lächelte.     

»Guten Tag auch, Master Rawlins.«

»Auch Euch einen guten Tag, Sir.«

»Wir haben arbeitsreiche Tage vor uns, fürchte ich.«

»So scheint es.«

»Pfingsten steht vor der Tür, und der Markt wird zusätzlich Kunden bringen. Wir müssen mehr Bier brauen und haben mehr hungrige Mäuler zu füttern. Alles muß sorgfältig vorbereitet sein.«

»Wann sollen die Schauspieler eintreffen?«

»Genau zur selben Zeit«, sagte Pym und kratzte sich am Bart. »Hier im Jerusalem wird es uns überrollen. Sämtliche Gästezimmer sind zum Bersten belegt, der Hof muß als Schauspielhalle herhalten.«

»Ich mache mir nichts aus Dramen«, sagte Rawlins kühl.     

»Sir Clarence Marmion ist regelmäßig dabei.«

»Wenn es ihm gefällt.«

»Werdet Ihr länger hier in York bleiben, Sir?«

»Das weiß ich noch nicht, Master Pym.«

»Bis Ihr Eure Geschäfte erledigt habt?«

»Wir werden sehen.«

Ohne irgend etwas durchblicken zu lassen, öffnete Rawlins die Tür zur Treppe, und schon bald ließ er sich in einem Sessel in dem Privatzimmer im Obergeschoß nieder. Aus den Falten seines Mantels zog er ein kleines, schwarzes Buch hervor und begann, ernsthaft darin zu lesen. Er war so in seine Lektüre versunken, daß es minutenlang dauerte, bis er die vertrauten Schritte auf der Treppe wahrnahm. Sir Clarence kam mit solchem Tempo ins Zimmer gerannt, daß Rawlins zusammenzuckte und auf die Füße sprang.

Sir Clarence winkte einen fröhlichen Gruß.

»Endlich bringe ich einmal gute Nachrichten, Sir.«

»Ist die Königin tot?«

»Das wäre zu viel der Hoffnung«, sagte Sir Clarence und zog einen Brief aus der Tasche. »Aber wir haben andere Gründe zur Freude. Unsere Freunde sind nicht untätig gewesen.«

»Es ist tröstlich, das zu hören.«

»Walsingham sitzt wie eine dicke Spinne in ihrem Netz in London und wartet, daß er uns alle erwischt. Aber wir haben unser eigenes Agentennetz, das uns beschützt. Sie haben den Informanten ausgeliefert.«

Rawlins nahm den Brief, den Sir Clarence ihm reichte.

»Das ist also der Mann, der Master Rickwood verriet?«

»Und Master Pomeroy«, sagte Sir Clarence. »Ich wußte, daß die Spur ihn irgendwann hierher führen würde. Wir sind vorbereitet. Der wird keinen Marmion mehr in die Hände eines Ministers Walsingham liefern.«

»Vorgewarnt heißt vorbereitet.«

»Gott schickt den widerlichen Kerl hierher.«

»Reist er allein?«

»Nein, er kommt mit einer Theatergruppe aus London. Sie ist ihm ein willkommener Schutz für seine Zwecke, aber er wird sich hier nicht dahinter verstecken können. Die Reise dieses Mannes endet in York. Ein für allemal.« 

*

Kynaston Hall konnte bestätigen, daß Banbury's Men dort eine Aufführung des Stückes »Der Renegat« gegeben hatten, aber niemand im Haus wußte, was das nächste Ziel der Gruppe war. Nicholas Bracewell bedankte sich für die Auskunft und lenkte seinen haselnußbraunen Hengst, den er sich von Lawrence Firethorn ausgeliehen hatte, genau nach Norden. Das Tier hatte Freude am Rennen und konnte sich austoben. Nicholas hielt in jedem Dorf, in jedem Flecken und an jedem Haus an der Straße und erkundigte sich nach dem Ziel seiner Suche, doch er bekam nur wenig hilfreiche Informationen. Welchen Weg Banbury's Men auch immer eingeschlagen haben mochten, sie schienen ihre Spuren sehr gut verwischen zu können. Es war sehr frustrierend.

Irgendwann wandte sich sein Glück zum Besseren. Er stieß auf einen alten Hirten, der mit seinen Hunden im Schatten eines Baumes saß und einen Apfel verzehrte. Obwohl er niemals ins Theater ging, konnte der alte Schäfer eine Theatergruppe erkennen, wenn er sie vor sich sah. Seine dürren Finger deuteten auf einen rumpeligen Feldweg.

»Sie sind da lang gegangen, Master.«

»Seid Ihr sicher, mein Freund?«

»Ich sitze hier jeden Tag, sie sind an mir vorbeigezogen.«

»Wie viele waren es denn?«

»Oh, ich weiß nicht. Zwölf oder fünfzehn vielleicht.«

»Zu Pferde oder zu Fuß?«

»Beides, Sir. Sie hatten ein paar Pferde und ein Fuhrwerk, das hoch mit Kisten und Körben beladen war. Die meisten gingen hinter dem Wagen zu Fuß.«

»Könnt Ihr sicher sein, daß es Schauspieler waren?«

»Schäfer waren sie jedenfalls nicht, soviel weiß ich«, sagte der alte Mann mit gackerndem Lachen. »Dafür waren ihre Kleider zu bunt, und sie machten auch zu viel Krach. Meine Schafe würden vor mir weglaufen, wenn ich hier solchen Krach machte.«

»Wie weit waren sie von Euch entfernt, als Ihr sie saht?«

»Nicht mehr als etwa dreißig Meter.«

Der Schäfer hatte sich nicht getäuscht. Banbury's Men waren offensichtlich hier vorbeigezogen, er hatte das korrekt bemerkt. Nicholas drückte ihm eine Münze in die rauhe Hand und stieg wieder auf sein Pferd. Mittlerweile war es Abend geworden, die Gruppe würde bestimmt vor Anbruch der Nacht eine Unterkunft suchen. Er gab dem Pferd die Sporen und galoppierte los. Fünf Meilen später hatte er sie gefunden.

Sie kampierten am Straßenrand und zündeten ein Feuer an. Da die Nacht klar und trocken war, wollten sie sie offensichtlich unter freiem Himmel verbringen. Nicholas näherte sich mit aller Vorsicht, das Erlebnis mit den Zigeunern steckte ihm noch in den Knochen. Er legte keinen Wert darauf, daß sich die ganze Gruppe auf ihn stürzte. Nachdem er sein Pferd hinter ein paar Büschen angebunden hatte, schlich er zu Fuß weiter, während die typischen Scherze der Schauspieler die Abendluft erfüllten. Er hatte Banbury's Men also endlich erwischt. Jetzt brauchte er nur noch herauszufinden, ob sie Richard Honeydew bei sich hatten oder nicht.