George Dart dachte da etwas anders. Zuerst war es ihm peinlich gewesen, daß Eleanor Budden so dicht neben ihm saß, doch schon bald hatte er Spaß an ihrer Gesellschaft. Sie hatten einen gemeinsamen Helden.
»Erzählt mir von Master Bracewell«, sagte sie.
»Das ist ein wunderbarer Mann, der die Gesellschaft bei allem führt, worauf es ankommt. Vielleicht bekommen ja andere das Lob und die Belohnung, aber in Wirklichkeit ist er es, der sie verdient, dennoch werdet Ihr nie ein eingebildetes Wort von ihm zu hören bekommen.«
»Seine Bescheidenheit paßt gut zu ihm.«
»Er ist mein einziger richtiger Freund, Mistress.«
»Das kann nicht stimmen«, meinte sie. »Was ist mit Eurer Mutter? Ist sie ihrem Sohn kein echter Freund?«
»Vielleicht war sie das, als sie noch lebte. Ich weiß es nicht. Sie starb, als ich noch ein kleines Kind war.«
»Wie seid Ihr denn zu diesem Beruf gekommen?«
»Niemand anderes wollte mich nehmen, Mistress. Nicholas Bracewell hat dafür gesorgt. Er hat mir alles beigebracht, was ich weiß, und das hat mich bis heute am Leben erhalten und vor dem Verhungern bewahrt.«
»Er hat ein christliches Herz.«
»Kein anderer ist wie er, in der ganzen Gruppe.«
»Wie lange ist er schon beim Theater?«
»Vielleicht vier Jahre oder auch länger. Ich kann's nicht sagen.«
»Und davor?«
»Da fuhr er zur See«, sagte George Dart voller Stolz. »Er ist mit Drake um die ganze Welt gesegelt und hat Sachen gesehen, die die meisten von uns sich nicht mal vorstellen können, solche Wunderdinge. Master Bracewell ist schon überall gewesen.«
»Außer in Jerusalem.«
»Warum sagt Ihr das, Mistress?«
»Weil ich ihn dorthin mitnehme.«
»Und er geht mit?« fragte Dart überrascht.
Eleanor Budden zeigte ein engelsgleiches Lächeln.
»Oh, ja. Er muß. Er hat überhaupt keine andere Wahl.«
*
Lavery Grange lag in der nördlichsten Ecke der Grafschaft Nottingham, und der Chef des Hauses, Sir Duncan Lavery, war ein zugänglicher und geselliger Herr. Als er die Chance hatte, Banbury's Men bei sich zu Gast zu haben, begrüßte er sie mit offenen Armen und stellte ihnen seine Große Halle für die Aufführung des Stückes »Der Renegat« zur Verfügung. Ihr Glück mischte sich mit schlechten Nachrichten. Banbury's Man erfuhren von einem Besucher in Lavery Crange, daß ihre Rivalen soeben in Nottingham einen Triumph mit einem Stück über Robin Hood verbuchen konnten.
Giles Randolph stieß übellaunig mit dem Fuß auf.
»Sie sind uns dichter auf den Fersen, als wir dachten.«
»Aber immer noch einen ganzen Tag hinter uns«, sagte Mark Scruton.
»So viel Nähe mag ich nicht, Sir.«
»Noch erwischen sie uns nicht.«
»Findet etwas heraus, womit Ihr sie verzögern könnt.«
»Ich habe da bereits eine Idee.«
Randolph stolzierte durch die Große Halle und sah zu, wie die Bühne errichtet wurde. Er prüfte die Akustik, indem er eine Rede aus dem Stück vortrug; seine Stimme hatte einen schönen Klang. Die Tournee war bisher eine Aneinanderreihung von Erfolgen gewesen, was um so schöner war, als damit auch der jämmerliche Niedergang von Westfield's Men verbunden war. Jetzt saß ihm die Konkurrenz im Nacken, und das machte ihn nervös.
Er schnippte mit den Fingern, um Scruton heranzuholen.
»Ja, Master?«
»Ihr habt noch einen weiteren Trick im Ärmel, Sir?«
»Der läßt sie nackt und schamrot dastehen.«
»Dann los damit.«
»Was, jetzt?« fragte Scruton überrascht.
»Bevor sie uns erreichen.«
»Aber wir haben die Aufführung des ›Renegaten‹.«
»Die werdet Ihr verpassen.«
»Dann verpasse ich die beste Rolle, die ich habe«, protestierte der andere. »Laßt sie mich heute abend hier spielen, dann überfalle ich sie morgen und lege meine Stricke aus.«
»Morgen ist zu spät.«
»Wie wollt Ihr denn ohne mich spielen?«
»Der junge Harry Paget wird die Rolle übernehmen.«
»Aber es ist meine Rolle!« beschwerte sich Scruton zornig.
»Achtet auf Euren Ton, Sir!«
»Ihr tut mir großes Unrecht.«
»Es handelt sich nur um eine Aufführung, Mark«, besänftigte der andere ihn. »Sobald wir das Stück erneut aufführen, werdet Ihr Eure glorreiche Rolle zurückbekommen. Darauf gebe ich Euch mein Wort.«
»Und wenn wir York erreichen?«
»Ihr unterzeichnet einen Vertrag, der Euch größere Rollen in jedem Stück gibt, das wir aufführen. Falls ich zustimme, heißt das.«
Mark Scruton war in die Ecke gedrängt. Trotz allem, was er für die Gruppe getan hatte, war er juristisch gesehen immer noch kein Teilhaber. Solange er das nicht geschafft hatte, hing er immer wieder von Randolphs Lust und Laune ab. Er setzte wieder die freundliche Unterwürfigkeit auf, die ihm in der Vergangenheit schon sooft gute Dienste geleistet hatte.
»Ich werde sofort aufbrechen.«
»Verursacht eine Katastrophe in den Reihen von Westfield's Men.«
»Sie werden es nicht wagen, anschließend noch zu spielen.«
»Dieser Gedanke gefällt mir.«
»Und meine Belohnung?«
»Die erwartet Euch in York.«
*
Die vier livrierten Diener ritten in sanftem Trab auf der Great North Road. Sie trugen das Wappen ihres Herrn auf dem Ärmel und sein Geld in den Taschen. Seine Befehle waren aufs Wort auszuführen; sie kannten die Strafen, die ihnen drohten, wenn sie seinen Wünschen nicht entsprachen. Es war ein merkwürdiger Auftrag, doch er führte sie aus Hertfordshire heraus und in Gegenden, die ihnen neu waren; das war wenigstens interessant für sie. Ihr Anführer bestimmte das Tempo, sie ritten ungefähr fünf Meter auseinander, wie am unteren Ende eines gewaltigen Keils. In der Mitte dieser Formation befand sich die Person, die sie mit so viel Sorgfalt und Aufmerksamkeit begleiteten. Sie befanden sich auf einer sehr wichtigen Mission.
Sie erreichten eine Kreuzung und erblickten einen großen, weißen Stein neben der Straße. In seine Oberfläche war eine Zahl eingemeißelt, über die die begleitete Person einen Zornesausbruch bekam. Sie schrie laut auf.
»Hundert Meilen bis York!«
»Ja, Mistress«, sagte einer der Reiter.
»Wir kommen ja kaum vorwärts.«
»Das geschieht zu Eurer eigenen Bequemlichkeit.«
»Meine! Ha! Ich reite jeden Mann in Grund und Boden.«
»Warum so eilig, Mistress?«
»Ich muß dorthin.«
Margery Firethorn gab ihrem Pferd die Sporen und fiel in einen Galopp, der die anderen weit zurückließ. Die vier belustigten Diener des Lord Westfield jagten sofort hinterher und fragten sich, was diese Verrückte, die ein schwarzes Pferd ritt und aus Leibeskräften brüllte, eigentlich machte. Ihr merkwürdiges Verhalten brachte sie durcheinander, aber darum kümmerte sie sich nicht.
Margery Firethorn war unterwegs nach York.
Sie hatte etwas mit ihrem Mann zu besprechen.
*
»Haltet still, Master Firethorn, Ihr dürft Euch nicht so viel bewegen.«
»Ich bin aus Fleisch und Blut, Sir, kein lebloser Marmor.«
»Ein Künstler braucht ein bewegungsloses Objekt.«
»Dann wartet, bis ich tot bin, und malt mich dann erst.«