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»Dem Himmel sei Dank, daß ich dich gefunden habe, Dick!«

Der Knebel im Mund des Jungen hinderte ihn am Sprechen, doch seine tränengefüllten Augen sprachen Bände. Nicholas verstand ihre schreckliche Botschaft viel zu spät. Irgend etwas Hartes schlug ihm von hinten an den Kopf. Er fiel vornüber ins Stroh. 

9. KAPITEL

Es war die schlimmste Nacht seines Lebens. Ein Mann, der die Höhen nächtlicher Wonnen sooft und mit solch freudigem Selbstvertrauen genossen hatte, stürzte jetzt hinterrücks durch den leeren Raum ins Bodenlose. Lawrence Firethorn war verzweifelt. Sein Regisseur war verschwunden, sein Lehrling entführt, seine Kostümkiste gestohlen, seine Gruppe völlig durcheinander. Susan Becket lag oben unbefriedigt im Bett, und Eleanor Budden lag unberührt zwischen ihren Laken. Sie waren so nah und doch so weit von ihm entfernt. Firethorn war fertig.

Barnaby Gill und Edmund Hoode teilten seine Panik.

»Sie haben uns den Kopf abgeschlagen, Sirs«, sagte Firethorn.

»Und die Schwänze dazu«, meinte Hoode.

»Meiner ist noch an Ort und Stelle«, bemerkte Gill hochnäsig.

»Ich hätte nie gedacht, daß sie so tief sinken würden.«

»Können wir denn sicher sein, daß dies ihr Werk ist, Lawrence?« fragte Hoode. »Vielleicht hat irgendein normaler Dieb unsere Kiste mitgehen lassen.«       

»Warum sollte der die nehmen, wenn er unsere Geldbeutel hätte haben können?« sagte Firethorn. »Nein, Edmund. Die Spuren von Banbury's Men sind überall deutlich zu erkennen. Nur eine andere Theatergruppe wußte so genau, wie sie uns am schlimmsten treffen konnte. Und zwar, indem sie uns die Kleider stehlen, die wir benötigen.«

Sie saßen im Schankraum ihres Gasthauses und starrten mit kollektiver Melancholie in ihre Gläser. Barnaby Gill sprang plötzlich auf, warf den Kopf zurück, verschränkte die Arme über der Brust und reckte sich zu seiner ganzen Würde auf.

»Ich werde nicht ohne mein goldenes Wams auftreten«, verkündete er gereizt. »Wenn sich meine grünen Samthosen und meine gelben Strümpfe nicht finden und die Schuhe mit den silbernen Schnallen und den Hut mit den drei Federn, dann werde ich keinen Fuß auf die Bühne setzen!« 

»Wir sitzen alle zusammen in der Patsche, Barnaby«, sagte Edmund Hoode.

»Wo ist mein blauer Samtanzug und mein grüner Mantel?«

»Seid ruhig«, schnarrte Firethorn.

»Was ist mit meinen Batisthemden und meiner Halskrause?«

»Hört mit diesem Gewinsel auf!«

Das Gebrüll des Obersten Schauspielers ließ das pikierte Jammern verstummen. Gill fiel auf seinen Stuhl zurück und starrte mürrisch in sein Glas. In Krisenzeiten konnte man sich darauf verlassen, daß er seine persönlichen Interessen allem anderen voranstellte. Edmund Hoode hatte viel mehr Mitleid für seine Freunde.     

»Ich muß immer an den armen Dick denken!« sagte er.

»ich auch gelegentlich«, murmelte Gill.

»Ich würde sofort jeden Fetzen unserer Kleidung hergeben, um den Jungen gesund zurückzubekommen. Wo kann er nur stecken?«

»Nick wird ihn schon finden«, sagte Firethorn.

»Ja«, meinte Hoode. »Nick ist unsere einzige Hoffnung.«

»Wie könnt Ihr so was nur denken?« fragte Gill. »Es liegt doch nur an unserem hochverehrten Regisseur, daß wir uns in diesem Schlamassel befinden. Ich gebe ihm die ganze Schuld.« Trotz ihrer Protestes redete er weiter. »Verteidigt ihn nur, soviel Ihr könnt, Sirs, aber ich sage: Nicholas Bracewell trägt die ganze Schuld. Er ist derjenige, der die Verantwortung für die Sicherheit der Lehrlinge trägt, und trotzdem wird uns einer unter seiner Nase gestohlen.«

»Nick kann nicht überall gleichzeitig sein«, verteidigte Hoode den Regisseur.

»Das ist ja klar, Edmund. Wenn er nicht im ganzen Land herumschäkerte, wären unsere Kostüme in Sicherheit. Dann wäre er hier, könnte seine Pflicht tun und auf unsere Sachen aufpassen.« Gill setzte sich aufrecht. »Und ich hätte immer noch mein goldenes Wams.«     

»Irgend jemand mußte Dick Honeydew ja suchen«, sagte Hoode.

»Und der einzige Mann, der dazu in der Lage ist, war Nick«, fügte Firethorn hinzu. »Vielleicht kann er uns noch aus diesem Sumpf befreien. Ich will keine Nörgelei über ihn hören.«

»Dann werde ich meine Zunge im Zaum halten«, sagte Gill sarkastisch.

Firethorn nahm einen großen Schluck und stieß einen lauten Seufzer aus.

»Was ist diese Tournee doch für ein Elend! Mir gefällt diese Reise nicht, und ich fürchte, ich gefalle ihr auch nicht. Nichts außer Schwierigkeiten bisher. Wir haben Regen, Raub und Ruin erduldet. Und das schlimmste ist, daß ich so weit von zu Hause weg bin und keinen Trost am sanften Busen meiner Frau finden kann.«

Gill und Hoode wechselten einen Blick erschöpfter Belustigung. Mit einer Frau oben in seinem Bett und einer anderen, die in seinen Phantasien eine wichtige Rolle spielte, schaffte Lawrence Firethorn es immer noch, in einem Anfall ehelicher Sentimentalität zu zerfließen, mit allen Anzeichen völlig Ernsthaftigkeit. Ein Glück war aber auch seine Fähigkeit, Margery vollkommen aus seinen Gedanken zu verdrängen. Nur in Zeiten größter Anspannung tauchte sie wieder vor seinem inneren Auge auf und erinnerte ihn daran, daß er ihr Ehemann war.

Seine Kollegen lauschten seinen weinerlichen Worten mit einem gewissen Maß an Zynismus. Ihre Lage war schlimm, dennoch konnte man noch ein paar lustige Aspekte daran finden. Ais Firethorn den Höhepunkt des Selbstmitleids erreicht hatte, wurde er von der Ankunft eines ängstlichen George Dart unterbrochen.

»Was willst du?« grollte Firethorn.

»Ich bringe Euch eine Nachricht von der Dame, Sir.«

»Mistress Becket?«

»Mistress Budden.«

»So redet schon.«

»Wir saßen nebeneinander auf dem Kutschbock, Master, und ich war so frei. Euch vor ihren Ohren zu loben.« Ein Lächeln erschien auf Firethorns Gesicht. »Ich habe von Eurer schönen Stimme gesprochen und daß Ihr das Gebetbuch so schön aufsagen könntet, als sei es Musik des Himmels.«

»So ist es, George, so ist es.«

»Mistress Budden war davon sehr beeindruckt.«

»Wie lautet ihre Botschaft?«

»Sie sitzt im Bett«, sagte Dart. »Es ist ihr größter Wunsch, daß Ihr ihr aus den Psalmen vorlest, bevor sie die Augen zu christlichem Schlafe schließt.«

Lawrence Firethorn spürte das Wiedererwachen seiner Lust. Eine Gelegenheit, die er niemals erhofft hatte, breitete sich jetzt vor ihm aus. Eleanor Budden lag in ihrem Schlafzimmer, voller Vertrauen auf den Klang seiner Stimme. Psalme konnten zu Liebesseufzern führen. Während die Versuchung an seinen Lenden leckte, sah er die Hindernisse. Susan Becket wartete im Nachbarzimmer. Eine Kostümkiste mußte aufgespürt, Pläne gemacht werden. Die Arbeit würde ihn noch für Stunden hier unten festhalten.

Die Enttäuschung bohrte in seinen Eingeweiden, aber es gab keinen Ausweg für ihn. Ohne auf die grinsenden Gesichter von Gill und Hoode zu achten, wandte er sich mit überlegener Ruhe an den Boten.

»Sag ihr, ich könne heute nacht nicht kommen. Aber ich würde aus ganzem Herzen für Mistress Budden beten.«

Und mit dieser zweideutigen Bemerkung ließ er es bewenden.

*

Das erste, was er bemerkte, war der Gestank, der seinen Geruchssinn attackierte. Der Schuppen war als Stall für einen Esel benutzt worden, dessen Kot sich mit dem Stroh vermischt hatte. Als er versuchte, sich zu bewegen, fühlte sich sein Kopf an, als wolle sich jemand von hinten Zugang zu seinem Schädel verschaffen. Nicholas Bracewell blieb bewegungslos liegen, bis sein Kopf sich geklärt hatte. Irgend etwas kitzelte ihn am Fuß. Er öffnete ein trübes Auge und erkannte die traurige Gestalt des Richard Honeydew, der ein Bein ausstreckte, um ihn anzustupsen. Der Junge war immer noch gefesselt und geknebelt. Nicholas' erster Impuls war, ihn loszubinden, doch als er sich bewegte, merkte er, daß auch er gefesselt und mit einem Strick an einem Eisenring in der Wand festgebunden war. Die Beule an seinem Hinterkopf begann wieder zu schmerzen, doch der Knebel im Mund dämpfte sein Stöhnen.