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»Wie groß wird Eure Gruppe sein, Nick?«

»Gerade mal fünfzehn Personen.«

»Das setzt aber einschneidende Maßnahmen voraus.«

»Master Firethorn hat einen schnellen Schnitt gemacht.«

»Und wer ist diesem Schnitt zum Opfer gefallen?«

»Viel zu viele, fürchte ich.«             

»George Dart?«

»Nein, den habe ich gerettet.«

»Thomas Skillen?«

»Bei ihm war ich machtlos.«

Nicholas schüttelte traurig den Kopf. Bei der Auswahl der Leute, die in der Gruppe bleiben sollten, hielt Lawrence Firethorn engen Kontakt mit seinem Regisseur. Sie hatten stundenlang diskutiert, und Nicholas hatte heftig um bestimmte Leute gekämpft, wenn auch nicht in jedem Fall mit Erfolg. Die letzte Entscheidung oblag dem Ersten Schauspieler, und der traf sie mit brutaler Konsequenz, ohne sich von Sentimentalitäten oder Mitleid beeinflussen zu lassen. Es war allerdings Nicholas' Aufgabe, seinen guten Freunden die bittere Nachricht zu überbringen, daß man ihrer Dienste in Zukunft nicht mehr bedürfe — das war eine schwere Bürde gewesen.

Thomas Skillen war solch ein Fall. Der Bühnenarbeiter war beim Theater alt geworden, verläßlich wie ein Fels, doch sein hohes Alter und sein Rheumatismus sprachen gegen ihn. Jetzt brauchte man jüngere Burschen und geschicktere Hände. Peter Digby war ein weiteres Opfer. Als Leiter der Musikantengruppe war er bei jeder Vorstellung eine wichtige Persönlichkeit gewesen, doch seine Rolle war bei einer Tournee ein Luxus, den man sich nicht mehr leisten konnte. Schauspieler, die gleichzeitig Musikanten waren, wurden wegen ihres »Doppelnutzens« bevorzugt. Hugh Wegges, Kostümmeister der Gesellschaft, würde zusehen müssen, wie einige seiner besten Kostüme die Stadt verließen, während er zurückblieb. Seine überragenden Fähigkeiten mit Nadel und Faden reichten nicht aus, um seine Teilnahme zu rechtfertigen. Nathan Curtis, Zimmermann, fiel ebenfalls durchs Netz. Nur wenige Bühnenbildner und Requisiten sollten mit auf die Reise gehen, da war seine Könnerschaft nicht mehr vonnöten.

Und so war es auch bei vielen anderen. Nicholas hatte sich bemüht, ihnen die schlimme Nachricht so schonend wie möglich beizubringen, doch das verhinderte weder Tränenausbrüche, offene Verzweiflung noch bittere Vorwürfe. Über viele, die er im Laufe der Zeit schätzen gelernt und als Kollegen bewundert hatte, sprach er ein Todesurteil aus. Das machte ihm schwer zu schaffen.

»Was ist mit Christopher Millfield?« fragte Anne.

»Ah! Da hat es allerdings heftigen Streit gegeben.«

»Ich würde ihn Gabriel Hawkes vorziehen.«

»Aber nur, weil Ihr ihn nicht so gut kennt wie ich.«

»Im beständigen Liebhaben zeigte er das bessere Talent.«

»Das eindrucksvollere, das gebe ich zu«, sagte Nicholas. »Das trifft auf Christopher zu. Er weiß, wie er sich auf der Bühne die Aufmerksamkeit sichert und legt viel Leidenschaft in sein Spiel, aber dennoch glaube ich, daß Gabriel der bessere Mann ist. Er lernt seine Rolle schneller als jeder andere in der Gruppe und bringt einen kühlen Kopf mit zur Arbeit.«

»Habt Ihr das Master Firethorn gesagt?«

»Immer wieder.«

»Und mit welchem Ergebnis?«

»Er tendierte zu Christopher.«

»Dann war Ihr Spiel verloren.«

»Nicht ganz, Anne. Ich brachte ihm etwas in Erinnerung, das ihn veranlaßte, nochmals über die Sache nachzudenken.«

»Was denn?«

»Daß Christopher vielleicht den sprühenderen Charme hat, dafür aber auch die größere Eigensucht. Falls irgend jemand an Master Firethorns Glanz rühren könnte, dann würde es nicht Gabriel Hawkes sein. Der ist der sichere Mann.«

»Ein kluger Schachzug«, sagte Anne lächelnd. »Ich verstehe schon, wie das bei Master Firethorn wirkte. So steht die Sache also? Wird Christopher Millfield die Gruppe verlassen?«

»Nicht ohne Verbitterung«, sagte Nicholas. »Als ich ihm die Entscheidung mitteilte, war er absolut perplex und stieß finstere Drohungen aus. Er hat es als gewaltige Beleidigung aufgefaßt. Das könnte noch Probleme hervorrufen. Es macht keinen Spaß, der Überbringer schlechter Nachrichten zu sein.«

»Aber für einige hattet Ihr ja auch gute Nachrichten.«

»Allerdings. Ich habe Trauer und Freude gleichzeitig gebracht.«

»War Gabriel Hawkes überwältigt?«

»Ich habe ihn noch nicht persönlich gesehen, Anne. In den beiden letzten Tagen ist er krank gewesen. Aber ich habe ihm die Nachricht zukommen lassen. Er weiß von seinem Glück.«

»Das wird ihn aus dem Krankenbett herausholen.«

»Hoffentlich.«

»Das klingt aber nicht besonders sicher.«

»Doch, doch«, sagte Nicholas und schüttelte die Befürchtungen von sich. »Gabriel ist die vernünftigere Wahl, das wird er auf unserer Reise beweisen. Es gibt niemand in der ganzen Gruppe, den ich ihm vorziehen würde. Ich gehe ihn morgen besuchen und erkläre ihm das.«

»Wieso habt Ihr eine so gute Meinung von ihm?«

»Das ist ja gerade das Merkwürdige an der Geschichte. Ich weiß es nicht.«

*

Smorrall Lane war nur ein paar hundert Meter von Anne Hendriks Haus entfernt, dennoch lagen Welten dazwischen. Die enge, gewundene, schmutzige Gasse bestand aus einer Reihe verdreckter und heruntergekommener Gebäude, die sich altersschwach aneinanderlehnten wie erschöpfte Freunde. Bordelle, Kneipen und Bratküchen zogen eine untere Klasse von Kunden an, und die, die nächtens durch diese Gasse wankten, waren meistens stockbesoffen oder am Ende ihrer Kräfte. In finsteren Winkeln lauerten Diebe und warteten auf leichte Beute. Frauen boten sich in Toreinfahrten an. Blut mischte sich oft mit Urin und Exkrementen, die auf dem Pflaster Lachen bildeten. Smorrall Lane war leicht zu finden - durch seinen widerlichen Gestank.

Der große, elegant gekleidete junge Mann, der in dieser Nacht durch die Gasse schlich, war keiner der üblichen Besucher. Angewidert rümpfte er die Nase, schritt schnell aus und stieß zwei Betrunkene zur Seite, die gegen ihn taumelten. Als er das Haus erreichte, das er gesucht hatte, blickte er nach oben und entdeckte einen schwachen Lichtschein hinter dem Fenster des zur Straße gelegenen Schlafzimmers. Sein Opfer war zu Hause.

Er klopfte an die Tür, erhielt jedoch keine Antwort. Er sah sich auf der Gasse um, ob er beobachtet wurde, dann glitt er ins Haus und hustete, als er den Staub einatmete. Rasch fand er die Treppe und schlich verstohlen auf ihren knarrenden Stufen nach oben. Er klopfte an die Schlafzimmertür, doch auch diesmal kam keine Antwort. Alles, was er hörte, war ein röchelndes Schnarchen. 

Das paßte in seinen Plan. Vorsichtig öffnete er die Tür, glitt ins Zimmer und trat zu der ausgestreckten Gestalt unter den zerlumpten Laken. Der Gestank nach Verwesung stach in seine Nase und drehte ihm den Magen um, brachte ihn jedoch nicht von seinem Ziel ab. Er hockte sich rittlings über den Schläfer, packte ihn mit festem Griff am Hals und drückte mit aller Kraft zu. Der Widerstand war nur schwach. Sein ohnehin geschwächtes Opfer hatte kaum die Kraft, um mit den Armen um sich zu schlagen, und schon bald hingen sie leblos herab.

Der Besucher verschwand aus dem Raum und tauchte wieder vor dem Haus auf. Mit einem Stück Holzkohle schrieb er etwas an die zerschrammte Haustür.

HERR, ERBARM DICH UNSER.

Dann sah er noch einmal zu dem schwach erleuchteten Fenster hinauf.

»Lebewohl, Gabriel. Ruhe sanft mit den anderen Engeln.«

2. KAPITEL

Miles Melhuish glaubte unbedingt an die Macht des Gebetes. Als Pfarrer von St. Stephen hatte er die beste Gelegenheit, seinen Glauben auf die Probe zu stellen, und der hatte ihn niemals enttäuscht. Gebete hatten Seelen gerettet, Krankheiten geheilt, Tragödien gemildert, er hatte Zuspruch gegeben, die Führung des Himmels bewahrt und seine Gemeinde von sorgenvollen Gedanken befreit. Wenn sein geistliches Amt ihm etwas bewiesen hatte, dann war es die Erkenntnis, daß zehn Minuten auf den Knien viel wirkungsvoller waren als eine Stunde stehend in der Kanzel. Das war der erste Satz in seinem persönlichen Glaubensbekenntnis. Indem er in aller Bescheidenheit mit Gott direkt sprach, erreichte er unendlich mehr, als wenn er die Bürger von Nottingham mit seinen Predigten gepeinigt hätte. Er war ein guter und nachdenklicher Hirte, und seine Schäfchen profitierten davon.