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Während der Regisseur sich mit der praktischen Vorbereitung der Aufführung befaßte, gab Sir Clarence seinen Dienern den Auftrag, zwei Reihen von Stühlen hereinzubringen. Im Hof des Gasthauses hatten zahlreiche Zuschauer nur Stehplätze gehabt, als sie dem Stück folgten, doch hier sollte jeder Zuschauer einen Sitzplatz bekommen. Hier würde es weniger Schwitzen, Fluchen, Drängeln geben, dafür mehr Stil und gutes Benehmen. Aufgrund der persönlichen Einladung von Sir Clarence Marmion wurde der gesamte Adel von West Riding an diesem Nachmittag erwartet. Es handelte sich um ein ausgesuchtes Publikum.     

Ein großer, goldverzierter Armsessel wurde hereingebracht und am Ende der ersten Reihe aufgestellt, unmittelbar unter dem Porträt des Vaters des Gastgebers. Das war offensichtlich Sir Clarences eigener Sessel, denn er nahm darin Platz und blickte zur Bühne. Nicholas verstand nicht, warum der Herr des Hauses sich nicht den besten Platz in der Mitte der Stuhlreihe ausgesucht hatte. Es wirkte merkwürdig, sich in einem solchen Blickwinkel zur Bühne zu plazieren.

Als alle Arrangements getroffen waren, wurden Nicholas einige Erfrischungen gereicht, dann ließ man ihn allein, damit er auf die Ankunft der Truppe warten konnte. Er nutzte die Gelegenheit, ein wenig draußen in der Sonne herumzuspazieren und den wunderschönen Garten zu betrachten. Eine Anpflanzung von Rhododendren zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Sie waren mehr als dreißig Meter vom Haus entfernt und kreisförmig angelegt. Was ihm auffiel, war der Umstand, daß die Büsche sich bewegten, als ob sie von einem kleinen Sturm geschüttelt würden; in Wirklichkeit bewegte sich kein Lüftchen.

Im Schutz einer von Eiben gesäumten Straße ging Nicholas auf die Rhododendren zu. Jetzt waren sie ruhig, doch ein Geräusch verriet ihm, wodurch die Bewegung entstanden sein konnte. Er suchte gerade nach der Bestätigung seiner Theorie, als ein untersetzter Mann hervortrat und ihm den Weg versperrte.

»Dieser Teil des Gartens ist gesperrt, Sir.«

»Ich wollte mir lediglich die Beine vertreten.«

»Dann vertretet sie Euch in eine andere Richtung.«

»Das werde ich auch tun.«

»Sir Clarence hat mir strikte Anweisungen gegeben.«

Während Nicholas wieder auf das Haus zuging, fragte er sich, aus welchem Grund ein solcher Privatbereich aufrechterhalten wurde. Und noch etwas anderes gab ihm ein Rätsel auf. Der Mann trug die Kleidung eines Gärtners und bewegte sich auch so, dennoch trug er einen Dolch am Gürtel.

Aus welchem Grund mußte er bewaffnet sein?

*

Lawrence Firethorn traf an der Spitze seiner Gruppe ein, um einen neuen Teil seines Reiches in Besitz zu nehmen. Nachdem er York in großem Stil »eingenommen« hatte, war er davon überzeugt, einen weiteren Triumph in Marmion Hall zu erleben. Der ganz andere Rahmen dieser Aufführung beflügelte ihn, eine Herausforderung, die er auf der Stelle annahm, indem er auf der Bühne schritt, um ein Gefühl für ihre Ausmaße zu bekommen, und laut redete, um die Akustik zu prüfen. Eine Probe wurde einberufen und alles in großer Eile vorbereitet. Die ganze Gruppe nahm die Gelegenheit wahr, den Kater der exzessiven letzten Nacht abzuschütteln. Im Gegensatz dazu vibrierte Firethorn geradezu vor Energie. Die Stunden der ehelichen Freudenfeier hatten ihn einfach stimuliert.

Ihr Gastgeber ließ Speisen und Bier auftischen, damit sie eine Stunde der Entspannung verbringen konnten. Der Oberste Schauspieler nahm Edmund Hoode und Barnaby Gill beiseite.

»Ich habe ein großartiges Gefühl für diesen Ort!« sagte er.

»Wir sind aber nicht hergekommen, um am Gefühl zu fummeln«, bemerkte Gill trocken. »Hebt Euch das für Margery auf.«

»Ich spüre, daß etwas Außergewöhnliches passieren wird.«

»Wollt Ihr etwa Euren ganzen Text im Kopf behalten?«

»Vorsicht, Barnaby. Reizt mich nicht, Sir.«

»Ich wünschte, ich könnte Eurem Optimismus zustimmen, Lawrence«, sagte Hoode trübselig. »Marmion Hall kommt mir bedrückt vor. Was außergewohnliche Ereignisse betrifft - eines hat bereits stattgefunden.«

»Jawohl«, stimmte Barnaby zu. »Wir haben gestern unser Gehalt bekommen.«

»Ich sprach von Master Oliver Quilley.«

»Erinnert uns nicht daran, Edmund«, stöhnte Firethorn. »Das war eine Tragödie erster Güte, doch sie darf nicht unsere Arbeit beeinflussen. Master Quilley war nur ein Mitreisender, der uns ein Stück begleitet hat. Sein Tod ist schockierend, betrifft uns aber nicht direkt.« 

»Wir können das nicht einfach mit einem Schulterzucken abtun, Lawrence.«

»Das müssen wir, meine Herren. Wir sind Schauspieler.«

Hoode warb um Mitleid, doch die anderen waren zu sehr mit der bevorstehenden Aufführung beschäftigt, um dem Toten mehr als nur eine Andeutung von Trauer zu widmen. Als der Stückeschreiber die Vermutung andeutete, der Mord könne irgendwie mit Westfield's Men in Verbindung gebracht werden, zogen sie die Idee sofort ins Lächerliche. Edmund argumentierte immer noch, als Nicholas zu ihnen trat.

»Zeit, sich vorzubereiten, Gentlemen.«

»Wir sind jederzeit vorbereitet«, sagte Gill ungeduldig.

»Das Publikum beginnt einzutreffen.«

»Dann muß ich mich in mein Kostüm werfen«, meinte Hoode.

Er und Gill gingen in Richtung Garderobe; Nicholas hielt seinen Chef für einen Moment zurück.

»Wir haben ein gewisses Problem, Sir.«

»Nichts, das wir nicht überwinden könnten.«

»Christopher Millfield ist nirgendwo aufzutreiben.«

»Aber der Mann war vor fünf Minuten noch hier.«

»Zehn«, korrigierte Nicholas den anderen. »Aber jetzt ist er nicht hier.«

»Dann ist er bestimmt nach draußen gegangen, um frische Luft zu schnappen.«

»Niemand konnte den Raum verlassen, ohne vorher mit mir gesprochen zu haben. Master Millfield kümmerte sich nicht um diese Vorschrift.«

»Dann tadelt ihn, Nick.«

»Das werde ich auch - wenn wir ihn finden.«

»Schickt George Dart auf die Suche nach ihm.« 

»Das habe ich bereits getan«, sagte Nicholas. »Er hat Haus und Garten vollständig abgesucht, kam jedoch mit leeren Händen zurück. Das ist ja gerade das Problem, Sir. Master Millfield ist verschwunden.«

*

Mark Scruton versteckte sich im Schatten des Unterholzes, bis er ein Dutzend Reiter auf der Straße nach Marmion Hall vorbeireiten sah. Dann trieb er sein Pferd an und verließ seine Deckung. Er brauchte nicht lange, bis er zu den anderen Gästen aufgeschlossen hatte. Als sie in die Auffahrt zum Haus einbogen, konnte er sehen, daß bereits andere Besucher von den Dienern ins Haus geleitet wurden. Es gab genügend Gewimmel, so daß er sich unter die Menge mischen konnte. Als eine Reiterin sich umdrehte, um ihn zu beäugen, lüftete er gewandt den Hut. Hinter ihm fuhr eine Kutsche vor, in der Ferne hörte man Hufschlag näher kommen.

Scruton stieg vom Pferd und überließ es einem der Diener. Der Schauspieler ging aufrechten Schrittes, wobei er sich auf seinen Stock stützte. Er war nur ein Teil der Masse, die durch den Haupteingang ins Haus drängte. In der Empfangshalle wurden die Besucher von Sir Clarence Marmion und seiner Frau erwartet und begrüßt; beide hatten sich für die besondere Gelegenheit fein herausgeputzt.

Der alte Mann mit dem grauen Bart nannte ihnen einen falschen Namen und bedachte sie mit einem freundlichen Lächeln; ohne mit der Wimper zu zucken überstand er ihren prüfenden Blick. Der Gastgeber und seine Frau wandten sich bereits einer neuen Gruppe von Gästen zu.       

Der erste Test war bestanden, er hatte ihn in bester Haltung gemeistert. Mark Scruton befand sich im Haus. Jetzt kam es nur noch darauf an, den richtigen Zeitpunkt abzuwarten.

*

Christopher Millfield tauchte zehn Minuten vor Beginn der Aufführung auf und mußte sich eine Gardinenpredigt von Lawrence Firethorn und eine scharfe Zurechtweisung von Nicholas Bracewell anhören. Er entschuldigte sich wortreich und behauptete, er habe sich im Garten verlaufen, aber der Regisseur glaubte ihm nicht so ganz. Weil die Aufführung aber unmittelbar bevorstand, hatte Nicholas keine Möglichkeit, ihn in dieser Sache genauer zu befragen. Er begab sich auf seine Inspektionsrunde und machte die letzten Kontrollen, bevor er sich auf seinen Beobachtungsplatz hinter dem Vorhang zurückzog. So hatte er die Möglichkeit, den größten Teil der Bühne und das Publikum im Blick zu haben. Er kam gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie Sir Clarence seinen Platz an der Seite seiner Frau und neben den anderen Familienmitgliedern einnahm. Direkt hinter dem Hausherrn hatte ein distinguierter alter Herr in einem schwarzen Wams und ebensolchen Reithosen seinen Platz. Als der Gast sich seinen grauen Bart kratzte, meinte Nicholas den Mann irgendwie zu kennen, doch er konnte der Gestalt keinen Namen zuordnen. Außerdem hatte er gar keine Zeit, um darüber nachzudenken. Publikum und Ensemble waren bereit. Der Regisseur gab das Startzeichen.