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»Ich weiß nicht«, sagte ich und blickte unbedacht wieder ins Feuer. »Ich weiß nicht, ob ich kommen soll …«

»Oh, nicht Ihr!«, sagte sie. »Das wäre überhaupt nicht gut.«

Sie sah nicht mich an, sondern Anne. Ich musterte die Countess erstaunt, Anne mit großem Entsetzen.

»Ich brauche eine Kammerfrau. Alle aufgeweckten Zofen sind in Paris bei der Königin oder in Oxford beim König. Es gibt keinen Grund, warum Rechtschaffenheit nicht attraktiv sein sollte, doch puritanische Frauen sind so langweilig wie Lebertran.« Ich versuchte erneut, sie zu unterbrechen, aber nichts konnte sie aufhalten. »Wir leben in einer Welt, in der das Unterste zu oberst gekehrt ist, wie es in der Ballade heißt, und wir machen aus Edelleuten Bauern und aus Bauern Edelleute. Aber für diesen Moment möchte ich dich Lady Black nennen. Männer mögen Geheimnisse. Komm schon, Anne. Wir haben nur wenig Zeit.«

Sie erhob sich und bedeutete Anne, ihr zu folgen. Anne sprang auf, doch damit endete ihre Folgsamkeit auch schon. Sie wich zurück und hakte die Finger ineinander, als wollte sie sie abreißen. »Ich kann nicht.«

»Unsinn. Natürlich kannst du.«

»Ich wüsste gar nicht, was ich sagen soll«, rief Anne gepeinigt auf. »Oder was ich tun soll!«

Ich trat zwischen sie und stellte mich schützend vor sie. »Sie hat recht. Das ist lächerlich. Wie soll sie einen Unterhaltung mit Mr Pym bestreiten? Oder mit Lord Stonehouse?«

Ehe die Countess antworten konnte, fuhr Anne mich an wie eine fauchende Katze. »Meinst du, ich hätte nichts von dir gelernt, wenn du dich endlos über Politik ausgelassen hast? Nichts von dort?« Sie deutete auf die Druckerei. »Nichts über den Krieg? Glaubst du das wirklich?« Sie wandte sich ab, Tränen stiegen ihr in die Augen, als sie die letzten Worte herauswürgte.

»Exakt«, sagte die Countess besänftigend. »Du kannst wunderbar zuhören, Anne, und stellst auf charmante Weise Fragen. Mehr erwarten Männer gar nicht von uns, ist es nicht so, Tom?«

Sie lächelte mir liebenswürdig zu. Ich hasste sie. Ich hasste ihr Gift. Ich begriff nicht, wieso ich sie jemals schön gefunden hatte, warum ich jemals von ihr fasziniert gewesen war. Doch bei all ihrer Durchtriebenheit glaubte ich nicht, dass sie Anne überreden könnte. Die Vorstellung versetzte Anne in Panik, sie war zu eingeschüchtert von denen, die sie für höherstehend hielt. Und tatsächlich ließ sie sich wieder auf ihren Stuhl sinken, kauerte sich vor dem Feuer zusammen und schüttelte starrsinnig den Kopf.

»Es ist unmöglich. Was soll ich anziehen? Ich habe nur dieses Kleid und ein oder zwei andere Fetzen.«

»Nun«, sagte die Countess. »Für den Anfang könntest du den hier nehmen.«

Anne drehte sich um und erstarrte. Die Tränen in ihren Augen glitzerten wie die Diamanten auf dem Anhänger, den die Countess gerade abnahm.

All die Demütigungen, die ich je von Anne erlitten hatte, seit ich ohne Stiefel an den Füßen in dieses Haus gekommen war, waren nichts gegen die Schmach, zusehen zu müssen, wie sie sich von Jenkins in die Kutsche helfen ließ. Ihr Entsetzen hatte sich in höchste Erregung verwandelt. Der Umgang zwischen Jenkins und ihr wirkte überaus vertraut, während Jenkins wieder dazu übergegangen war, mir wegen meiner zerknitterten Kleider und der schwarzen Finger verächtliche Blicke zuzuwerfen. Natürlich! Anne war nicht nur einmal bei der Countess gewesen, sondern mehrere Male. Lucy hatte mich zugunsten einer neuen Favoritin fallen gelassen.

Der ganze Haushalt hatte sich versammelt, um sie abfahren zu sehen, Mrs Black knickste, und Mr Black lüpfte seinen Hut wie ein Paar in einem Puppentheater an der Bartholomew Fair. Die Hälfte der Träger von Smithfield kam herbei, um der Kutsche zurück in die Cloth Fair zu helfen. Manche von ihnen hielten die Countess für die Königin, so wie sie lächelte und die Hand hob. Anne winkte mir zu, aber ich konnte nicht, würde nicht zurückwinken. Zu viel in diesem Winken, in dem Blick, den sie mir zuwarf, erinnerte mich an die Zeit, als sie mich verächtlich einen Affen genannt hatte.

»Manche von uns steigen rauf, und manche steigen runter«, sagte Sarah. »Aber womit sollen wir jetzt heizen?«

Es war eiskalt und inzwischen auch viel zu spät, um noch abzureisen. Nach dem Abendessen brachte ich mein Bündel nach oben und ging früh zu Bett, doch ich konnte nicht schlafen, da ich unablässig an Anne denken musste. Jetzt, wo ich mich hin und her warf, lösten sich meine Eifersucht und brennende Missgunst in quälende Sorge auf. Ich kannte sie so gut. Ihre Panik würde zurückkehren. Sie würden wissen, wer oder zumindest was sie war. Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dass Lord Stonehouse sie mit seinen schwarzen Augen eindringlich musterte. Was er wohl sagen würde? Ich sprang aus dem Bett und lief hinaus in die kalte Nacht.

Kein Ton war zu hören, bis auf die Rufe des Nachtwächters. Kein Hund bellte. Selbst in den Schänken schienen sich die Menschen am Feuer zusammenzukauern. Ich blieb stehen. Mein Atem hing als Eiswolke in der Luft, als der Nachtwächter an mir vorbeikam. Er sagte etwas, aber ich verstand kein Wort. Was tat ich hier? Warum eilte ich in dieser trostlosesten aller Winternächte durch London, um sie zu behüten und zu trösten, vergaß alles andere, so wie der Eheschwur in der Kirche es gebot, wenn ich sie nicht über alles liebte? Ich fühlte mich wie damals, als wir uns zum ersten Mal küssten. Nein! Wie damals, als ich mich danach sehnte. Ich stieß einen Freudenschrei aus. Rannte. Stürzte, rappelte mich lachend wieder auf und erreichte in dieser Stimmung den Bedford Square.

Ich machte einen Schritt, um seitlich um das Haus herumzugehen, wo ich so oft Briefe abgegeben hatte, als ich sie erblickte. Oder, wie ich besser sagen sollte, ich sah den Anhänger. Denn einen Moment lang erkannte ich die Frau nicht, die ihn trug. Es war Anne und doch nicht Anne. Ihre rosigen Lippen und Wangen hoben sich scharf von ihrer reinen weißen Haut ab, deren Blässe durch den Anhänger noch betont wurde. Er funkelte auf der Schwellung ihres kleinen Busens. Sie nickte gerade, neigte ernsthaft und respektvoll das Kinn vor Lord Stonehouse und zeigte damit ihren langen, glatten Hals. Zur gleichen Zeit, umrahmt von wunderschönen kleinen Löckchen, strahlten ihre großen blauen Augen hell und blickten kokettierend zu Lord Stonehouse auf, in einer Art und Weise, wie ich es nie zuvor gesehen hatte. Sie erinnerte mich an jemanden, aber so sehr ich mich auch anstrengte, ich wusste nicht, an wen.

45. Kapitel

In dieser Nacht kam sie nicht zurück. Von Eifersucht zerfressen, schlief ich nur wenig. Nachdem ich reglos und zu einem Eiszapfen erstarrt dort vor dem Fenster gestanden hatte, bis die ersten Kutschen kamen, erwachte ich am nächsten Morgen mit einer dicken Erkältung und Fieber. Mir fiel ein, an wen Anne mich erinnert hatte, als ich durch das Fenster zu ihr emporgeschaut hatte. Es war jemand, den ich niemals kennengelernt, sondern mir immer nur vorgestellt hatte: meine Mutter.

Je mehr das Fieber stieg, desto mehr verschmolzen die beiden miteinander, bis ich das Gefühl hatte, nicht länger zu wissen, wer Anne war, genau wie ich die Gewissheit über mich selbst verloren hatte, sobald ich mein Porträt in Highpoint erblickt hatte. Der Anhänger an Annes Busen wurde zu dem Anhänger, den Matthew aus den nassen Büschen gesammelt hatte, und ich dachte, ich müsste gehen, doch in dieser mir entgleitenden, verblassenden Vision hielt ich ihre Hand, und wir gingen zusammen.

»Eiscreme!«, kreischte Mrs Black.

Ich hob den Kopf und hörte das Murmeln von Annes Stimme. Ich war schweißgebadet, und meine Nase war geschwollen wie eine Schweinsblase. Aus den schwachen Sonnenstrahlen, die durch die frischen Eisblumen am Fenster drangen, schloss ich, dass es bereits nach Mittag war. Jemand hatte zusätzliche Decken und Umhänge über mich gehäuft. Ich wuchtete sie zur Seite und fing augenblicklich an zu zittern. Mrs Black kreischte erneut.