»Zeig sie mir.«
Verlegen stand ich auf und knöpfte meine Kniehose auf, bis mein Bein so nackt war wie an dem Tag, an dem das Pech darauf getropft war. Er starrte die gerötete, gerunzelte Haut an, berührte sie, und dann umarmte er mich, unvermittelt und unbeholfen. Die Umarmung endete so schnell und abrupt, wie sie begonnen hatte, und als er mich losließ, sah ich etwas, das einem Augenzwinkern näher kam als alles andere, das ich je in seinem düsteren, grüblerischen Blick gesehen hatte.
»Wie geht es Lady Black?«
»Die Hochzeit wird in einer der Kapellen von St. Paul’s stattfinden«, sagte ich.
»St. Paul’s!«, kreischte Mrs Black und fiel in Ohnmacht. Mr Black fing sie gerade noch rechtzeitig auf. Nachdem Jane sie mit Hilfe einer kräftigen Dosis Salz und Essig wieder zu sich gebracht hatte, waren ihre ersten Worte: »Was um Himmels willen soll ich bloß anziehen?«
»Man könnte meinen, es sei ihre Hochzeit«, sagte Sarah, die als Einzige völlig ungerührt blieb. Sie hielt standhaft an ihrer Philosophie fest, dass es nun einmal mit den Menschen bergauf und bergab geht …
»… aber es das Beste ist, da zu bleiben, wo man ist?« Ich grinste.
»Ohne deine großen Füße, die mir ständig im Weg waren, habe ich mehr Platz in der Mansarde«, schnaubte sie. »Bis du zurückkommst.«
Sie glaubte immer noch halb, dass es sich um eine von meinen Flugblattgeschichten handelte. Von Zeit zu Zeit erging es mir genauso. Während in der Drury Lane ein Haus aus dem Besitz der Stonehouse’ für uns vorbereitet wurde, hatte ich nichts zu tun. Banks, der Verwalter, und Jane kümmerten sich um alles. Sobald Lord Stonehouse herausgefunden hatte, dass sie Mrs Morlands Tochter war, hatte er darauf bestanden, dass sie den Haushalt in der Drury Lane übernahm. Eine positive Seite seines barschen, außergewöhnlichen Paternalismus war, dass er für seine Bediensteten sorgte. Als ich ihr die Stellung anbot, konnte sie nicht sprechen, sondern nickte nur und lief vor Freude rosig an. Für sie bedeutete es mehr als eine Rehabilitation, es war die Rückkehr in den Haushalt der Stonehouse’. Dort war sie aufgewachsen, und für sie war das ihre Familie.
Nie zuvor in meinem Leben war ich so untätig gewesen. Mr Black gestattete mir nicht, die Druckerei zu betreten. Seine Förmlichkeit im Umgang mit mir war beinahe erschütternd. Meine Hände wurden immer weißer, und es juckte mich in den Fingern, noch einmal die Lettern zu berühren. Anne war von der Countess in Beschlag genommen worden, die das Kommando über ihre Garderobe übernahm, ebenso wie über die ihrer Mutter, ihre Sprache, ihre Manieren, was sich gehörte und was nicht. Anne begegnete mir ebenfalls immer förmlicher, nannte mich auf alberne, gestelzte Weise Thomas, so dass ich mich bald danach sehnte, sie würde mich wieder Affe nennen.
Weder Kate noch Matthew würden zur Hochzeit kommen. Kate schrieb, dass Matthew Tag und Nacht an einem neuen Schiff namens Endeavour arbeitete, doch ich vermutete den wahren Grund darin, dass er die lange Hand von Lord Stonehouse fürchtete und es vorzog, in der relativen Sicherheit von Poplar vor den Toren der Stadt zu bleiben. Er schickte mir jedoch ein Hochzeitsgeschenk, das ich, wie er sagte, vielleicht doch noch brauchen könnte. Eingewickelt in dem Brief fand ich ein klein zusammengefaltetes Stück Papier, abgerissen von der Zeichnung eines Schiffszimmermanns. Darin lag eine silberne Halbkronenmünze. Die Lilie am Rand bewies, dass sie im Jahr 1625 geprägt worden war. Durchtrieben wie immer, war er nicht imstande gewesen, die Münze im Bach bei Lower Vale zu belassen, und musste sie herausgefischt haben, ehe er mir auf unserem Weg nach Highpoint nachgeritten war.
Über sich selbst schrieb Kate, ihre Rolle in dem Stück sei jetzt beendet, und sie habe ihren Frieden gefunden. Aber ich wusste, dass sie vor St. Paul’s war und zusah, entschwindend wie ein Irrlicht, sobald ich mich umdrehte. Denn am Hochzeitsmorgen hatte Jane, die inzwischen in die Drury Lane umgesiedelt war, einen Osterkuchen auf der Türschwelle gefunden.
Ich stolzierte in Silberknöpfen und scharlachroten Strümpfen umher und strauchelte beim Anblick einer gebieterischen Gestalt mit vergoldetem und blumenverziertem Haarschmuck.
»Komm schon, Affe«, flüsterte Anne, als der Brautkelch in die Höhe gehoben wurde und die Fiedler zu spielen begannen.
Die Freude am Hochzeitsfest wurde für mich nur dadurch getrübt, dass Lord Stonehouse darauf bestanden hatte, Anne solle den Anhänger tragen. Während wir unseren Schwur ablegten, hatte ich das Gefühl, die Rubinaugen des Falken würden mich finster mustern, als sei ich ein Hochstapler.
»Ihr solltet ihm dankbar sein, Tom«, sagte Mr Pym auf dem Hochzeitsfest in der Queen Street. »Der Vogel hat Euch auserwählt.«
»Dieser liederliche Vogel hat mich auserwählt? Was für ein Rätsel soll das sein?«
»Der Vogel steht für ein gewaltiges Vermögen.«
»Hört auf, John«, sagte Lucy. »Lasst Tom den Tag genießen.«
Doch wir hatten eine ganze Menge Wein getrunken, ich musste das Rätsel knacken, und sie wollten mir dabei helfen. Wie die geborenen Verschwörer zogen sie mich aus dem Gedränge im Empfangszimmer fort in den Schatten der Halle, in die Nähe der Statue der Minerva, hinter der ich mich an jenem Tag versteckt hatte, an dem ich mich zum ersten Mal in die Queen Street gemogelt hatte. Mr Pym fragte mich nach meiner Ansicht, warum Lord Stonehouse auf dieser Sitzung seine überraschende Bekanntmachung von sich gegeben habe.
»Warum? Weil ich eine brillante Rede gehalten habe!«, prahlte ich. »Außerdem habe ich bei der Suche nach dem Anhänger mich selbst gefunden und ihm gezeigt, dass ich der Mann bin, der ihn beerben sollte.«
»Alles richtig«, sagte Mr Pym. »Ohne das alles wäre es gewiss nicht dazu gekommen.«
»Aber?«
Unvermittelt verstummte er. Lord Stonehouse tauchte in der Tür zum Empfangszimmer auf. Er hatte ein Glas in der Hand, doch seine Miene wirkte, als hätte er nichts als Staatsangelegenheiten im Sinn. Dann entdeckte er Anne, die sich gerade mit Warwick unterhielt, und ein Lächeln zeigte sich auf seinem Gesicht, als er sich zu ihnen gesellte.
»Macht ist zerbrechlich«, sagte Lucy, mit einem Mal ernst.
»Man stellte Stonehouse’ Loyalität gegenüber dem Parlament in Frage. Zu Recht.«
»Zu Recht?« Ich schaute quer durch die Halle zu meinem Großvater, der auflachte, als Warwick ihm auf den Rücken klopfte. Er wirkte glücklicher und entspannter als ich es je erwartet hätte.
»Er hat Richard geholfen, nach Frankreich zu gelangen.«
Und nicht nur das, er hatte ihn sogar begleitet. Warwick kontrollierte den Seeweg, und es war eine riskante Überfahrt. Ein Schiff, an dem Lord Stonehouse einen beträchtlichen Anteil hat, hat Richard mitgenommen. Warwick war von einem seiner Kapitäne darüber in Kenntnis gesetzt worden. Die Gerüchte besagen, dass Richard von seinem Vater Geldmittel erhalten hat, die ihm den Weg nach Paris geebnet haben.
»Besser, Ihr wisst davon«, sagte Mr Pym und senkte seine Stimme noch weiter. »Er hat einen Fuß in beiden Lagern. Worum es ihm allein geht, ist das Vermögen und der Familienbesitz – und der Name. Aber indem er Richard geholfen hat, ist er zu weit gegangen, und bei der Sitzung war er gezwungen, in Bezug auf Euch eine Entscheidung zu treffen – und seine Loyalität zu erklären.«
Pym hatte Cromwells Rede geschickt in die Wege geleitet. Ebenso wie meine. Und, wenn man so will, meine Erbschaft. Ich war froh, dass mein Großvater Richard trotz des beträchtlichen Risikos geholfen hatte, denn er hatte ihm in der Vergangenheit ebenso geschadet wie mir. Doch ich musste auch daran denken, wie er die Narbe an meinem Bein berührt hatte, und an seine unbeholfene Umarmung. Auf seine Weise liebte er uns beide. Doch er wurde vom Falken getrieben, wie dieser ihn immer getrieben hatte, von der Sorge um seinen Besitz, und er setzte nicht alles auf eine Karte. Mit dieser Erkenntnis zog ich die halbe Krone aus der Tasche, die Glücksmünze, die Matthew mir zurückgegeben hatte, warf sie in die Luft und fing sie wieder auf. »Am Ende kommt also alles darauf an.«