»Nun, Tom«, sagte Mr Black mit amüsierter Miene. »Ich dachte, du seiest erwachsen und würdest dich vor nichts fürchten. Hast du immer noch Angst im Dunkeln?«
Ich hatte meine Sünden mit der Einsicht eines Mannes gebeichtet, aber jetzt verließ mich jegliche Vernunft, und wimmernd wie ein Kind flehte ich ihn erneut an.
»Gib ihm eine Kerze«, sagte Mr Black barsch.
Ich leistete keinen weiteren Widerstand. Schon früh hatte ich auf schmerzhafte Weise gelernt, dass es sinnlos war und George nur noch mehr Befriedigung verschaffte. George entzündete eine Kerze, und mit dem Winkelhaken in der anderen Hand führte er mich hinunter in den Keller. Sein Schatten breitete sich über die niedrige Decke aus. Als er die Kellertür öffnete, rief der feuchtkalte, faulige Geruch die Erinnerung an mein Entsetzen beim ersten Mal wach, als sie mich hierher gebracht hatten, doch ich unterdrückte es, entschlossen, vor George keine Angst mehr zu zeigen. Es war sehr spät, und die Kerze würde ausreichen, bis das erste Licht des Tages durch den bröckeligen Putz fiel.
Erst, wenn man regelmäßig bestraft wird, lernt man instinktiv, die Verfeinerungen solcher Strafen zu erkennen. Als George sich daran machte, die Tür hinter mir zu schließen, merkte ich, dass er mir die Kerze nicht geben wollte.
Ich stellte meinen Stiefel in die Tür und bemühte mich, sie weiter aufzuziehen. Mit unerträglicher Wucht traf der Winkelhaken meine Finger. Einen Augenblick lang konnte ich mich vor Schmerzen nicht rühren, doch das Klappern des Schlüssels ließ mich erneut an der Tür zerren. Es gelang mir, sie zur Hälfte zu öffnen und nach der Kerze zu schnappen. George zuckte zurück, und heißes Wachs spritzte auf seine Hand. Er schrie auf und ließ die Kerze fallen, die daraufhin erlosch.
Jetzt fiel nur noch ein schummriges, flackerndes, Licht aus dem Raum über uns in den Keller. Flüchtig sah ich, dass George mit dem Winkelhaken auf mich zukam. Ich duckte mich, und als er gegen die Wand krachte, packte ich ihn von hinten und stieß ihn mit solcher Macht gegen den Putz, dass ich glaubte, die Wand müsste einstürzen. Kraftlos tastete er nach dem Winkelhaken, den er fallen gelassen hatte. Ich entdeckte ihn auf der Treppe und schnappte ihn mir.
Der Winkelhaken war mir an jeder Stelle meines Körpers vertraut, bis auf meine Handflächen. Das Gefühl, als sich meine Finger um das Metall schlossen, um dieses verhasste Eisen, und die Angst vor der Dunkelheit in dieser stinkenden Zelle trieben mich dergestalt zur Raserei, dass ich auf George einschlug. Er duckte sich, doch ich erwischte ihn mit voller Wucht an der Schläfe, und der Gedanke, dass ich ihn gezeichnet hatte wie er mich gezeichnet hatte, löste eine solche Woge der Grausamkeit aus, dass es sich anfühlte, als sei der Teufel, von dem George immer behauptet hatte, er stecke in mir, entfesselt und dränge mich, ihn wieder und wieder zu schlagen, so wie er mich geschlagen hatte.
George glitt aus und stürzte, und Gott allein weiß, was ich getan hätte, wenn ich Mr Black eher auf der Treppe gehört hätte. Doch als ich mich endlich umdrehte und ihn erblickte, ließ er bereits seinen Stock auf mich niedersausen.
4. Kapitel
Ich dachte, es sei eine Laus. Pediculus Humanus Corporis, wie mein Lateinlehrer Dr. Giles mir eingetrichtert hatte, als er triumphierend ein besonders fettes Exemplar aus meinen Kleidern gefischt hatte. Sie kamen in der Nacht, um zu fressen. Wir waren aneinander gewöhnt, und solange sie sich nicht über besonders empfindliche Stellen wie meine Lenden hermachten, weckten sie mich selten auf. Und selbst dann weckte das Viech, solange es unentschlossen herumkroch, eher meinen Finger und Daumen, die über ihm schwebend darauf warteten, dass es sich endlich zum Fressen niederließ, ehe sie sich befriedigt den kleinen Leib schnappten, um sogleich wieder in den Schlaf zu fallen.
Doch dieses Biest hockte auf meinem Gesicht, das normalerweise zu ledrig für eine anständige Wanzenmahlzeit war. Meine Finger und Daumen pochten und stachen vor Schmerz, als ich instinktiv versuchte, sie zu krümmen, um die Laus zu fangen. Mein Kopf dröhnte wie die große Trommel bei der Lord Mayor Show, der Parade des Bürgermeisters. Etwas Furchtbares war geschehen, aber ich wollte mich nicht daran erinnern, ich wollte nur diese Laus fangen und wieder in den Schlaf sinken. Mein Finger und mein Daumen krochen verstohlen hoch zu meinem Gesicht. Sie berührten eine klebrige, zähflüssige Masse und hielten verunsichert inne, ehe sie sich um das Ding schlossen, das die Verwirrung ausgelöst hatte.
Im selben Moment spürte ich einen scharfen, nadelspitzen Schmerz und sprang schreiend auf. Ich sah wieder Mr Blacks zorniges Gesicht und seinen niedersausenden Stock vor mir, als ich begriff, dass ich keine tote Laus, sondern eine lebendige Ratte festhielt, die, angelockt von dem getrockneten Blut auf meinem Gesicht, quiekte und mich in die Hand biss.
Schreiend schleuderte ich sie fort. Ich konnte nichts sehen. Ich stolperte gegen eine Wand, kalt und schmierig vor Nässe, dann an eine andere, ehe ich die Tür fand. Laut rufend hämmerte ich dagegen, bis ich erschöpft zu Boden sank.
Das letzte Mal hatten sie mich hier eingeschlossen, als ich neu hierher gekommen war. Damals hatte ich mich dumm gestellt und so getan, als hätte ich meine Fähigkeit zu lesen verloren. Auf verquere Art hatte ich gehofft, sie würden glauben, dass mir die Gabe des Lesens genommen worden sei, genauso, wie sie mir verliehen worden war. Sobald ich für sie nicht mehr von Nutzen war, würden sie mich nach Hause schicken. George jedoch war wesentlich raffinierter als ich, wenn es darum ging, solcherlei Gedanken zu verdrehen und verwirren.
Wenn es eine Gabe sei, sagte er, und ich sie nicht benutzte, würde Gott mich dafür strafen, indem er mir das Augenlicht nähme. Doch ich blieb verstockt, und als sie mir die Bibel gaben, kam nichts als Unsinn aus meinem Mund. Also sperrten sie mich ein, und mit dem schwindenden Licht verschwand auch meine Starrköpfigkeit. In Poplar hatte ich immer das Licht der Sterne und des Mondes gesehen, egal wie bewölkt und düster es gewesen war.
Als das Dämmerlicht im Keller zur völligen Schwärze geworden war, glaubte ich, erblindet zu sein. Ich schrie und brüllte und wälzte mich im Keller herum, bis sie mich freiließen. Mr Black verbot George, mich noch einmal einzusperren. Bis jetzt.
Erschöpft wie ich war, versuchte ich das, was damals geschehen war, aus meinen Gedanken zu verbannen. Ich war jetzt ein Mann, sagte ich mir. Hatte Mr Black das nicht gesagt? Ich schöpfte etwas Mut aus seiner unerwarteten Belobigung und spielte die Szene immer wieder durch. Irgendwann würde es wieder hell werden, würde das Licht durch die Spalten in der Decke fallen.
Ich vergrub mein Gesicht in den Händen, bis ich meinte, eine Ewigkeit müsste vergangen sein. Ratten scharrten und huschten an mir vorbei. Ich schlug die Augen auf, aber es war immer noch stockdunkel. Wir hatten bis spät in die Nacht gearbeitet. Die Sonne würde doch gewiss bald aufgehen! Aber vielleicht war sie bereits aufgegangen? Unsinn, sagte ich mir. Gott konnte mich jetzt kaum dafür bestrafen, dass ich nicht lesen konnte, ich las die ganze Zeit! Doch dann ergriff mich Panik. George hatte mir erneut dieselbe Strafe auf den Hals gewünscht, weil ich ihn geschlagen hatte. Die Panik wuchs. Vielleicht war George tot. Was immer an Männlichkeit in mir steckte, ergriff die Flucht, und ich wurde wieder zu dem heulenden Kind, sprang hoch bis zur Decke und kratzte mit bloßen Nägeln den Putz herunter.
Der Keller befand sich unter der Druckerei und somit weit ab von den Schlafräumen. Trotzdem glaubte ich, dass Mr Black mich hören musste, und sei es nur gedämpft. Ich ballte die Fäuste, um gegen die Tür zu hämmern, als ich ein leises Kratzen vernahm. Es kam von unter der Tür. Noch mehr Ratten. Sie versuchten, in den Raum zu kommen. Ich stampfte mit dem Fuß auf. Ein Schrei. Entsetzt sprang ich zurück. Keine Ratte – eine Art Geist, Georges Geist murmelte hinter der Tür. Schließlich formten sich Worte aus dem Gemurmel.