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Ich fragte ihn, wer die Seeleute gewesen seien, die in jener Nacht bei Susannah waren.

»Seeleute?« Er schüttelte den Kopf. »Das waren keine Seeleute. Der Fährmann hat sie aus der Stadt rübergebracht. Sie sagten, sie seien Freunde von dir. Hatten gehofft, dich hier zu finden.«

»Habt Ihr ihnen geglaubt?«

Er spie aus und ging zum Fenster. »Ich würde sie nicht mit an Bord haben wollen«, sagte er. »Einer sah aus wie ein Soldat.« Er spie erneut aus. »Oder als sei er mal einer gewesen. Er hatte ein langes Gesicht. Trug einen Biberhut. Mit dem anderen möchte ich lieber nicht in Streit geraten. Sagte, dass sie dir helfen, deinen Vater zu finden.«

»Matthew! Was habt Ihr ihnen erzählt?«

»Dasselbe, was ich dem anderen Mann gesagt habe, der ihn gesucht hat, kurz nachdem er verschwand.«

»Welcher andere Mann?«

Zum ersten Mal sah er mich direkt an. »Steckst in Schwierigkeiten, was?«

Ich sagte nichts.

Er zögerte, dann fuhr er fort: »Ich sagte ihnen und dem anderen Mann, dass Matthew einen Platz auf dem Schiff nach Hull gesucht hat oder auf einem Kohlenschiff auf dem Weg zurück nach Newcastle.«

»Ist er dorthin gegangen?«

Er musterte mich prüfend und spie ein weiteres Mal aus. Dann nahm er ein paar Zeichnungen von einem Schemel und wies mich an, Platz zu nehmen. Er nahm eine Flasche aus dem Regal, auf dem auch die Flasche mit dem London Treacle gestanden hatte, den ich bekommen hatte, als ich mich mit dem Pech verbrannt hatte. Ich erinnerte mich an den seltsamen Traum von dem alten Edelmann, der sich an jenem Tag über mich gebeugt hatte, in genau diesem Raum.

»Wie geht es deiner Narbe?«, fragte er.

Ich zeigte ihm das verfärbte, leicht runzlige Stück Haut. Er betrachtete es fast bewundernd, während er Zeichnungen von Schiffen auf eine Seite des Tisches schob, die eines Tages vielleicht entstehen würden – oder nie. Er goss die braune Flüssigkeit aus der Flasche ein.

»Ehe du fertig bist, wirst du einen ordentlichen Schluck hiervon brauchen.«

Ich hustete, als ich die brennende braune Flüssigkeit herunterschluckte, und Tränen traten mir in die Augen. Das schien seine Laune zu heben.

»Und noch einen.«

Er kippte das, was seinen Worten nach der beste holländische Weinbrand war, natürlich verzollt, wie er mit einem Augenzwinkern beteuerte, hinunter, schenkte sich nach und starrte hinaus auf das halbfertige Boot im stillen Dock.

»Matthew stand hier, an dem Tag, an dem du gegangen bist. Er wollte zum Kai laufen und sich verabschieden. Er hörte, wie du nach deinem Vater gerufen hast und wäre beinahe zusammengebrochen. Aber er hatte zu große Angst.«

»Wo ist er hingegangen?«

Er deutete auf den Fluss. »Flussaufwärts, nicht abwärts. Am Tag, nachdem du gegangen bist – mit der nächsten Flut. Ich verschaffte ihm einen Platz auf einer Schute. Ich hörte ihn sagen, er wolle irgendwo zwischen Maidenhead und Reading abgesetzt werden. Ich habe keine Ahnung, wohin er von dort aus gegangen ist, aber er rechnete damit, dass es sich um eine Tagesreise handelt, auf der grünen Straße, was immer das sein soll.«

Ich umarmte ihn. »Danke, danke! Ihr sagtet, ein anderer Mann habe nach Matthew gefragt. Kurz nachdem er verschwunden ist. Wer war es?«

Der Schiffsbauer schien gleichzeitig mit den Schultern zu zucken und zu erschaudern. »Ich hatte ihn nie zuvor gesehen, und ich bin nicht besonders erpicht darauf, ihm noch einmal zu begegnen. Er sagte mir, wo ich ihn erreichen könnte, falls ich von Matthew hörte, aber ich hörte nie von ihm, also gab ich ihm auch nie Bescheid.«

Während er sprach, wühlte er in einer Schublade zwischen alten Zeichnungen und Gezeitenkalendern, bis er ein Stück Papier ausgegraben hatte. Die Handschrift war unregelmäßig und kaum lesbar, in kurzen wütenden Strichen hatte die Feder sich ins Papier gebohrt. Es war die Handschrift eines Mannes, der spät im Leben und unter großen Schwierigkeiten Schreiben gelernt hatte, und sie war mit vielen Kringeln und Schnörkeln verziert, um seine gesellschaftliche Stellung zu unterstreichen. Er hatte geschrieben: R. E. Esq., bei Mr Black, Half Moon Court, Farringdon, London.

Der Schiffsbauer wusste nicht, wer R. E. Esq. war, aber er sagte, er hätte eine Narbe im Gesicht gehabt, die von der Wange bis zum Hals reichte, genau wie Matthew es mir gezeigt hatte, als er mich so eindringlich vor einem narbigen Mann gewarnt hatte, damals vor acht Jahren am Lagerfeuer.

Ehe ich zur Tür hinaus war, hatte er sich einen weiteren Brandy eingegossen. Ich war schon halb die Treppe runter, als er rief: »Warte! Bei dem ganzen Gerede hätte ich es beinahe vergessen!«

Erneut wühlte er in der Schublade herum, dann in einer anderen, wobei er vor sich hin nuschelte und schließlich eine Münze zum Vorschein brachte. »Matthew sagte, sie würde dir gehören, nicht ihm.«

Es berührte mich zutiefst, als ich daran dachte, dass mein Vater, selbst in einem Moment der Panik und obwohl er selbst alles Geld gebrauchen konnte, das er hatte, mir so viel hinterlassen hatte, wie er konnte. »Mir?«

»Es gehört dir. Das hat er gesagt.«

Verwirrt nahm ich die Münze entgegen, drehte sie immer wieder um, als könnte ich in den Inschriften irgendeine Botschaft erkennen. Aber es war nur ein silbernes Halbkronenstück wie jedes andere, das den König auf einem Streitross zeigte.

6. Kapitel

Wenn ich in Poplar bliebe, würden sie mich finden, wer immer sie sein mochten. Also tat ich das, wovon ich annahm, dass sie es nicht erwarten würden. Wie Dick Whittington machte ich kehrt und ging zurück in die Stadt.

Ich würde herausfinden, wer die Männer waren, die meiner Überzeugung nach meine Mutter getötet hatten. Ich würde versuchen, Antworten auf die Fragen zu finden, die ohne Unterlass in meinem Kopf herumwirbelten wie ein Schwarm wütender Bienen. Warum hatte Mr Black mich als Lehrjungen genommen? Was hatte er mit dem Mann mit der Narbe zu tun?

Der Einzige, der diese Fragen beantworten konnte, oder zumindest die meisten davon, war Mr Black.

Der Wind trieb dunkle dahineilende Wolken über die Marsch, als ich am nächsten Morgen nach einer zweiten Nacht bei Mutter Banks aufbrach. Gegen Mittag erreichte ich die Außenbezirke der Stadt. Dort machte ich Halt. Mit meiner Lehrlingskluft würde ich nicht weit kommen, und die Überreste der flotten Matrosenmütze verdeckten mein rotes Haar kaum.

Kurz hinter der Stadtmauer fand ich genau die Art Markt, die ich brauchte. Von Irish Mary in einer Stoffbude im zweiten Gang kaufte ich dünne Kniehosen, weil sie Schleifen hatten, die man am Knie binden musste und von denen ich so töricht war zu glauben, das sei der letzte Schrei. Meine Lehrlingsstiefel tauschte ich gegen ein Paar Schuhe mit schicken Schnallen, wie sie auch »bei Hofe« getragen wurden, wie die Frau sagte. Ich liebäugelte mit einem ledernen Wams und zog die Münze hervor, die Matthew mir hinterlassen hatte. Sie biss hinein und sagte, es sei nicht nur eine gute, sondern eine der ersten Münzen, die geprägt worden waren.

»Woher wollt Ihr das wissen?«

»Seht hier. Auf dem Rand … die Lilie.«

Mit dem langen Fingernagel deutete sie auf die winzige bourbonische Lilie über dem Kopf des Königs. Sie sagte, dieses Zeichen verrate, dass die Münze 1625 geprägt worden sei, im Jahr der Krönung des Königs.

»Genau so alt wie Ihr«, kicherte sie.

Ein unerklärlicher Schauder erfasste mich; die Art Zittern, die Susannah stets hatte frage lassen: »Ist jemand über dein Grab gelaufen, Tom?«