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Das willkommene kleine Spiel wurde von einer vertrauten Stimme unterbrochen.

»Was ist hier los?« George war aus dem Half Moon Court getreten. Er trug immer noch einen Verband, dort, wo ich ihn mit dem Schürhaken getroffen hatte, aber sein umherhuschender Blick war so scharf wie eh und je. Ich wandte mich ab und hob meinen Hut auf. Die Frau erzählte ihm, was geschehen war. Alles, was ihn zu interessieren schien, war, dass die Kutsche und sein Passagier verschwunden waren. Rasch hob ich die Uniform auf, die von den Rädern der Kutsche zerrissen und beschmutzt worden war. Ich spürte seinen Blick auf mir, doch dann hörte ich Annes Stimme.

»George, gehst du?«

Mir wurde leicht ums Herz! Wenn ich nur mit ihr sprechen könnte, ehe ich vor ihren Vater trat!

»Ich muss meinen Umhang holen«, sagte George. »Es ist ein kalter Abend.«

»Bitte beeil dich!«

»Schon gut, schon gut«, murrte er.

Er warf mir einen weiteren neugierigen Blick zu. Ich bückte mich und sammelte einen verfaulten Apfel aus dem Abwasserkanal auf, was ihn zufrieden zu stellen schien. Vermutlich war ich ein Bettler, und er wollte zurück in den Hof. Unter den überhängenden Giebeln war es dunkler, und es war leicht, ihm zu folgen, indem ich mich auf der anderen Straßenseite im Schatten der Häuser hielt. Obwohl meine neuen Schuhe undicht waren, machten sie weniger Lärm als die plumpen Stiefel. Im Haus wurden Kerzen angezündet. Am längsten hatte stets das Licht in meiner Kammer gebrannt, und ich konnte immer noch die Bibel meiner Mutter auf der Fensterbank liegen sehen.

Ich war entschlossen, zumindest diese mitzunehmen.

Anne kam zur Tür. Sie trug ein hellblaues Kleid mit hoher Taille, von dem ich wusste, dass es ihr bestes war. Vermutlich hatte sie es zu Ehren des Besuchers angezogen. Darüber trug sie eine Schürze. Sie hielt Georges Umhang in der Hand. Er schien sich endlos Zeit zu lassen, ihn umzulegen, und die ganze Zeit über schüttelte er ernst den Kopf, bis er sich endlich dazu durchrang, etwas zu sagen.

»Was Mr Black zugestoßen ist, ist Gottes Heimsuchung für Euer Verhalten, Miss Black«, sagte er.

Entsetzt sah sie ihn an. »Was meinst du damit?«

»Ich denke, das wisst Ihr«, sagte er fest.

»Ich weiß es wahrhaftig nicht. Und jetzt hol den Doktor!«

Ich starrte hinauf zum Fenster von Mr Blacks Schlafzimmer. Im flackernden Kerzenlicht konnte ich lediglich Mrs Black erkennen, die ruhelos am Bett vorbeischritt und aus dem Fenster spähte.

George schloss die Knöpfe seines Umhangs, blickte zum Fenster empor und sprach erst wieder, als Mrs Black außer Sicht war. »Ihr habt den Teufel aus dem Keller gelassen«, sagte er leise.

»Durchaus nicht!« Ihre Stimme war ähnlich leise, aber scharf und verachtungsvoll, als sei dies das Letzte auf der Welt, das ihr auch nur im Traum in den Sinn käme.

»Ich habe Euch gesehen.«

»Ich ging nach unten, als ich den Tumult hörte.«

»Ich sah Euch hinaufgehen.«

In seiner Stimme lag eine Spur Unsicherheit, auf die sie sich prompt stürzte. »Das kann gar nicht sein! Du nimmst dich selbst viel zu wichtig. Hol den Doktor!«

Möglicherweise log er und hatte nur einen Verdacht. Oder er hatte etwas gesehen, konnte sich indes, noch benommen von meinem Schlag, nicht sicher sein. Jedenfalls begann er sich widerstrebend zu entfernen, und mein Herz flog Anne zu, weil sie ihm die Stirn bot.

Alles wäre gut gegangen, wenn sie nicht verbittert hinzugefügt hätte: »Du hättest ihm eine Kerze dalassen sollen.«

Sie wusste, was sie angerichtet hatte, kaum dass die Worte ihren Mund verlassen hatten. George blieb stehen und drehte sich ganz langsam um. Dabei sah ich das zufriedene Lächeln auf seinem Gesicht. Es verschwand, als er sie mit ernster Miene anblickte.

»Woher wisst Ihr von der Kerze?«

Sie ließ ein leises Stöhnen hören. »Bitte geh!«

»Mr Black braucht mehr als einen Doktor, um gesund zu werden. Wir müssen die Ursache seiner Krankheit mit der Wurzel herausreißen. Eure Sünde.«

Er sprach so feierlich, so ernst, dass ich gegen das Gefühl ankämpfen musste, er habe recht, habe die ganze Zeit recht gehabt, und dass mir der Teufel im Leib saß. Als George und Mr Black mich damals von Poplar hierher gebracht hatten, hatte ich da nicht, noch ehe das Boot gegen die Blackfriar Stairs stieß, geschworen, mich ihm gegenüber so schlecht zu benehmen wie nur möglich?

»Ihr müsst beichten«, forderte George.

Sie schwankte. Ich glaubte, sie würde in Ohnmacht fallen.

»Ich kann es meinem Vater nicht sagen! Es würde ihn umbringen!«

»Dann müsst Ihr es Gott beichten.«

»Ja, ja. Du wirst es also meinem Vater nicht erzählen?«

»Wenn Ihr brav seid, Kind, und Euch meiner Lenkung anvertraut.«

Sie nickte flüchtig und wandte sich ab. Ich konnte sehen, dass sie nahe daran war, in Tränen auszubrechen. »Bitte geh jetzt.«

Er war hartnäckig. »Werdet Ihr es tun? Meine Führung annehmen?«

»Ja.«

Er lächelte. »Gott sei gepriesen! Eine reuige Sünderin!«

Er ergriff ihre Hände und begann ein Gebet zu murmeln. Zuerst fügte sie sich und hielt den Kopf gesenkt, doch als sie versuchte, ihre Hände fortzuziehen, wurde sein Griff stärker, und er betete murmelnd weiter. Ein halbes Dutzend Mal wäre ich beinahe aus dem Torbogen getreten. Ein halbes Dutzend Mal hielt ich mich mit aller Macht zurück, bis es mir plötzlich egal war, ob er ganz und gar gut und ich ganz und gar böse war. Ich sprang hervor.

»Lass sie los! Lass sie in Ruhe!«

Nichts, was George hätte sagen können, hätte seine Ansicht besser darstellen können. Einen Moment lang musste ich ausgesehen haben wie ein böser Geist, der aus dem Untergrund aufgestiegen war. Anne schrie auf und wich zur Tür zurück. George rannte los. »Anne!«, rief Mrs Black von oben. »Was ist los? Holt George den Doktor?«

Er war spurlos verschwunden. »Ich hole ihn«, sagte ich.

Mein schlechtes Gewissen trieb mich an, ich hatte das Gefühl, der Grund für Mr Blacks Krankheit zu sein. Zu einem Wortbruch gehörte mehr, als die Uniform fortzuwerfen und die Stiefel zu verkaufen. Ich ging, weil es mir nicht aus dem Kopf ging, dass es nicht länger meine Pflicht war. Mehrmals im Jahr hatte Mr Black diese seltsamen Anfälle. Er hörte auf, mit was immer er gerade tat, und starrte mich an wie ein blinder Mann. Einmal wollte er sich auf seinen Stuhl sinken lassen, verfehlte ihn und stürzte zu Boden. Als es zum ersten Mal geschah, fürchtete ich mich sehr, und Mrs Black bläute mir ein, dass ich, wenn so etwas geschähe, sofort zu Dr. Chapmann laufen müsse, da das Leben meines Masters davon abhinge.

Der Doktor lebte in der Nähe von St. Bartholomew’s in Little Britain, doch glücklicherweise kehrte er gerade von einem Patienten nur zwei Straßen weiter zurück. Er war ein emsiger kleiner Mann, der stets ausgezeichneter Laune war.

Als ich ihm zum ersten Mal begegnete und sagte, ich würde mein Haar hassen, hatte er mir angeboten, mich umsonst zur Ader zu lassen, angesichts der Entdeckungen von Mr Harvey, der verkündete, dass das Blut zirkulierte und alles nährte; wenn er mir genug davon abnähme, sagte er, würde vielleicht auch die Farbe aus meinem Haar verschwinden. Ich glaubte, er meinte es ernst, und wich hastig zurück, woraufhin er in schallendes Gelächter ausbrach.

Jetzt sagte er schlitzohrig, während wir zum Half Moon Court zurückeilten: »Deine höfische Aufmachung gefällt mir, Tom. Sollst du morgen dem König vorgestellt werden?«

Lachend stieg er die Treppe empor, doch sein Lachen erstarb rasch. Ich erkannte stets am Klang seiner Stimme, wie ernst der Anfall war. Jetzt gingen sein Gruß und sein Geplänkel fast sofort in Schweigen über. Von Anne oder George gab es keine Spur. Bis auf das Murmeln des Doktors war es sehr still im Haus. Ab und an knarrten die Dielen, wenn er über mir über den Boden schritt. Es war völlig unmöglich, Mr Black zur Rede zu stellen, aber zumindest konnte ich meine Bibel holen.