Ich öffnete die Tür zur Küche, wo in einem Kessel neben dem Feuer Wasser erhitzt wurde. Ich schlich zum Fuß der Treppe, von wo aus ich sehen konnte, dass die Tür zu Mr Blacks Schlafkammer geschlossen war. Ich hörte das leise Klappern von Metall in einer Schale. Einmal hatte ich zugesehen, wie Dr. Chapmann ihn zur Ader gelassen hatte. Nachdem er eine Binde um Mr Blacks Arm gelegt hatte, hatte er die Lanzette in der Kerzenflamme erhitzt und sie in die hervorstehende Ader gestochen. Das Blut spritzte heraus, wurde jedoch rasch zu einem stetigen Rinnsal. Es dauerte etwa zehn Minuten.
Ich stieg ein, zwei Stufen der Treppe empor. Ein Schatten fiel auf den kleinen Absatz über mir. Ich erhaschte einen Blick auf den Saum von Mrs Blacks schwarzem Kleid und wich an die Wand zurück. Sie konnte es nicht ertragen, wenn jemand zur Ader gelassen wurde, und zog sich in ihre eigene Kammer zurück. Anne war vermutlich bei ihr.
Unentschlossen stand ich da. Ich konnte geradewegs durch die Druckerwerkstatt und bis in Mr Blacks dahinterliegendes kleines Kontor blicken. Die Tür war normalerweise verschlossen, doch jetzt stand sie offen. Papiere bedeckten das Schreibpult und den Boden darum herum. Ein Stuhl war umgestürzt. Ich nahm eine Kerze aus der Küche und ging an der Druckerpresse vorbei ins Kontor. Mr Black musste hier gearbeitet haben, als der Anfall ihn ereilte.
Als ich den Stuhl aufhob, sah ich es. Ein gebundenes schwarzes Rechnungsbuch, eines von der Sorte, in denen Mr Black die Ausgaben für Tinte und Papier sowie die Anzahl der verkauften Nachrichtenblätter zu notieren pflegte. Doch auf dem Titel dieses Buchs stand mit Tinte ein einziger Buchstabe T.
Was immer ich gehofft hatte zu sehen, als ich es aufschlug, es war kein langweiliges Geschäftsbuch. Stattdessen erkannte ich Mr Blacks säuberliche Handschrift, mit der er eine Liste mit Anschaffungen und Zahlenreihen aufgeschrieben hatte.7. Oktober 1640. Gezahlt an notwendigen Ausgaben für nämlichen Lehrjungen:
Pfund S chilling D ime Stiefel, 2 Paar 1 12 4 Uniform, gefüttert 4 10 0 Strümpfe, aus Kammwolle 6 2 Hemden, 2 Stück 1 9 10 Mütze 8 3
Hastig blätterte ich durch die Seiten. Das war mein Leben im Half Moon Court, von den Kosten für den Fährmann, der mich hierher gebracht hatte, und den Unterricht bei Dr. Gill, bis zu dem Brot und Käse, den ich gegessen hatte, sorgfältig aufgelistet bis auf den letzten Halfpenny. Bei einem Wort stutzte ich, da es nicht zu den anderen aufgeführten Begriffen zu passen schien. Porträt. Porträt?
Ich blätterte zurück und stieß auf einen Eintrag, dessen Betrag alle anderen in den Schatten stellte.8. August 1637. Gezahlt an P. Lely, für ein Porträt in Öl & Rahmen, 20 Pfund.
Ich war niemals porträtiert worden! Allein die Vorstellung war ein Witz. Nur von den Menschen bei Hofe wurden Bilder gemalt. Nein. Das war nicht richtig. Jeder Lord Mayor wurde gemalt und sein Porträt im Rathaus aufgehängt. Ich wurde sehr still.
Im Sommer 1637 hatte ich eine Nachricht an den Schreiber des Rathauses überbracht und wurde angewiesen, auf eine Antwort zu warten. Während ich im Wartesaal saß, kam ein junger Mann hereingeschlendert. Sein Kittel und seine Hände waren mit Farbe verschmiert. Er sprach mit einem starken holländischen Akzent und sagte, der Lord Mayor sei ausgegangen, und er warte ebenfalls auf ihn.
Er schob mein Gesicht zur Seite, so dass er mein Profil sehen konnte, und murmelte etwas auf Holländisch. Er sagte, er sei es leid, immer nur alte Männer zu malen, die jung und schneidig aussehen wollten, und zur Übung würde er zu gerne eine Skizze von jemand Jungem und Schneidigem anfertigen.
Ich fühlte mich geschmeichelt und staunte über die unglaubliche Geschwindigkeit, mit der er mich skizzierte. Als der Schreiber mit der Antwort für mich sowie der Nachricht kam, dass der Lord Mayor jetzt zu sprechen sei, hatte der Maler mich eingefangen wie einen Vogel im Flug. Ein Grinsen. Einen Schmollmund, wenn ich mich langweilte. Im Profil. Mit großen Augen direkt aus dem Blatt Papier herausstarrend.
Während die Kohle über das Papier flog, knurrte er: »Eure Augen. Die Nase. Alles, bis auf das Haar.«
»Was meint Ihr damit?«
Er schien zu sehr in Anspruch genommen von der nächsten Skizze, um antworten zu können. »Dreh dich um. Nein, nein! Anders herum.«
Ich bettelte ihn an, mir eine Skizze zu schenken, aber er sagte, er bräuchte sie alle.
»Vielleicht wirst du ja eines Tages das Gemälde sehen, hm?«
Er lächelte, tätschelte meine Wange und hinterließ Spuren von Kohle und Farbe, die ich nicht fortwischte, sondern wartete, bis sie von allein verschwanden.
Peter. So lautete sein Name! Ich starrte auf das Rechungsbuch. P. Lely. Peter Lely. Vielleicht hatte Mr Black ihn beauftragt, ein Porträt von sich selbst anzufertigen? Nein. Kein Drucker konnte sich das leisten, und wenn er könnte, würde es gewiss gut sichtbar irgendwo hängen. Jemand hatte für ein Porträt von mir bezahlt. Aber wer? Warum? Und wo war es jetzt?
Über mir hörte ich Schritte, die tiefe Stimme des Doktors und Mrs Blacks leise geflüsterte Antwort. Rasch blätterte ich durch die restlichen Seiten. Ein zusammengefaltetes Blatt Papier, das ich für ein Lesezeichen hielt, rutschte aus dem Buch. Ich hob es auf und legte es auf den Tisch. Im Rest des Buches fand sich nichts mehr von Interesse, aber am Ende entdeckte ich einen völlig neuen Abschnitt. Mr Black hatte das Buch umgedreht, um auf der letzten Seite damit zu beginnen. Es handelte sich um eine Mischung aus einem Tagebuch und dem Bericht eines Vormunds über meine Fortschritte oder den Mangel derselben.
Ich sei »störrisch wie ein Esel«. »Aufgeweckt, aber unbändig.« An einem Tag gab es einen »Hoffnungsschimmer«, am nächsten vollkommene Verzweiflung. »Wenn ich könnte, würde ich ihn ins Boot zurück nach Poplar setzen.«
Wie sich bald herausstellte, waren dies Notizen für einen Bericht mit sorgfältiger gewählten Worten, denn ich stieß auf den Entwurf eines solchen Reports, in dem mehrere abgeänderte Einträge zusammengefasst waren. Er war vor zwei Monaten verfasst worden, und darin hieß es: »Mr Tom spricht Latein wie ein Gelehrter, und ich habe ihm eine gute italienische Handschrift beigebracht, er kann bei Tisch eine Gabel benutzen, aber seine Tugendhaftigkeit muss immer noch ernstlich in Frage gestellt werden.«
Mr Black hatte Berichte von Dr. Gill bekommen. Warum hat er die geschrieben? Sie mussten für dieselbe Person bestimmt sein, die das Porträt in Auftrag gegeben hatte. Das Rech-nungsbuch beantwortete zumindest einige der Fragen, die begonnen hatten, mich zu plagen. Mr Black war dafür bezahlt worden, dass er mich erzog und ausbildete, entweder von dem Mann mit der Narbe oder, was wahrscheinlicher war, von dem freundlichen alten Edelmann, den er vertrat, wie Matthew mir erzählt hatte.
Mir fiel das Stück Papier ein, das ich aufgehoben hatte, und ich faltete es auseinander. Es war Teil eines Briefes, geschrieben auf anderem, dicken Papier von bester Qualität, dessen Handschrift sich sehr von Mr Blacks unterschied. Mein Lehrmeister war stolz auf seine Handschrift, die einfache, sich neigende Schrift eines Geschäftsmanns ohne Schnörkel, wie es erforderlich war für Mitteilungen, die vielleicht rasch im dämmrigen Licht oder auf einem schwankenden Karren gelesen werden mussten.
Dieser Brief war in einer unregelmäßigen linkischen Schrift verfasst, großzügig mit Kapitalen gesprenkelt, mit kräftigen Federstrichen versehen, die sich durch die umgebenden Zeilen schnitten und es schwer machten, die Worte zu entziffern, so dass ich das Papier näher an die Kerze halten musste. Solch ein Papier benutzten nur Edelleute, möglicherweise jemand, der einen Schreiber hatte, um seine Briefe für ihn anzufertigen. Ich konnte sehen, warum er diesen hier nicht diktiert hatte.