Und während ich flüsternd die Bezeichnung der Anschaffungen vorlas, überflog sie mit wachsender Verwirrung die Zahlen dahinter. Sie kannte ein paar Buchstaben von ihren Stickarbeiten und die Zahlen vom Einkaufen. Wir hörten, wie die Tür zur Schlafkammer oben geöffnet wurde. Ich ließ das Buch beinahe fallen und konnte nicht finden, wonach ich gesucht hatte. Anne bat mich stumm, zu gehen, die Hände flehend ineinander verschlungen.
Ich fand den Eintrag.8. August 1637. Gezahlt an P. Lely, für ein Porträt in Öl & Rahmen, 20 Pfund.
Sie verstand die Worte nicht, starrte jedoch in so großer Verwunderung auf die Ziffern, dass sie nicht auf Dr. Chambers Stimme reagierte.
»Ich werde morgen wieder vorbeischauen.«
Von Mr Black kam keine Antwort, aber seine Frau sagte: »Seht! Er schreibt etwas!« Ich hörte, wie der Doktor in die Kammer zurückkehrte.
»Zwanzig Pfund!«, rief Anne aus.
So viel verdiente ein geschickter Schreiber in einem Jahr. Ich erklärte ihr, wofür es gezahlt worden war.
»Ein Bild? Von dir? Es muss etwas mit dem Mann mit der Narbe zu tun haben.«
»Das denke ich auch.«
»Ich hasse ihn!«, sagte sie heftig. »Schreit meinen kranken Vater an. Kommandiert ihn herum. Wer ist er?«
Ich schüttelte den Kopf. Sie schaute immer noch auf die Eintragung im Buch und dann zu mir. Ich weiß nicht, was sie sah, aber es war nicht länger ein Clown, eine Witzfigur oder auch nur ein Lehrjunge. Sie biss sich auf die Unterlippe, wie sie es häufig tat, wenn sie gereizt oder ratlos war.
»Zwanzig Pfund«, wiederholte sie noch einmal voller Ehrfurcht. »Für ein Bild. Von dir.«
»Von einem Affen.«
»Mach keine Witze. Wo ist es?«
»Woher soll ich das wissen?«
»Ich weiß es.« Die Worte platzten explosionsartig aus ihr her-aus. »Eines Tages hat mein Vater …« Sie verstummte.
»Was hat dein Vater?«
Sie schüttelte den Kopf und weigerte sich, noch mehr zu sagen. Wir hörten, wie Dr. Chapman sich verabschiedete, und ich eilte durch die dunkle Druckerwerkstatt zur Tür. Verzweifelt versuchte ich mir etwas auszudenken, wie ich Anne wiedersehen könnte.
»Kannst du mir meine Bibel bringen?«
»Wohin?«
»Ich werde dir schreiben. Durch Sarah.« Erneut stöhnte ich innerlich, aus Verzweiflung darüber, dass sie nicht lesen konnte.
»Ich werde es lernen«, sagte sie sachlich, als sei es etwas, dass sich in ein, zwei Tagen erledigen ließe. »Wenn mein Vater nicht sprechen kann, muss ich lesen können. Meine Mutter kennt sich im Geschäft nicht aus.«
»Bring die Bibel in die Kirche. Sonntag.«
Sie stand da, zart und entschlossen, und ließ mich durch die Hintertür hinaus, während ihre Mutter den Doktor zur Vordertür geleitete. Sie hatte etwas an sich, dass ich nie zuvor bei ihr vermutet hätte, hinter all dem Spott und den oberflächlichen Spielchen, etwas, dass ich selbst in diesem Alter nur Berechnung nennen konnte.
Was immer es war, ehe sie die Tür schließen konnte, beugte ich mich vor und küsste sie.
7. Kapitel
Nach diesem Kuss war ich wie benommen und fühlte mich wie im Traum. Vermutlich kann man es kaum einen Kuss nennen, eher ein Zusammenstupsen der Nasen, eine Kollision meiner Lippen mit ihrer Wange, die so kalt war wie das gesplitterte Eis im Eimer. Ein kurzes Festhalten ihrer zitternden Zartheit. Sie war zerbrechlich wie ein aus dem Nest gefallener Vogel, den ich einmal in Poplar gefunden und vergebens versucht hatte, zu wärmen und am Leben zu erhalten. Und doch eröffnete dieser Kuss mir die ganze Welt.
Ich sorgte mich nicht um meine Sicherheit, war blind für das, was um mich herum geschah. Alles, was ich wollte, war, über dieses Zittern nachzudenken, diese kalte Wange, ihre Arme, die mich festgehalten hatten.
Ich hätte leicht George in die Arme laufen können, doch er musste vergeblich nach einem Constable Ausschau gehalten haben, denn ich hörte von anderen Leuten, die die Straße entlangströmten, dass es vor Westminster zu heftigen Tumulten gekommen war. Ich tauchte in der Menge unter und war so wesentlich schwerer zu finden.
Ein Mann hatte durch einen Spieß eine Wunde davongetragen, aus der Blut sickerte. Er taumelte fast gegen mich. Ich duckte mich, als er seinen Knüppel erhob, doch er demonstrierte nur jubelnd, wie er den Schädel des Wachmanns zertrümmert hatte, der ihm die Wunde zugefügt hatte. Er sagte, sein puritanischer Master habe ihm den Knüppel gegeben und ihn gedrängt, für den Gesetzentwurf zu kämpfen.
»Den Gesetzentwurf?«
»Die Große Remonstranz! Die Freedom Bill! Die Anhänger des Königs versuchen, Mr Pym davon abzuhalten, sie offiziell zu verkünden, weil sie ihm die Kontrolle über Leute wie mich gibt. Die Armee!«
»Ihr seid Soldat?«
»Nein! Weber.« Stolz hielt er seinen Knüppel in die Höhe. »Und Mitglied der Allerheiligen Bürgergarde!«
»Dann müsst Ihr Will kennen«, sagte ich, denn Will war ein begeisterter Anwerber für die Allerheiligen.
»Und seinen Vater!« Der Weber hielt erneut seinen Knüppel hoch und schrie: »Ormonde! Ormonde!«
»Ormonde! Ormonde!«, skandierte die Menge.
Wills Vater war ein glühender Unterstützer von Mr Pym und trat bei den Wahlen zur Ratsversammlung gegen den Kaufmann Benyon an, der mit Waren aus Ostindien handelte. Wer immer die Stadt kontrollierte, kontrollierte auch die städtischen Bürgergarden wie die Allerheiligen, die insgesamt rund zehntausend Mann umfassten.
Nachdem ich bereits von Anne ganz berauscht war, machte mich der Gedanke an all das nur noch trunkener, bis ich schließlich das Pot erreichte, wohin sich viele der Demonstranten begaben. Was Mr Ink vorhergesagt hatte, war eingetreten. Der Aufruf war an das Volk gerichtet gewesen – und das Volk hatte geantwortet!
Die Worte, die er kopiert und die ich aus dem Schmutz gerettet hatte, hatten dies bewirkt. Zumindest glaubte ich das. Nun ging der Kampf darum, dass sie auch offiziell veröffentlicht wurden. Unsere Schwarzkopien wurden in den Schänken gelesen, wo sie bierdurchtränkt von Hand zu Hand gereicht und den Menschen vorgelesen wurden, die nicht lesen konnten, Menschen, die schweigend nickten.
Sie sprachen nicht von Rebellion. Das Volk sprach von der Magna Charta. Von alten Rechten auf schwindendes Gemeindeland, das die Menschen von ihren Familien fort nach London getrieben hatte. Von dem Recht auf Religion. Und von dem größten Recht von allen – dem Recht, sich einen Laib Brot leisten zu können.
Will konnte ich nirgends entdecken. Ich klammerte mich an ein Bier, das mir ein vollkommen Fremder in die Hand gedrückt hatte, während ich in dem Gedränge etwas erspähte, das alles andere aus meinen Gedanken vertrieb. An der Bar stand der Mann mit dem Biberhut. Meine Wut rang mit dem Verlangen, die Flucht zu ergreifen. Ich glaubte, dass er meine Mutter getötet hatte. Ich hatte wenig gegessen, und das Bier stieg mir zu Kopfe. Die Wut gewann, und ich kämpfte mich durch die lachende, schreiende Menge. Jetzt sah ich die massige Gestalt von Crow und meinte erneut zu spüren, wie er meinen Kopf zurückriss, um mir die Kehle durchzuschneiden. Crow drehte sich um und musterte die Menge mit starrem Blick. Ich legte meine Hand an meinen Dolch, überzeugt, dass er mich gesehen hatte, aber er gehörte zu jenen Männern, die sich gewohnheitsmäßig ständig umsahen, um zu wissen, was hinter ihrem Rücken vorging.
»… letzte Ort, an den er kommen würde«, hörte ich ihn sagen.
»Ein Hund kehrt immer zum Gestank seiner eigenen Scheiße zurück«, sagte der Mann mit dem Biberhut.
Ein paar Kerzen standen auf einem Tisch, an dem ich auf dem Weg zur Bar vorbeikam. Ich löschte sie mit meinem Ärmel aus. Jemand rief etwas. Im Schatten verborgen näherte ich mich der Bar.