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»Sein Name lautet Captain Gardiner«, sagte Luke. »Er ist ein entfernter Verwandter von Lord Stonehouse, ein armer Cousin.«

Ich betastete ein letztes Mal mein rotes Haar und reichte Will stumm den Sack mit der widerwärtigen Masse. Im Hof tauchte ich meinen Kopf in einen Eimer mit eiskaltem Wasser, schüttelte mich wie ein Hund und schloss die Augen.

»Ist auch gut gegen Läuse«, sagte Will.

»Sie werden schwarz anstelle rot«, prustete Luke.

Ich erschauderte und würgte, als sie die übelriechende Paste in mein Haar rieben. »Das ist widerlich! Wie lange muss ich so bleiben?«

»Die ganze Nacht.«

»Was?!«

Der schlimmste Moment war, als Ben am nächsten Morgen kam. Als er mich auf einen Arm gestützt im Bett vorfand und die Masse wie harter Lehm an meinem Kopf klebte, verlangte er zu wissen, was darin sei, denn wenn es Bleiweiß sei, könnte es sein, dass ich nicht nur die Farbe, sondern gleich all meine Haare verlöre.

Ängstlich betrachtete ich mich in einem zinnernen Spiegel, als Luke wie ein Bildhauer den Lehm wegmeißelte. Meine Haare waren noch da, nicht ganz schwarz, aber von einem staubigen dunklen Braun. Die Wirkung war verblüffend. Selbst Luke hielt den Mund. Doch dann begann er zu lachen, als ich mein Gesicht berührte, um mich zu vergewissern, dass ich der Fremde war, der mir aus dem Spiegel entgegenblickte.

Die Glocken läuteten, als ich mich am nächsten Sonntag St. Mark’s näherte, der Kirche von Mr Blacks Gemeinde. Ihr Klang war im ganzen Bezirk und darüber hinaus wiederzuerkennen, da eine der Glocken leicht gesprungen war und den anderen hinterherzuhinken schien. Ich sah aus wie ein frommer Puritaner, mit strahlend weißem Kragen, einer schwarzen Jacke und einem Paar Kniehosen von Will, die Charity gekürzt hatte. Mein dunkles Haar umrahmte mein Gesicht unter dem breitrandigen Filzhut. Ich blickte zu Mr Blacks Kirchenbank. Er war nicht dort, George hatte seinen Platz neben Mrs Black eingenommen. Mein Herz machte einen Satz, als ich Anne erblickte – und noch einen, als ich sah, dass sie die Bibel meiner Mutter dabei hatte, die sie versprochen hatte, mir zu bringen.

Nach dem Gottesdienst blieb ich sitzen, scheinbar in ein stilles Gebet vertieft. Anne ging so dicht an mir vorbei, dass ihre Röcke mich beinahe streiften. Ein Hauch von Rosenduft aus ihrem Duftkissen wurde zu mir getragen. Hinter meinen zum Gebet erhobenen Händen zwinkerte ich ihr zu. Verdutzt sah sie mich an, ließ beinahe die Bibel fallen und schob sie unter die Bank neben mir.

Draußen trödelte Anne und trat nicht zu ihrer Mutter und George, die in ein Gespräch mit Benyon vertieft waren, dem Kaufmann, der mit ostindischen Waren handelte und der bei den Wahlen zur Ratsversammlung als Mann des Königs gegen Wills Vater antreten würde. Ich war überrascht, ihn hier zu sehen, denn Mr Black verachtete seine Politik und seine Religion. St. Mark’s war eine »halbreformierte« Kirche, und Benyon drängte stets auf eine Rückkehr zu den alten Sakramenten und Zeremonien. Doch Anne und mir verschaffte seine Anwesenheit die Zeit, die wir brauchten.

Wir hatten beide den gleichen Gedanken und traten nacheinander hinter ein Mausoleum, das dem Andenken an Samuel Potter und seiner Witwe gewidmet war. Unablässig blickte sie sich schuldbewusst nach ihrer Mutter und George um wie ein in die Enge getriebenes Tier. Ich wagte nicht, sie zu berühren, aus Furcht, sie könnte die Flucht ergreifen.

»Danke für die Bibel, Miss Black«, sagte ich.

Sie schluckte und lächelte über die formelle Anrede. »Tom, ich kann dich nicht wiedersehen.«

»Dann solltet Ihr mich gewiss auch nicht Tom nennen.«

»Mr Neave.« Jetzt konnte sie sich ein Lächeln nicht verkneifen, obwohl sie den Tränen nahe war. »Du Narr – wie siehst du nur aus?«

»Ich bin ein Puritaner geworden.«

Ich ahmte Georges steife Würde nach. Sobald ich um die Ecke des Mausoleums spähte, konnte ich ihn sehen. Er hatte die Hände hinter dem Rücken verschränkt und nickte Benyon ernst zu, ebenso wie dem Pfarrer, Mr Tooley, der sich zu ihnen gesellt hatte. Anne versteckte ihr Gesicht hinter den Händen, um ihr Lachen zu verbergen. Sobald sie aufhörte, nahm ich meinen Hut ab. Erneut musterte sie mich verblüfft, als sie mein Haar sah.

»Hör auf, du Narr, hör auf! Was um Gottes willen hast du mit deinem Haar gemacht?«

»Es nennt sich Rabenflügel.«

»Raben…«

Sie schlug die Hand vor den Mund, um das Lachen zu ersticken. Als sie in ihren schweren Holzschuhen ausrutschte, klammerte sie sich an mich. Ich fing sie auf und ließ sie beinahe sofort wieder los, da ich immer noch befürchtete, sie würde entweichen wie ein Vogel. Doch in einer plötzlichen Bewegung hielt sie mich so fest, dass ich erschauderte. Sie schmiegte ihr Gesicht an meine Brust. Immer noch beklommen legte ich probeweise meine Hand auf die glatten Haarsträhnen, die der Wind unter ihrem Hut auf ihre Stirn geweht hatte. Sie hatte die Augen geschlossen, als würde sie schlafen. Für einen kurzen Moment brach die Sonne durch und wärmte uns, und sie murmelte etwas, als würde sie träumen. Ich streichelte sie zärtlich, doch darüber hinaus rührte sich keiner von uns und wollte es auch nicht.

»Anne«, rief ihre Mutter. Reglos standen wir da, nur meine Hand streichelte sie.

»Anne?« Lauter und fragend.

Anne riss die Augen auf. Mit einem leidenschaftlichen, wilden, verzweifelten Blick starrte sie zu mir empor, und für einen kurzen Moment nahm er jene tiefe eindringliche Zartheit an, von der ich nie geglaubt hatte, sie in ihren graumelierten Augen zu sehen.

»Anne?« Mrs Blacks Holzschuhe klapperten auf dem Weg.

»Gott vergebe mir«, flüsterte Anne. »Ich kann dich nicht wiedersehen. Versuch nicht, mich zu treffen, Tom. Bitte, bitte geh!«

Sie löste sich von mir, winkte ihrer Mutter zu und ging langsam auf sie zu. Ich folgte ihr in meiner frommen Pose und umklammerte meine Bibel. Mrs Black starrte mich an, wandte sich dann jedoch wieder der Unterhaltung zu. Ich schnappte einen Brocken auf, als George sagte: »Der König hat recht. Pym ist zu weit gegangen«, ehe Anne, aus Angst, ich würde direkt zu ihnen gehen, hinter ein Urnengrab sprang und mich verzweifelt heranwinkte.

»Geh zurück«, zischte sie.

»Nicht ehe du mir gesagt hast, was du für mich empfindest!«

Sie hob einen Zweig auf und schlug damit gegen ein paar Kräuter. »Ich empfinde nichts! Gar nichts!«

»Das ist nicht wahr! Ich habe den Ausdruck in deinen Augen gesehen!«

»Der Ausdruck in meinen Augen!«, spottete sie, und jetzt lag in ihrem Blick dieselbe Grausamkeit, mit der sie sich als Kind über meine Affenfüße lustig gemacht hatte. Doch ich hielt ihrem Blick stand, bis sie sich schließlich mit einem Achselzucken abwandte und den Kräutern einen weiteren wilden Hieb versetzte.

»Sag mir, dass du mich nicht liebst«, sagte ich. »Dann werde ich gehen und niemals versuchen, dich wiederzusehen.«

Sie schien mich nicht zu hören. Sie begann die Kräuter aufzusammeln, die sie zuvor abgeschlagen hatten. Erneut bat ich sie, mir zu sagen, dass sie mich nicht liebe, und ich würde verschwinden.

»Ich kann nicht«, flüsterte sie. Zwischen den Kräutern waren Nesseln, die sie verbrennen mussten, aber sie schien es nicht zu bemerken.

»Du kannst nicht? Was meinst du damit?«

Sie ließ ein leises Stöhnen hören, und einen Moment glaubte ich, sie würde ihr Gesicht in die Brennnesseln drücken. »Es ist eine Sünde, dich zu lieben.«

Als Allererstes verstand ich, dass sie mich liebte. Ich machte eine Bewegung, um sie in den Arm zu nehmen, aber ihr flehentlicher gequälter Blick ließ mich innehalten. Ich zog mich umgehend zurück, denn jetzt würde ich alles für sie tun, jetzt, wo ich wusste, dass sie mich liebte. Alles. Doch etwas musste ich sie fragen.