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Selbst der Schritt des Königs, Mr Pym wegen Hochverrats anzuklagen, was vom Parlament vertagt wurde, schien ihm keine Sorgen zu bereiten. Denn das würde einige Zeit in Anspruch nehmen, und die Zeit war jetzt auf Mr Pyms Seite. Mr Ink schüttelte seine verkrampften, überall mit Tinte bespritzten Finger aus und erzählte mir, dass es einen Gesetzentwurf gäbe, den Bischöfen ihre Sitze für immer abzuerkennen. Zweite Lesung. Ein Gesetzentwurf, um die Macht des Königs zu beschneiden, ohne Zustimmung des Parlaments ein Heer aufzustellen. Dritte Lesung. Ein Gesetzentwurf …

Er drückte mir einen Brief in die Hand, der umgehend der Countess of Carlisle überbracht werden musste, und eilte davon, um weitere Gesetzentwürfe abzuschreiben. Als ich den Bedford Square überquerte, näherte sich eine Kutsche mit solcher Geschwindigkeit, dass ich gezwungen war, auf den Gehsteig zu springen. Dabei stürzte ich, und der Brief fiel in einen Haufen zusammengefegten Schnees. Als ich mich endlich wieder gesammelt und den Brief aufgehoben hatte, war die Kutsche vor dem Haus der Countess mit einem Ruck zum Stehen gekommen, und sie selbst kam aus dem Haus und die Vordertreppe herunter. Wie gelähmt stand ich da, genau wie am Tag der königlichen Parade, als ich sie für die Königin gehalten hatte. Sie hatte die Juwelen einer Königin nicht nötig. Ihre Augen glänzten, und die Wangen glühten in der schneidenden Luft. Über einem kunstvoll bestickten Kleid aus grüner Seide trug sie einen Pelzumhang. Die kleinen Ringellöckchen erbebten, als sie einen Lakaien schalt, weil er einem Jungen befahl, die Stufen von den Schneeresten zu befreien.

»Um Himmels willen, Jenkins, lass mich durch! Wenn ich mich nicht spute, wird ein größerer Schaden zu beklagen sein als ein gebrochenes Bein!« Sie glitt am Fuß der Treppe aus, fing sich wieder und drehte sich zu ihm um. »Schaffst du es?«

»Ich werde es versuchen, Ma’am.«

»Versuche interessieren mich nicht. Du musst es schaffen!«

Er machte eine leichte Verbeugung. Als er seinen Kopf senkte, sah ich, wie er kurz die Augen schloss und die Zähne zusammenbiss, um seine Gefühle im Zaum zu halten. Die Countess nahm einen Brief aus ihrem Umhang und reichte ihn dem Lakaien, und im selben Moment sah sie mich, den Brief in der Hand, wie ich sie angaffte. Jenkins erblickte mich ebenfalls. Er ließ seine aufgestauten Gefühle an mir aus, schnappte sich meinen Brief und stieß mich beiseite.

»Fort!«

Ich glitt aus, fand mein Gleichgewicht wieder, und als er zu ihr zurückkehrte, zeigte ich ihm den Stinkefinger und schlurfte davon.

»Warte!«

In dem Glauben, dass sie unmöglich mich meinen konnte, schlenderte ich weiter, bis Jenkins mich am Arm packte.

»Du! Junge! Komm her.« Ungeduldig winkte sie mich heran. »Ja! Du!«

Widerstrebend kehrte ich zurück, so widerwillig, dass Jenkins mir ein paar Stöße versetzte, um mich voranzutreiben. Ich ging auf sie zu, blieb kurz vor ihr stehen und blickte zu Boden, überzeugt, dass sie in mir den Jungen wiedererkennen würde, der beim Einzug des Königs am Fenstersturz gehangen und auf ihr tief ausgeschnittenes Kleid heruntergeschaut hatte.

»Sieh mich an!«

Es war, als würde man von mir verlangen, in die Sonne zu schauen. Sie strahlte jene Art von Glanz, von Perfektion aus, die in das Reich der Phantasie gehörte, nur unzureichend angedeutet in abgenutzten Holzschnitten von Göttinnen, und doch stand sie jetzt in vollem Glanz vor mir. Es hieß, sie habe die Pocken gehabt, aber ich konnte es nicht glauben. Da war keine Narbe, kein einziger Makel auf der perfekten weißen Haut ihres Halses oder den von der Kälte rosigen Wangen zu sehen. Es hieß, sie sei alt, über dreißig, aber ich konnte nicht glauben, dass sie sehr viel mehr als zwanzig Jahre zählte. Es hieß, sie sei die Geliebte von Mr Pym, doch so sehr ich seine Worte und seinen Mut auch verehrte, ich weigerte mich zu glauben, dass so eine göttliche Frau diese alten Knochen lieben könnte.

Forschend starrte sie mich an. Voller Panik merkte ich, dass sie etwas zu mir gesagt hatte, und ich hatte kein Wort verstanden.

»Hat er keine Stimme?«, sagte sie zu Jenkins, der mir einen heftigen Stoß versetzte.

»Doch«, sagte ich und fand die Sprache mit Mühe wieder.

»Kannst du diesen Brief zu Mr Pym bringen?« Als ich meinen Mund öffnete, ahnte sie schon meine Erwiderung und wischte sie mit einer ungeduldigen Handbewegung beiseite. »Ich meine jetzt, während der Debatte, und ihn stören?«

Es war Fremden unmöglich, das House während der Sitzung zu betreten, aber genauso unmöglich schien es, ihr das zu sagen.

»Ja.«

Ein weiterer heftiger Stoß von Jenkins. »Ja, Ma’am«, sagte er. »Weißt du nicht, wie du Höherstehende anzusprechen hast?« Salbungsvoll und entschuldigend wandte er sich an die Countess. »Verzeiht, Ma’am, es sind die Zeiten, der Pöbel …«

»Ach, sei doch still, Jenkins!« Sie reichte dem Lakaien den Brief. »Geben Sie ihn ihm«, sagte sie, als sei es gefährlich, mir nahe genug zu kommen, um ihn mir persönlich auszuhändigen.

Mit einem Blick voll puren Hasses reichte Jenkins mir den Brief, und ich fügte ihn meiner immer längeren Liste von Feinden auf dieser Welt hinzu. Ich nahm den Brief, blieb jedoch stehen, unfähig, den Blick von ihr abzuwenden.

»Mach schon«, rief sie. »Mr Pyms Leben hängt davon ab! Lauf!«

Ich rannte. Für sie würde ich alles tun. Wie Merkur dahinfliegen, der als Bote für solch eine Göttin angemessen gewesen wäre.

»Halt! Warte!«

Mit einem Ruck kam ich zum Stehen und stürzte beinahe noch einmal in den Schnee. Die Countess eilte zur Kutsche. Sie war eine Frau, die erwartete, dass jeder mit ihren rasch wechselnden Gedanken Schritt hielt.

»Komm her! Steh nicht so rum!«

Ich hatte keine Ahnung, dass sie den Ruf hatte, das Unglaubliche, das Undenkbare zu tun. Ich rannte zurück, sah ihr zu, wie sie in die Kutsche stieg, das Kleid angehoben, so dass ihre Unterröcke für einen Moment ihre Galoschen umspielten.

»Steig ein!«

Stumm stand ich da, als sei ich wie der Schnee festgefroren. Sie wandte ihren Blick gen Himmel, als wollte sie Gott fragen, warum sie es nur mit Schwachköpfen zu tun hatte. »Du wirst es niemals rechtzeitig schaffen. Jenkins!«

Ein entsetzter Jenkins sprang vor, rutschte aus, rettete sich, indem er die offene Kutschentür umklammerte, und warf mir einen weiteren hasserfüllten Blick zu – dieses Mal war er zusätzlich noch erfüllt von Ungläubigkeit. Jenkins stieß mich hinein und knallte die Tür zu. Die Countess klopfte gegen die Verkleidung, die Kutsche fuhr ruckend an, und ich wurde gegen die Countess geworfen. In ihrer Miene flackerte Abscheu auf, als ich sie berührte. Einem Ertrinkenden gleich packte ich einen schwankenden Halteriemen und zog mich in die gegenüberliegende Ecke. Während die Kutsche rumpelnd vom Platz in die Bow Street einbog, klammerte ich mich an den Riemen, ganz benommen von ihrem Duft, der sich schwer um mich zu legen schien. Wegen des gewaltigen Gestanks in London war ich so daran gewöhnt, kurze, forschende Atemzüge zu nehmen, dass es eine ganz neue Erfahrung für mich war, so tief einzuatmen und mich gänzlich dem Luftholen hinzugeben. Erstaunt stellte ich fest, dass es nicht ein Duft war, sondern viele; Jasmin und Lavendel betäubten die Sinne, nur um von einem scharfen Anflug Zimt erneut angeregt zu werden.

Die Bremsen quietschten, und ich ließ den Halteriemen los, woraufhin ich mit dem Kopf gegen die Vorderwand der Kutsche knallte und meinen Hut verlor. Karren und Kutschen bogen in The Strand ein und verstopften die Straße vor uns so dicht wie Hammelpasteten den Ofen des Kochs. Der Kutscher eines Karrens und der einer Mietkutsche schrieen sich an.

»London wird immer unmöglicher! Du solltest besser laufen!«, befahl die Countess.