»Ertappt!«, sagte er und rieb sich voll Schadenfreude die Hände. »Ich sagte meinen gelehrten Freunden, dass du eine kleine Maus bist, die nur zum Essen herauskommt, wenn die Falle ausgelegt ist.«
Etwas an der Art, wie er das Wort »Falle« aussprach, gefiel mir nicht und raubte mir den Appetit. Ich ließ den Löffel auf den Teller fallen. »Bin ich in Newgate?«
»Newgate?« Er lachte sich kaputt. »Viel schlimmer als das. Du befindest dich in meinem Haus in der Nähe des Lincoln’s Inn. Ich bin Advokat. Die Menschen können dem Gefängnis entkommen, aber niemals dem Gesetz. Stimmt’s, Mr Eaton?«
Als der Mann mit der Narbe eintrat, drehte ich mich zur Wand. »Ist er wach, Mr Turville? Ich hatte gehofft, er würde nie wieder zu sich kommen, damit wäre unser Problem erledigt gewesen.«
Ein nadelspitzer Schmerz schoss durch meine Schulter, als er mich packte und hochzog. Ich schrie auf und brach am ganzen Körper in Schweiß aus. Die Narbe war eine violett flackernde Wunde, die nahe davor zu sein schien, mein Gesicht zu verschlingen. Angewidert drehte ich mich weg.
»Das reicht!«
In der Stimme des anderen Mannes lag ein neuer Tonfall. Er setzte sich auf das Bett, das unter seinem Gewicht nachgab, und roch stark nach Moschus. »Nun denn. Du bist nicht im Gefängnis und wirst auch nicht dorthin kommen.«
»Leider«, sagt der Mann, den er Eaton genannt hatte.
Turville ignorierte ihn und sagte freundlich und tröstend: »Komm, Mr Tom, setz dich auf. Wir müssen uns einmal ausführlich unterhalten. Setz dich hin. Sei ein braver Junge.«
Er berührte meine Schulter. Es war nichts gegen den Schmerz, den Eaton mir bereitet hatte, doch ich fürchtete mich mehr vor seinem freundlichen Gebaren als vor Eatons Gewalttätigkeit. Ich war erschöpft, ausgelaugt davon, nicht Bescheid zu wissen, während die um mich herum so vielsagende Bemerkungen machten wie »mein lieber Tom« oder »Mr Tom«. Ich sprang auf, stieß ihn beinahe vom Bett und schrie ihn an, wobei ich auf Eaton deutete.
»Er hat versucht, mich zu töten! Er will es jetzt auch! Seht ihn Euch an! Ich kann ihn nicht in meiner Nähe ertragen! Ich halte es nicht aus, ihn zu sehen!«
Der Ausbruch raubte mir das bisschen Kraft, das ich hatte, und ich fiel zurück ins Bett. Der Moschusgeruch überwältigte mich beinahe, als Turville das Laken wieder über mich legte. »Das ist Unsinn, Tom! Mr Eaton hat dich hierher gebracht. Er hat dir das Leben gerettet! Sein Mann hat Crow erschossen, als dieser dich erschießen wollte.«
Wenn mein Körper bereits erschöpft war, so raubte mir das den Verstand. Ich beschimpfte sie. Mein Leben gerettet? Der Mann mit der Narbe? Wer hatte Matthew fortgetrieben, und wessen Männer hatten, wie ich glaubte, Susannah getötet? Der fette Mann stand auf und führte eine geflüsterte Unterhaltung mit Eaton.
»Tragt ein Halstuch, Mann! Er hat Albträume wegen Eurer Narbe! So werden wir niemals weiterkommen.«
Mein Fieber wurde schlimmer. Das nächste Mal, als ich Eaton sah, hatte er ein Tuch um den Hals geknotet, das den schlimmsten Teil seiner Narbe verbarg, doch ich sah sie trotzdem: in den Kohlen, die den Raum heizten, in den Zweigen eines Baumes draußen vor dem Fenster. Ich bildete mir sogar ein, ein Mann mit einer Narbe nähme für den Galgen Maß an mir.
Als Eaton nicht mehr kam, erholte ich mich allmählich. Turville erklärte mir nicht, warum er mich in seinem Haus behielt. Er bestand darauf, dass ich kein Gefangener sei, obwohl ich eingesperrt war. Das geschähe zu meiner eigenen Sicherheit, protestierte er, weil ich so verwirrt sei! Als ich um meine Kleider bat, sagte er, sie seien ruiniert. Er habe neue in Auftrag gegeben; aber diese tauchten niemals auf. Von Jane erfuhr ich, dass Turville Lord Stonehouse’ Anwalt war und Eaton dessen Verwalter.
Nun war ich vollkommen verwirrt. Stand ich plötzlich erneut in Lord Stonehouse’ Gunst? Oder steckten eher finstere Absichten dahinter? Höflich und geschickt wich Turville all meinen Fragen aus.
Jane pflegte mich langsam wieder gesund, obwohl ich so schwach und teilnahmslos war, dass ich kaum aus dem Bett kam. Aus der vertraulichen Art, mit der Turville sie berührte, schloss ich, dass sie miteinander schliefen. Ich sah, wie sie vor ihm zurückzuckte, und als ich eine Bemerkung darüber machte, brach sie zusammen und erzählte mir ihre Geschichte.
Sie war Dienstmädchen in Highpoint gewesen, Lord Stonehouse’ Landsitz, bis ein Edelmann – sie weigerte sich, seinen Namen zu nennen – sie verdarb. Ihre Mutter, Mrs Morland, die Haushälterin von Highpoint, wollte nichts mehr mit ihr zu tun haben. Jane verlor ihre Stellung und Eaton, dessen Aufgabe es war, sich um solche Dinge zu kümmern, brachte sie in Turvilles Haushalt unter.
Ein seltsames Band wuchs zwischen uns. Sie hatte ein Kind geboren, das gestorben war. Von dem, was sie belauscht hatte, wusste sie, dass ich einer ähnlichen früheren Verbindung entstammte, aber sie konnte mir keine Einzelheiten nennen. Ich glaube, sonderbarerweise hielt sie mich für das Kind, das sie verloren hatte. Sie erzählte mir, dass der süße Milchpunsch, der mir so schmeckte, Opium und andere Kräuter enthielt, damit ich benommen blieb, bis sie ihre Pläne mit mir geschmiedet hatten. Ich hörte auf, von dem Punsch zu trinken, und goss die heiße Milch mit Bier in den Nachttopf. Jane hörte, wie Turville Eaton erzählte, ich sei liebeskrank, doch dass ich am Ende der Woche davon kuriert sei.
»Kuriert? Was meinte er damit?«
»Ich weiß es nicht. Aber Mr Turville sagte es, als Mr Eaton zusätzliches Geld für Mr Black verlangte.«
»Zusätzliches Geld? Wofür?«
Sie schüttelte den Kopf. Ihre Hand zitterte, als sie in ihrer Schürzentasche herumwühlte, den Schlüssel zu meiner Kammer hervorzog und ihn mir in die Hand drückte.
»Seine Schlafkammer ist das erste Zimmer, an dem Ihr im nächsten Stock vorbeikommt. Eure Kleider liegen in einer Kommode neben dem Ankleidetisch. Lasst den Schlüssel im Schloss stecken. Sie werden denken, ich sei unachtsam gewesen.«
»Das werden sie niemals glauben!«
Sie zuckte mit den Schultern. »Turville trifft sich morgen um neun Uhr mit Mr Eaton. Sein Studierzimmer liegt im ersten Stock. Sobald Ihr hört, wie sie hineingehen, schleicht Euch hinaus. Von der Halle aus führt ein Korridor zur Hintertreppe. Die Tür wird offen sein.«
Ich flehte sie an, mit mir zu kommen, doch sie weigerte sich und sagte, sie würde nie eine andere Stellung finden. Aber ich könne einen Brief für sie an ihre Mutter schicken, die sehr krank sei. Sie wollte, dass ihre Mutter ihr das, was sie getan hatte, vergab.
Das, was sie getan hatte! Aber ich schrieb den Brief und versprach, ihn an Mrs Morland zu schicken. Oder vielleicht, dachte ich, als ich in jener Nacht in den Schlaf sank, könnte ich ihn selbst überbringen. Mrs Morland war einmal in die Liaison eines Edelmanns verstrickt gewesen. Ich fragte mich, ob es vielleicht noch ein zweites Mal vorgekommen war.
Am nächsten Morgen wartete ich an der Tür, bis ich Eatons barsche Stimme hörte, Turvilles Begrüßung und das Schließen einer Tür, bei der es sich vermutlich um die zum Studierzimmer handelte. Erst dann öffnete ich meine Tür. Durch das Treppenhaus erblickte ich einen kleinen Teil der schwarz-weißen Bodenfliesen der Halle. Ich nahm ein paar Stufen und hielt den Atem an. Im Treppenaufgang hing ein riesiges Bild. Es zeigte ein prachtvolles Haus, mit einer Reihe von Türmchen und holländischen Giebeln sowie einer dreistöckigen Turmuhr samt Glockenturm über den Säulen eines steinernen Vordachs. Winzige Gestalten waren auf den Rasenflächen und auf den Feldern zu sehen, die sich bis zum Fluss erstreckten, Knechte bei der Arbeit, eine Dame, die an der frischen Luft spazierenging. In einer Ecke des Bildes entdeckte ich die Signatur P. Lely, in der anderen Hightpoint, Oxon, 1635.