»Ich bin Euch sehr dankbar, Sir«, sagte ich, als würde mir ein Zahn gezogen.
»Sehr gut, Tom!«, rief Turville. »Und jetzt schüttle deinem Beschützer die Hand.«
Mein Beschützer! Die verdrehte Welt, in die ich unvermittelt geraten war, wurde immer toller! Diese rohe, brutale Kreatur, die den Mann, den ich für meinen Vater gehalten hatte, so in Schrecken versetzt hatte, dass er verschwunden war, und der meine Albträume bevölkerte, sollte mein Beschützer sein? Die Vorstellung, ihm die Hand zu schütteln, verursachte mir Übelkeit, aber ich fühlte, dass ich ihm mein Leben schuldete und zwang mich, ihm meine Hand entgegenzustrecken. Er ergriff sie mit einer Hand, die so rau und hart war wie rostiges Eisen, und mit einem Lächeln – zumindest fasste ich es als Lächeln auf –, das eher von Misstrauen und Argwohn zeugte als von Freundschaft.
Turville klingelte nach Jane, die zitternd hereinkam und die Szene erstaunt betrachtete. Er befahl ihr, etwas zu trinken zu bringen, um die, wie er es nannte, glückliche Versöhnung zu feiern. Als er die Gläser vor uns aufstellte, lächelte er Jane zu. »Sieht Mr Tom nicht aus wie ein perfekter Edelmann?«
»Er ist ein edler Herr«, sagte sie. Blut stieg ihr in die Wangen.
»Oh, seht Ihr, wie ihre Wangen sich verfärben, Eaton? Wenn ich doch nur wieder jung wäre und solche Blumen dort zum Blühen brächte, wie Euer junger Poet Mr Tom.«
Sie wandte den Blick von mir ab und versteifte sich, als er ihre flammenden Wangen tätschelte. Ich sprang auf, unfähig, mich zu beherrschen. »Lasst sie in Ruhe! Es gefällt ihr nicht!«
Stille setzte ein. Turville verlor all seine Jovialität, und der Blick, mit dem er mich bedachte, loderte vor Wut. Eaton grinste. Jane verlor ihre übliche Gelassenheit und rang gequält die Hände. »Ich … es tut mir leid, Mr Turville.«
Turville fand seine Heiterkeit ebenso rasch wieder, wie er sie verloren hatte. Er sagte zu ihr, dass er sie vollkommen verstünde, und zwinkerte dabei Eaton auf eine Weise zu, dass ich ihn am liebsten geschlagen hätte, aber ich wusste auch, dass ich es damit für Jane nur noch schlimmer machen würde. Sie ging, ohne mich anzusehen, und ich verfluchte mich dafür, überhaupt den Mund aufgemacht zu haben.
Der Wein war ein süßes Gesöff. Ich traute nichts und niemandem in diesem Haus und rührte meinen kaum an, selbst als Eaton sich ein zweites Glas einschenkte. Ich erklärte ihnen, dass es in meinen Augen nicht viel Sinn ergäbe, dass Lord Stonehouse nicht wolle, dass mir auch nur ein Haar gekrümmt wurde, während sein ältester Sohn mich zu töten versuchte.
»Hört Euch die Logik darin an, Eaton«, rief Turville aus. »Das Geld für seine Erziehung war gut angelegt!«
»Logik?« Niedergeschlagen starrte Eaton auf das Gemälde. »Es braucht mehr als Logik, um mit dieser Familie fertig zu werden. Seine Lordschaft hat keine Ahnung, dass sein ältester Sohn versucht hat, dich töten zu lassen.«
»Warum erzählt Ihr es ihm nicht?«, fragte ich erstaunt.
Der Blick, den Eaton mir nun zuwarf, war nicht ärgerlich, sondern verächtlich. Sein Ausbruch schien ihn müde gemacht zu haben. Er ließ sich auf einen Stuhl sinken, die Lehne nach vorn, als wollte er darauf reiten, legte sein Kinn auf die gefalteten Hände und musterte mich grübelnd. Turville lächelte wohlwollend.
»Unschuld, Mr Eaton«, sagte er, »ist eine Tugend, die gehütet werden sollte, nicht verschmäht.« Er hustete, zog wieder sein Taschentuch hervor und wischte sich Stirn und Hände ab. Unvermittelt wurde seine Stimme scharf. »Du wirst nichts davon weitererzählen, ehe wir dir die Erlaubnis dazu erteilen. Ist das klar?«
Es war vollkommen klar, aber ich sagte nichts. Erneut wischte Turville sich über die Stirn, obwohl kein Schweiß darauf war. Eaton lächelte. Es war das erste Mal, dass ich ihn lächeln sah. Sie schienen es zu genießen, wenn der andere sich unbehaglich fühlte.
»Ich werde abstreiten, dass diese Unterhaltung jemals stattgefunden hat. Eaton ebenso. Verstanden?«
Ich sagte immer noch nichts. Er ballte die Fäuste, stopfte das Taschentuch in seinen Ärmel, zog es wieder hervor und fuhr in scharfem knappem Ton fort: »Lord Stonehouse würde uns nicht glauben. Wir haben keinen felsenfesten Beweis, dass es Richard war, der versucht hat, dich zu töten. Selbst mit einem Beweis wäre es riskant. Lord Stonehouse ist … unberechenbar. Richard ist sein ältester Sohn. Lord Stonehouse weiß um seine Schwächen, aber ich möchte nicht derjenige sein, der ihm sagt, dass Richard kaltblütig versucht hat, zum Mörder …«
Eaton sprang auf. »Ich hoffe, Ihr wisst, was Ihr tut, Turville!«
»… eines Jungen zu werden, dem sein Vater ein so großzügiges und in der Tat beispielloses Maß an, äh, Barmherzigkeit entgegengebracht hat.«
Widerwillig akzeptierte Eaton diese rechtmäßige Beschreibung meiner Stellung, die so klar war wie der Londoner Nebel, und sank grübelnd auf seinen Stuhl zurück. Derweil erzählte mir Turville, dass Lord Stonehouse, in einem Alter von sechzig Jahren und bei mäßiger Gesundheit, eine drängende, alles überragende Sorge im Leben hatte: die Zukunft des bedeutendes Familienbesitzes. Richard sollte ihn beerben. Er erwartete es. Aber im Alter von sechsunddreißig Jahren hatte er in seinem Leben noch nicht mehr zustande gebracht, als ein kleines Vermögen mit einer nicht existierenden Zuckerrohrplantage zu verlieren. Und ein weiteres bei Huren und Glücksspielen, murmelte Eaton. Noch unglücklicher von Lord Stonehouse’ Standpunkt aus betrachtet, so fuhr Turville fort, sei die Tatsache, dass Richards Frau gestorben sei und ihm zwei Töchter, aber keinen Sohn geschenkt habe.
Allmählich lichtete sich hier und da der Nebel, und ich begann mir ein Bild von dieser Familie zu machen. Lord Stonehouse’ Gattin, Frances, hatte die seltene Gabe besessen, Herzensgüte mit Klugheit zu verbinden, womit sie nicht nur die Familie, sondern das gesamte Anwesen zusammengehalten hatte. Darin stimmten Eaton und Turville überein. Sie kannte jeden auf jedem Bauernhof und jedes Dorf, wusste und sorgte sich um jede Geburt und jeden Todesfall. Sie hatte zugehört, Ratschläge erteilt, und wenn sie das Gefühl hatte, jemand verdiene Hilfe, diese gewährt. Ihre Art, nein zu sagen, gab selbst den Enttäuschtesten das Gefühl, beschenkt worden zu sein. Fünf Jahre vor meiner Geburt starb Frances. Das Glück, das auf dem Gemälde eingefangen war, verschwand. Richard wurde arrogant und eigensinnig. Trotz eines großzügigen Taschengeldes und dem ständigen Versprechen, sich zu bessern, war er hoch verschuldet, und sein Vater fürchtete, dass sich das Vermögen unter ihm rasch auflösen würde.
Gleichwohl unternahm Lord Stonehouse nichts, bis sich Richard in Aussicht auf sein Erbe so heftig verschuldete, dass sein Vater gezwungen war, einen Teil des Grundbesitzes zu beleihen, um die Schulden begleichen zu können. Selbst dann vertraute Richard darauf, dass sein Vater keinerlei Maßnahmen ergreifen würde oder es auch nur könnte. Der Besitz war ein unveräußerliches Erblehen und würde von Rechts wegen auf den ältesten Sohn übergehen. Diese Verpflichtung war schwierig, aber nicht unmöglich aufzulösen, nicht für jemanden mit Lord Stonehouse’ Einfluss und Reichtum, und er unternahm Schritte, sein Testament zugunsten Edwards, des jüngeren Sohns, zu ändern. Ich betrachtete den Jungen auf dem Gemälde, der sich ängstlich an die Hand seiner Mutter klammerte.
»Es gibt noch einen«, murmelte Eaton.
Edward, ein Geistlicher, beschäftigte sich indes weniger mit dem Familienbesitz als mit der Kirche und mit dieser weniger als mit seinem Labor, in dem er nach dem Stein der Weisen suchte. Doch sein Sohn, James, war Lord Stonehouse’ Augapfel. Dann suchte die Pest Edwards Gemeinde heim. Edward überlebte, aber James und der Rest der Familie starben. Edward heiratete erneut, aber Lord Stonehouse’ Trauer war zu tief, um zu vergehen.