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Turville beugte sich näher zu mir und senkte die Stimme. Er war älter als er aussah. Eitelkeit hatte ihn zum Puder greifen lassen, um die Adern auf seinen Wangen und die Narben auf seiner Haut zu verbergen. »Das war vor neun Jahren, als er am tiefsten Punkt seiner Trauer dich erblickte.«

»Auf der Werft.«

»Durch puren Zufall.«

»Durch puren Zufall!« Eaton ahmte Turvilles gelassenen Tonfall nach. Er sagte, in Highpoint geschähe nichts durch puren Zufall! Turville versuchte ihn davon abzuhalten, noch mehr Wein zu trinken, doch ebenso gut hätte er versuchen können, einen jagenden Hund dazu zu bringen, mit dem Gekläffe aufzuhören. Zusammen mit reichlich Speichel sprudelten die Worte aus ihm heraus, eine seltsame Mischung aus Stolz und Gehässigkeit, Macht und Enttäuschung. »Ich bin Lord Stonehouse’ Verwalter. Ich räume den Dreck auf, den er und seine Söhne hinterlassen.« Mit einem abgebissenen Fingernagel stieß er gegen Turville. »Er macht den Dreck legal. Du …«, er stieß mit dem Finger auf mich ein, »du bist der schlimmste Dreck, mit dem ich je zu tun hatte, und das wird ewig so weitergehen, Jahr um Jahr um Jahr!«

Turville schüttelte entschuldigend den Kopf in meine Richtung und rutschte auf seinem Stuhl herum, als sei er heiß. »Kommt schon, Eaton, …«

»Ihr könnt mich mal sonst wo!« Er hämmerte mit der Faust auf den Schreibtisch. »Ich trage die Hauptlast bei diesem lausigen Geschäft.«

»Mr Tom könnte vielleicht …«

»Könnte vielleicht! Mr Tom! Ach, das ist also Mr Tom? Mr Tom Könnte-Vielleicht!« Er schwieg, Turvilles Unruhe kühlte ihn ein wenig ab. »Mr Tom.« Er deutete eine kleine ironische Verbeugung an und schaute auf das Gemälde. »Mr Richard, Mr Edward, Mr Tom.«

»Die Situation hat sich geändert, Tom«, sagte Turville. Er lächelte, doch es war ein Lächeln, dem ich weniger traute als Eatons verdrossener Derbheit. »Wir brauchen deine Hilfe. Wir müssen herausfinden, wer du wirklich bist. Und zwar schnell.«

Ich blickte von einem zum anderen. »Geändert? Welche Situation?«

Ein Strahl der Wintersonne wanderte über den Schreibtisch und beleuchtete die Staubpartikel, die sich immer noch auf die Stelle legten, wo Eaton auf den Tisch geschlagen hatte. Es war so ruhig, dass ich das Ticken der Uhr in der Halle hören konnte. Schließlich sprach Turville, und er wählte seine Worte so sorgfältig, als verfasse er eine Urkunde.

»Trotz allem, was Richard getan hat, trotz Lord Stonehouse’ Drohungen, sein Testament zu ändern oder zumindest Schritte in diese Richtung zu unternehmen, hatten wir uns damit abgefunden, dass Richard erben würde. Wir haben seine Lordschaft darauf hingewiesen, so deutlich, wie wir es wagten, dass diese Erbschaft in einer Katastrophe enden würde. Es hat nichts gebracht. Er ist sein ältester Sohn. Er bringt seinen Vater fast um den Verstand, aber dieser liebt ihn und vergibt ihm am Ende immer.« Turville räusperte sich. »Du, Tom, warst die Marotte eines alten Mannes. Wir waren überzeugt, dass du nie mehr als das sein würdest. Aber während du hier krank gelegen hast, ist etwas geschehen, das niemand hatte vorhersehen können. Während Lord Stonehouse das Heer für das Parlament aufstellte, hat Richard seinem Vater mitgeteilt, dass er sich dem König anschließen wird.«

15. Kapitel

Veränderte ich mich in diesem Moment? Ja. Taten Eaton und Turville es auch? Mit Sicherheit. Ihre Haltung wandelte sich auf undefinierbare Weise, und ich hatte nicht länger das Gefühl, geliehene Kleidung zu tragen. Sie wurden nicht kriecherisch, keineswegs, sie hatten immer noch das Sagen. Doch als sie mich jetzt Mr Tom nannten, war der Spott in ihren Worten weniger deutlich, die Ironie gemindert. Ich war immer noch eine Art Gefangener, eine Tatsache, die man jedoch in höflicher Gesellschaft unerwähnt ließ. Ein falscher Schritt könnte für alle drei von uns äußerst gefährlich werden, sagte Turville, als seien wir bereits gemeinsame Verschwörer.

Jetzt, wo ich plötzlich mindestens wie ein halber Lord aussah und wohl aufgrund des Alkohols, den er intus hatte, überwand auch Eaton seinen Widerwillen, den Bann seines Herrn zu brechen. Sobald er zu reden begonnen hatte, kannte er kein Halten mehr, und er faszinierte mich ebenso sehr wie Matthew, damals am abendlichen Feuer, als er mir von dem düsteren Septemberabend vor sechzehn Jahren erzählt hatte.

Eaton sprach abgehackt, als säße er wie an jenem Abend wieder auf seinem rotbraunen Wallach auf dem Weg nach Highpoint. Gleich hinter dem Pförtnerhaus, so erzählte er mir, rollte Lord Stonehouse’ Kutsche seitlich an ihm vorbei aus der Auffahrt. Henry, der Kutscher, nahm ihn nicht zur Kenntnis, ein Hinweis darauf, dass das eine Angelegenheit war, über die man besser schwieg. Er erhaschte einen Blick auf eine Frau mit feuerrotem Haar im Inneren der Kutsche. Eine andere Frau zog den Vorhang vor, als die holpernde, schaukelnde Kutsche vorbeiraste.

In der Empfangshalle hörte er einen heftigen Streit zwischen Lord Stonehouse und seinen beiden Söhnen, Richard und Edward. Edward schrie, dass das Kind John Lloyds Bastard sei. Eaton zuckte zusammen, als Richard seinen Bruder grob unterbrach: »Ihr wisst doch gewiss, was sie für ihren Vetter Lloyd empfindet, Vater? Hat sie Euch nicht gesagt, von wem dieser Bastard ist? Ihr wart doch mit ihr zusammen!« Eine Tür wurde zugeschmettert, dann herrschte Stille. Mrs Morland, die Haushälterin in Highpoint, wischte eine dunkle Pfütze vom Boden der Galerie auf, eine Aufgabe, zu der sie sich normalerweise niemals herablassen würde.

Eaton wurde in Lord Stonehouse’ Studierzimmer befohlen. Seine Lordschaft war jetzt allein und sehr ruhig, was Unheil verhieß, und drückte behutsam seinen Siegelring in das noch warme Wachs auf einem Pestbrief. In einem Tonfall, als spräche er über nicht eingetriebene Pacht oder erkrankte Rinder, teilte er Eaton mit, dass in Horseborne ein Kind an der Pest gestorben sei. Es müsse entfernt werden, ehe die Krankheit sich weiter ausbreite.

Während seines Berichts hatte Eaton mich kein einziges Mal angeschaut. Jetzt tat er es, fingerte an seinem Gesicht herum, als würde er sich eine Pestmaske umbinden. »Ich fand Matthew Neave, den Kutscher des Pestkarrens, und befahl ihm, das tote Kind zu holen.«

»Mein Vater hat nie einen Pestkarren gelenkt«, rief ich.

Eaton ignorierte meinen Ausbruch. »Ich wartete neben der Pestgrube auf ihn. Er zeigte mir das tote Baby und schleuderte es in die Grube. Ich zahlte ihm …«

Ich zog die Geburtsmünze aus meiner Tasche und schob sie über den Tisch. Das ließ ihn verstummen. Turville reckte den Hals, um einen Blick darauf zu werfen. Sein Blick wurde mit einem Mal scharf. »Hast du Matthew Neave in letzter Zeit gesehen? Weißt du, wo er ist?«

Ich schüttelte den Kopf und erzählte ihm, wie ich zu der Münze gekommen war. Eaton höhnte, es könnte jede Münze sein. Ich drehte sie um, so dass sie die Bourbonenlilie am Rand, oberhalb des Kopfes des Königs, sehen konnten, welche bewies, dass die Münze 1625 geprägt worden war, dem Jahr der Krönung.

»War es eine halbe Krone?«, fragte Turville Eaton.

»Eine, um den Leichnam abzuholen. Eine weitere, um ihn in die Grube zu werfen.«

Ich erschauderte und schob das Geldstück zurück in meine Tasche, ehe Eaton danach greifen konnte. Er war knauserig genug, um sie zurückzuverlangen, mit der Begründung, Matthew habe ihn hereingelegt, als er ihm ein anderes totes Kind aus einer Pestfamilie gezeigt habe, das bereits auf seinem Karren gelegen hatte.

»Einen oder zwei Monate später«, fuhr Eaton mit seiner Schilderung fort, »begannen in den Dörfern auf den Ländereien von Highpoint Gerüchte zu kursieren.«

Susannah, das Weib, das mit Matthew Neave lebte, habe einen gesunden Jungen zur Welt gebracht. Da sie fast vierzig und kinderlos war und man ihr die Schwangerschaft nicht angesehen hatte, hielt man es für ein Wunder oder einen Zauber ihres Mannes, der als Hellseher und Heiler bekannt war.