»Als ich zu ihrer Hütte ritt, waren sie verschwunden. Töpfe, Pfannen, Pestkarren, Kind, alles war weg.«
Eaton hatte sich verausgabt. Es war, als sei er erneut durch jene regennasse Nacht geritten, während er die Geschichte erzählte. Er saß da, das Kinn auf die gefalteten Hände gestützt, knotig wie eine Baumwurzel, und starrte mich grübelnd an. Turville schenkte Wein nach. Dieses Mal schluckte ich meinen mit einem Zug hinunter. Der Strahl der Wintersonne war ein Stückchen weiter gewandert und erhellte nun etwas in dem Gemälde an der Wand, das ich zuvor übersehen hatte. Ich sprang auf, Turville packte seinen Wein, den ich beinahe umgeworfen hätte. Das rostrote Kleid der Frau war züchtig geschnitten, viel züchtiger als das von Lucy Hay, aber eine Verwechslung war ausgeschlossen. Gehalten von einer goldenen Kette, halb in ihrem Kleid, halb darauf, lag der Anhänger, den Matthew mir am Feuer an jenem düsteren Abend in Poplar gezeigt hatte. Der Falke blickte mich über den Saum ihres Kleides hinweg prüfend an, die rubinroten Augen schienen mich anklagend anzufunkeln.
»Was ist los? Tom?«
Eatons Stimme hatte etwas Drängendes und war vom vielen Reden heiser. Zum ersten Mal benutzte er meinen Namen. Er wollte etwas, und so, wie er das Gemälde betrachtete, war ich mir sicher, dass es etwas mit dem Anhänger zu tun hatte, den Matthew gestohlen hatte. Eaton und Turville glichen nun Jagdhunden, die Bäuche leer, den Atem angehalten, bereit zum Sprung.
»Was ist los?«, wiederholte Eaton.
»Ist sie meine Mutter?«
Sie lachten amüsiert. »Lady Frances? Sie war bereits fünf Jahre tot, als das alles geschah«, sagte Turville.
»Wer ist meine Mutter?«
»Eine Hure und Diebin«, erwiderte Eaton.
Ich stürzte mich auf ihn und überrumpelte ihn. Mein Faust traf seine Narbe. Er schrie auf, sein Kopf wirbelte herum, Wein spritzte auf seine Jacke. Er packte mich mit einem Griff, so fest wie Ketten in einem Kerker.
»Sind dir diese schicken Kleider zu Kopf gestiegen? Dabei bist du nichts ohne uns. Nichts! Ich könnte dich genauso gut in eine Grube werfen lassen. Und dieses Mal würde ich mich vergewissern, dass du tot bist.«
»Warum habt Ihr dann Gardiner und Crow daran gehindert, mich zu töten?«, rief ich.
Turville lachte. »Jetzt hat er Euch, Eaton.«
Eaton zog mich zu sich heran, bis ich fürchtete, er würde mich erdrosseln. Turville rappelte sich auf. »Lasst ihn los! Um Gottes willen, Eaton, seid kein Narr! Er hat das Temperament seiner Mutter! Und Ihr seid ebenso verrückt wie damals!«
Die Uhr schlug zwölf. Beim Klang der Glocke lächelte Eaton mich plötzlich an, dann Turville, und stieß mich von sich. Ich war so begierig darauf, etwas über meine leibliche Mutter zu erfahren, dass ich mir über diesen seltsamen Blickwechsel zwischen ihnen keine Gedanken machte. Sie erklärten mir, sie habe alle Stonehouse-Männer in ihren Bann gezogen, den Vater und die Söhne. Sie lebte auf einem angrenzenden Landsitz und war, wie Turville sagte, von edler Geburt.
»Edel! Margaret Pearce!« Höhnisch klopfte Eaton sich auf die Schenkel.
Turville zufolge starb sie kurz nach meiner Geburt. Ihre Begleiterin in der Kutsche, Kate Beaumann, hatte die Gegend verlassen, und sie hatten nie herausgefunden, was aus ihr geworden war.
»Habt Ihr sie vielleicht gesehen? Eine kleine Frau. Trug stets einen grauen Umhang, sommers wie winters.«
Ich behielt meine Erinnerung für mich, wie ich in Poplar durch die Löcher im Ölpapier gespäht hatte, um einen Blick auf die Irrlichter zu erhaschen, die meinen Kuchen brachten, und dabei jene verhüllte Gestalt gesehen hatte. Damals hatte ich es als ein Phantasiegebilde abgetan, zu groß war meine Angst, zu viel gesehen zu haben und in einen Kuchen verwandelt zu werden.
Sie musterten mich scharf. »Eine einfache Frau …«, fuhr Turville fort.
»Nicht einfach«, rief Eaton und korrigierte sich direkt selbst wieder: »Doch, einfach. Gewöhnlich wie Brot. Etwa so groß.« Er hielt eine Hand vor seine Brust. »Ruhig, einen Akzent aus dem Westen des Landes. Man musste sich ziemlich tief bücken, um die Lady zu verstehen. Dunkles Haar. Nun, zumindest war es dunkel. Ich schätze, jetzt ist es ebenso grau wie ihr Umhang. Hast du sie gesehen?«
Dieses Mal war es eher ein Flehen, aber ich schüttelte den Kopf. So wenig ich auch wusste, wie phantastisch es auch sein mochte, ich war entschlossen, für mich zu behalten, dass ich diese Frau in Poplar gesehen hatte. Zugleich versuchte ich, so viel wie möglich aus ihnen herauszubekommen.
»Das ergibt doch keinen Sinn!«, rief ich. »Warum sollte Lord Stonehouse mich erst in die Grube werfen lassen, nur um dann seine Meinung zu ändern und mir eine Ausbildung zu finanzieren?«
Eaton sprang auf. »Weil er hereingelegt worden war, gedemütigt von deiner Mutter. Ich kenne nur die Hälfte davon, die Gerüchte, das Gerede, denn als du geboren wurdest, war er überzeugt, dass du kein Stonehouse bist.«
»Bis er dich in Poplar sah, acht Jahre später«, sagte Turville ruhig. Er führte mich zu dem Gemälde, seine Hand liebkoste mich beinahe. »Er sah dein flammend rotes Haar, die Stonehouse-Nase, den römisch breiten Steg, die tiefdunklen Augen …«
»Er sieht nur, was er sehen will«, warf Eaton säuerlich ein. »Er hatte gerade einen seiner Wutanfälle und war kurz davor, Richard zu enterben. Wieder einmal! Er bezahlte Mr Black durch mich dafür, dass er dich ausbildet und erzieht.«
Ich starrte wieder das Gemälde an, tastete nach meiner Nase. »Aber … aber Lord Stonehouse kann doch sicher herausfinden, wer mein Vater ist?«
Eaton schenkte mir einen ungläubigen Blick. »Du meinst, er soll seine Söhne fragen? Sie haben es in jener Nacht abgestritten. Jeder, der seine Lordschaft kennt, hätte es geleugnet. Und jetzt? Noch schlimmer. Edward hat noch einmal geheiratet, nachdem seine erste Frau und sein Kind an der Pest gestorben waren, und hat eine neue Familie. Er will nicht, dass plötzlich irgendein Bastard auftaucht. Richard ebenso wenig … der fürchtet um sein Erbe.«
»Lord Stonehouse muss doch zumindest wissen, ob ich sein Kind bin!«, platzte ich heraus.
Eaton lachte. Er lachte frei heraus. Es war eines der wenigen Male, dass ich ihn so erlebte. Er lachte, bis er am ganzen Körper bebte und zu husten begann. »Wenn eine läufige Hündin ausbricht, kann ein Hund sie vielleicht decken, aber er wird niemals wissen, wie viele Hunde schon vor ihm zum Zuge gekommen sind.«
Ich spürte, wie meine Wangen zu brennen begannen, doch ich schluckte meine Gefühle herunter und bohrte meine Nägel in die Innenflächen meiner Hände.
In gespielter Empörung warf Turville die Hände in die Höhe. »Mr Eaton! Etwas mehr Feingefühl bitte!«
Eaton hörte auf zu lachen. Seine Stimme klang bitter. »Wenn er nicht weiß, dass Liebe kein Gedicht ist, wird er nicht besonders weit kommen. Und wir auch nicht.«
Erneut wandte er sich ab, um aus dem Fenster zu starren. Ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Eaton nicht Turvilles Garten sah, sondern die Felder und Wälder Highpoints an jenem dunklen, regnerischen Abend. Ich fragte mich gerade, was diese Bitterkeit hervorgerufen hatte und inwieweit sie mit der Nacht zusammenhing, in der ich geboren wurde, als Turville fortfuhr und dabei seine Worte mit Bedacht wählte.
Es gäbe Anzeichen, sagte er, dass Lord Stonehouse in mir mehr zu sehen begann als einen Akt der Barmherzigkeit. Jetzt, da Richard sich dem König angeschlossen hatte, hatte er Turville und Eaton befohlen, unbedingt herauszufinden, wer mein Vater war. Erneut betonte er, dass sie die strikte Anweisung hatten, mir nichts zu erzählen – aber dass sie eingesehen hätten, dass sie ohne meine Hilfe nicht weiterkämen. Turville verschränkte die Hände und starrte mich eindringlich an.
»Kurz bevor die Gesellschafterin deiner Mutter, Kate Beaumann, verschwand, erzählte sie der Haushälterin Mrs Morland, dass das Medaillon im Anhänger den Beweis enthält, wer dein Vater ist.«