2. Kapitel
Sie prügelten es aus mir heraus. Das Böse. Oder, wenn Ihnen das lieber ist, die kindlichen Fantasien. Mr Black verprügelte mich mit seinem Stock, bis der zerbrach, ein Vergehen, für das ich umso härter mit dem neuen Stock bestraft wurde. Gloomy George drosch mit seinem Winkelhaken das Böse aus meinem Kopf. Doch am schlimmsten war Dr. Gill, der Lehrer von St. Paul’s, den sie eingestellt hatten, damit ich lernte, Lehrbücher zu drucken, die in Latein abgefasst waren.
Während George das Böse aus mir herausprügelte, prügelte Dr. Gill mit einer Ferula so viel Latein in mich hinein wie möglich. Dabei handelte es sich um ein flaches Stück Holz, das sich zum Ende hin birnenförmig erweiterte. In der Mitte wies es ein Loch auf, durch das schon ein Hieb den heftigsten Schmerz hervorrief.
Schlimmer als die Schläge indes war der Keller, den ich für das kälteste und feuchteste Loch auf Gottes Erde hielt. Selbst jetzt kann ich nicht daran zurückdenken, ohne zu erschaudern, obwohl ich nur einmal zuvor dort eingesperrt worden war … aber dazu später. Ich glaube, beim ersten Mal hatte ich darin eine Art Anfall; jedenfalls sagte Mr Black, dass ich nicht wieder dort eingesperrt werden würde, und George musste sich damit begnügen, mich zu verprügeln. Mein einziger Trost war Sarah, das Mädchen für alles, mit der ich die Bodenkammer teilte, obgleich sie zu Beginn nur eine weitere Feindin zu sein schien, und die mit einem so breiten Akzent sprach, dass ich dachte, sie käme aus einem fremden Land wie Schottland.
»Da … das ist dein Platz … die Seite vom Balken … und hier ist meiner. Verstanden?« Dieser Balken! Er war krumm und saß genau so, dass ich mir jedes Mal den Kopf stieß, egal in welchen Winkel ich aus dem Bett stieg. »Trottel! Manche Leute lernens nie!«, sagte sie ständig, bis ich sie anschrie und sie eine schottische Hure nannte. Über den ersten Schimpfnamen wirkte sie erboster als über den zweiten und sagte, sie wäre lieber tot als Schottin. Sie kam aus Hull. »Aus Indien!«, rief ich und fragte sie, ob es dort tatsächlich Papageien und Elefanten gäbe.
»Ja klar«, sagte sie. »Und Vögel, die rückwärts fliegen. Komm her, Dummkopf. Und pass auf den Balken auf.«
Sie rieb etwas von dem Schweinefett auf die Beule, das sie für ihre eigenen Wunden benutzte, und von diesem Moment an gab es immer Schweinefett, um den Schlägen den brennenden Schmerz zu nehmen, egal, wie heftig sie gewesen waren. Während sie mich einrieb, las ich ihr aus Susannahs Bibel vor. Über den Pfarrer, Mr Ingram, schrieb ich an Susannah, und von den Viehhändlern, die die Rinder nach Smithfield trieben, erhielt ich Nachrichten von ihr.
Eine von ihnen lautete, dass Matthew verschwunden sei, kurz nachdem ich die Werft verlassen hatte. Ich habe nie wieder etwas von ihm gehört. Falls Susannah Nachrichten von ihm erhielt, so sagte sie mir nichts davon. Das verletzte mich am meisten. Ich habe sie beide nie vergessen, aber meine Erinnerung an sie verblasste allmählich, während ich mich von einem barfüßigen Grubenjungen in einen Londoner Lehrling verwandelte.
Fünf Jahre lang wurde ich im Lateinunterricht regelmäßig geschlagen, wenn ich richtig übersetzte, und ich wurde verprügelt, wenn ich es falsch machte. Es schien keinen Unterschied zu machen, ob ich Fehler machte oder nicht. Ich wurde geschlagen, weil ich meine Schiebermütze nicht trug, weil ich sie verlor, weil ich würfelte, fluchte, Gott lästerte, ins Pot Upside Down, die Bierschänke, ging, herumhurte (einmal sprach ich vor dem Pot mit einer Kupplerin), weil ich meine Stiefel verlor (ich muss gestehen, dass ich sie beim Würfeln verloren hatte) und für einen Bestechungsversuch (ein Liebesgedicht an Mr Blacks Tochter Anne, von der ich sogleich berichten werde), bis im Jahr 1640 das Parlament einberufen wurde und sie plötzlich zu beschäftigt waren, um mich zu verdreschen.
Parlament? Ich hatte kaum je davon gehört. Der König hatte es verboten und herrschte mit seinen eigenen persönlichen Ratgebern. Ebenso hatte er jene Nachrichten verboten, die seine Berater Lügen und Gerüchte nannten, und damit einem Großteil von Mr Blacks Geschäft das Wasser abgegraben, wie dieser lamentierte. Robert Black, dessen Zeichen der Halbmond war, hatte Nachrichtenblätter mit Neuigkeiten von den Kriegen in Europa, Schiffsbrüchen und dergleichen publiziert, doch der König hatte dies unter Androhung eines Prozesses vor der Star Chamber, dem königlichen Gericht, verboten. Doch jetzt war das Parlament wieder zusammengetreten, und London war so hungrig nach Neuigkeiten, dass die Drucker bereit waren, das Risiko einzugehen, um die Menschen mit dem Gewünschten zu versorgen.
Der einzige Ort, den ich bislang kannte, an dem diskutiert wurde, war das Pot Upside Down. Die Auffassung meines Freundes Will, der den Debatten vorsaß, war simpel. Good Queen Bess, wie wir sie immer noch nannten, hatte alle ihre Kriege gegen die Spanier, Franzosen und Niederländer gewonnen. Charles hatte alle Kriege verloren. Er war verschuldet und musste das Parlament zusammenrufen, um mehr Geld zu bekommen. Aber das Parlament würde keine Gelder bereitstellen, ehe der König nicht die Forderungen der Abgeordneten in Bezug auf Religion und Steuern erfüllt hatte.
Ich war für das Parlament, so wie die meisten Londoner Lehrjungen. Unser Held war Mr John Pym, der Anführer der Opposition gegen den König. Mr Black druckte seine Reden ab, in denen er feuerspeiend über die Ratgeber des Königs herfiel, die ihn zum Papismus bekehrt und ihn gar überredet hätten, seine Wälder an die Papisten zu verkaufen: eben jenen hölzernen Schutzwall, aus dem die Schiffe gebaut wurden, die uns vor den Spaniern schützten.
Wie wir in den Besitz dieser Reden gelangten, war eine Geschichte für sich, und in ihrer Verworrenheit von richtig und falsch ähnelte sie sehr der Geschichte des alten Matthew über das Pestkind. Es war strengstens verboten, aus dem Parlament zu berichten. Als Botenjunge war mir der Zutritt gestattet, und ich hörte Mr Pym persönlich, wie er bitter über die skrupellosen Drucker schimpfte, die um des Geldes willen seine Reden stahlen. Für diesen Missbrauch der Privilegien, so donnerte er, sollten sie in den Tower gesperrt werden.
Eine Stunde später drückte mir Mr Ink eben jene Rede in die Hand. Mr Ink war ein Schreiber, und ich wusste, dass Mr Pym ihm vertraute und eng mit ihm zusammenarbeitete.
Gleichwohl war Mr Pym, wie auch mein Master, ein sehr gottesfürchtiger Mann. Sie sahen sich sogar ähnlich, mit ihren steifen Spitzbärten, den schlichten schwarzen Gewändern und den weißen, gestärkten Kragen, nur dass der meines Masters glatt war, während Mr Pyms aus fein gewebter Spitze bestand. Eines Tages rief er mich zu sich und starrte auf mich herab. Sein Bart war ebenso makellos wie seine Aufmachung, jedes Haar war an seinem Platz, als sei es dort eingemeißelt.
»Du kannst dich glücklich schätzen, für so einen gottgefälligen Mann wie Mr Black zu arbeiten«, sagte er.
»Ja, Sir«, stammelte ich, obwohl meine Prellungen und Wunden kaum verheilt waren und glücklich nicht unbedingt das Wort war, das mir in den Sinn gekommen wäre.
Er nahm einen Schilling aus der Tasche und hielt mir einen Umschlag entgegen. »Kennst du diese Adresse?«
»Ja, Sir«, log ich.
Für so viel Geld hätte ich jede Adresse gekannt, selbst im unbekannten West End, jenseits der Stadtmauern.
»Bist du diskret?«
Ich kannte die Bedeutung des Wortes nicht, doch erneut war ich bereit, alles zu sein, um den Schilling zu bekommen, und nickte energisch. Er wollte nicht riskieren, sich allein auf mein Nicken zu verlassen und blaffte: »Kannst du den Mund halten?«