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»Sie sagte auch, du seist einer der intelligentesten und fähigsten Männer, die sie je kennengelernt hat.«

Ich wirbelte herum, starrte sie misstrauisch an, aber ihre Miene verriet Eifer und Ernsthaftigkeit, ohne die Spur eines Lächelns. Ich konnte nicht anders, als diesen Eifer aufzugreifen. »Wirklich? Das hat sie gesagt?«

»Ja, und das bist du auch, das weißt du genau, Affe!« Sie stürzte durch das Zimmer auf mich zu und warf sich mir mit glänzenden Augen zu Füßen. Ich zog sie hoch, um sie zu küssen, doch sie entwand sich mir. »Warte! Bleib hier! Rühr dich nicht! Und nicht gucken!«

Sie eilte zu dem alten Spiegel, und während sie mir den Rücken zukehrte, raschelte und knisterte es geheimnisvoll, wobei sie immer wieder in den Spiegel blickte.

»Du mogelst! Du guckst ja doch!«

Ich wandte mich ab und bedeckte das Gesicht mit den Händen. Das war die Form von Kabbelei, die ich bevorzugte. In der reizenden Art und Weise, wie Frauen eine Mode aufnehmen und sie im nächsten Moment wieder verwerfen, schien sie bereits vergessen zu haben, dass sie Latein und Griechisch lernen wollte. Es wurde ganz still, und ich hörte nur noch ihren Atem und wie sie leise vor sich hin murmelte. Dann raschelten ihre Röcke.

»Jetzt darfst du schauen«, befahl sie.

Sie hatte sich in eine Hofdame verwandelt, die Lippen gerötet, die Wangen rosig, die Augenbrauen geschwärzt, wodurch das erstaunliche, eindringliche Blau ihrer Augen noch betont wurde. Doch das war es nicht, das mich so reagieren ließ, wie ich es tat. Sie hatte die obersten Knöpfe ihres Kleides geöffnet und den Kragen nach unten geklappt. Auf ihrer Brust ruhte der Anhänger. Es schien den ganzen Raum in ein giftiges Licht zu tauchen. Die bösartigen Augen des Falken starrten mich aus dem emaillierten Nest an.

Ich stürzte mich auf sie. »Nimm ihn ab! Nimm das Ding weg!« Ich zerrte an dem Anhänger. Sie schrie, als die Kette in ihren Hals schnitt. Der Verschluss sprang auf, und ich schleuderte das Ding durch die Kammer. Der Vogel schien zu flattern und mich anzuzischen. »Du hast in meinem Bündel gewühlt!«, rief ich. »Mach das nie wieder! Fass das Ding nie wieder an!«

Ihre Mutter tauchte in der Tür auf, und Anne flüchtete sich schluchzend in ihre Arme. »Ich dachte, er würde mich umbringen! Ich dachte wirklich, er würde mich umbringen!«

42. Kapitel

Lord Stonehouse war geübt im Trauern. Es war sein natürlicher Geisteszustand. Meine Mutter musste das instinktiv gewusst haben, als sie die Kleider für die Beerdigung ihres Vaters ausgewählt hatte. Als ich an jenem Morgen zur Queen Street ging, dachte ich, dass sie diesen Moment geschätzt hätte. Ich hatte das Gefühl, sie genau zu kennen, ihr näher zu stehen als jedem lebenden Menschen, einschließlich Anne.

Richard Stonehouse wurde immer noch vermisst. Das große Stadthaus war nicht in Trauer, befand sich jedoch in einer Art Vorstufe davon. Die Vorhänge waren halb heruntergelassen, und in der stillen Halle mit dem schwarz-weißen Schachbrettmuster herrschte Grabesstille, während die griechischen Büsten und die Lakaien mich misstrauisch musterten. Sarah hatte ein altes Wams notdürftig geflickt und einen neuen Kragen an ein Hemd genäht, das sie unter der Pumpe beinahe weiß geschlagen hatte. Ich trug meinen Soldatentornister. Die Lakaien durchsuchten den Tornister nach Schießpulver, wobei der Inhalt, wie ich fand, auch so explosiv genug war.

»Name?«

»Thomas Neave.«

»Angelegenheit?«

»Ich habe eine Mission für Lord Stonehouse zu Ende geführt.«

Lord Stonehouse befand sich in einer Besprechung und schloss die Angelegenheit so peinlich genau wie üblich ab. Als ich schließlich in sein Studierzimmer geführt wurde, blieb ich, wie beim letzten Mal, wartend in einiger Entfernung zum Schreibtisch stehen, während der einsame Zeiger der Uhr weitersprang. Mr Cole warf Sand auf seine Unterschrift, siegelte das Dokument, verbeugte sich und ging hinaus. Lord Stonehouse trug Augengläser zum Lesen, die ich nie zuvor gesehen hatte. Er legte sie in ein Kästchen und winkte mich heran.

»Hast du ihn?«

Es war, als spräche er von einer Allerweltssendung eines Gewährsmannes aus Oxford. Dennoch lag etwas Beruhigendes in seinem knappen, müden Ton, in seiner Distanziertheit, seiner Kühle, was ich erst allmählich begriff, vor allem durch das, was er nicht sagte. Er erwähnte, wie man vielleicht hätte erwarten können, Edgehill oder »unseren großartigen Sieg«, wie manche ihn nannten, mit keinem Wort. Er wusste Bescheid. Er begriff. Zumindest eine Verbindung gab es also zwischen uns.

Als ich den Anhänger aus meinem Bündel nahm, kam Leben in ihn, und er schnappte danach wie ein Falke nach der Beute. Der Anhänger schien diesen düsteren Raum gänzlich mit Licht zu erfüllen, das von dem polierten Eichenholz des Schreibtischs reflektiert wurde und in Lord Stonehouse’ schwarzen Augen glänzte. Er stieß einen tiefen Seufzer aus, streichelte den Falken, als wollte er seine Federn glätten. Das Licht schien erst zu ersterben, als er bemerkte, dass ich noch zwei weitere Gegenstände auf seinen Schreibtisch gelegt hatte: einen kleinen Stapel Briefe und Richards zerfetzten Umhang.

Langsam legte er den Anhänger fort und griff nach dem Umhang, schob seine Hand durch den Riss darin, starrte hinunter auf die dunkelbraunen Flecken an den Rändern, dann auf mich, ebenso bösartig wie der Falke, der jetzt auf dem Schmuckstück dahinzudösen schien.

Ich erzählte ihm, wie Richard sich mir entgegengestellt und Luke getötet hatte, um anschließend davonzureiten. Wie ich ihm nachgerannt sei, den Abzug gedrückt hatte, mich jedoch an nichts weiter erinnern konnte, bis ich wieder in London war. Erst nach und nach war es mir wieder eingefallen, was in jener Nacht geschehen war, bruchstückhaft, unvollständig, in albtraumhaften Erinnerungsblitzen.

Lord Stonehouse streichelte den zerfetzten Umhang, sein skeptischer Blick ließ nie von mir ab, als ich erzählte, dass ich Richard verloren hatte, ehe ich die Wiesen erreicht hatte, die nicht länger Wiesen waren, sondern ein dunkler Morast aus Toten und Sterbenden. Ich rannte weiter, hörte immer noch sein Pferd oder glaubte es zu hören. Unter dieser Sinnestäuschung rannte ich vor und zurück, bis ich schließlich, als sich die Wolken vor dem Mond verzogen hatten, den Steilhang drohend über mir aufragen sah. Ganz in der Nähe brannte ein Lagerfeuer. Ein vertrautes Gesicht tauchte im Lichtschein auf und verschwand wieder, die tief in den Höhlen liegenden Augen und der spitz zulaufende Bart des Königs. Andere Gestalten erhoben sich im Feuerschein, starrten mich an. Ich stolperte davon, zu erschöpft, um zu rennen, aber niemand folgte mir. Vielleicht hielten sie mich für einen Geist. Dann sah ich es. Richards Pferd. Das etwas Unglaubliches an diesem Ort tat. Es graste friedlich. Gleichgültig schnupperte es an einem Mann, der nur noch einen halben Mund hatte und verdrehte blicklose Augen, ehe es einen weiteren Flecken Erde abgraste. Vom Sattelknauf hing Richards Umhang herunter.

Ich nahm den Umhang und ging von einer auf dem Boden liegenden Gestalt zur anderen. Manche waren bereits tot, andere riefen etwas, und ihre Schreie wurden lauter, sobald ich mich ihnen näherte. Ich betrachtete jeden Körper oder drehte ihn um, bis ich auf zwei Männer stieß, die sich über einen Leichnam gebeugt hatten. Einer zog dem Toten das Wams aus, der andere seine Stiefel. Sie knurrten mich an wie Wölfe.

»Das ist unser Revier!«

»Such dir selber eins!«

Doch als sie sahen, dass ich nichts mitnahm, sondern nur die Leichen umdrehte, ignorierten sie mich und begannen, sich wegen der Stiefel in die Haare zu kriegen. Ich stieß auf einen Mann, dessen Gesicht halb im Gras vergraben war und der eine Jacke trug, die ich für Richards hielt. Reglos lag er da, das Mondlicht spiegelte sich in den kleinen Raureifkristallen, die sich in der bitteren Kälte auf seinen Wangen bildeten. Ich drehte ihn um. Er lebte, und die Bewegung holte ihn aus seiner eisigen Starre.