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»Was für eine?« fragte ich.

»Pan erschreckt einige Hirten«, lachte er. »Es waren aber leider auch Frauenzimmer dabei.«

Von meinen geschichtlichen Studien nahm er wenig Notiz. Meine fast verliebte Vorliebe für den heiligen Franz von Assisi aber teilte er bald, obschon er gelegentlich auch über ihn Witze machen konnte, die mich entrüsteten. Wir sahen den seligen Dulder freundlich begeistert und heiter wie ein liebes großes Kind durch die umbrische Landschaft wandern, seines Gottes froh und voll demütiger Liebe zu allen Menschen. Wir lasen zusammen seinen unsterblichen Sonnengesang und kannten ihn fast auswendig. Einst, da wir im Dampfboot über den See von einer Spazierfahrt zurückkehrten und der abendliche Wind das goldige Wasser bewegte, fragte er leise: »Du, wie sagt hier der Heilige?« Und ich zitierte:

»Laudato si, misignore, per frate vento e per aere e nubilo e sereno et onne tempo!«

Wenn wir Streit bekamen und uns Schnödigkeiten sagten, warf er mir, immer halb im Scherz, nach Art der Schuljungen eine solche Menge von drolligen Übernamen an den Kopf, daß ich bald lachen mußte und dem Ärgernis der Stachel genommen war. Verhältnismäßig ernst war mein lieber Freund nur, wenn er seine Lieblingsmusiker hörte oder spielte. Auch dann konnte er sich unterbrechen, um irgendeinen Spaß zu machen. Dennoch war seine Liebe zur Kunst voll reiner, herzlicher Hingabe, und sein Gefühl für das Echte und Bedeutende schien mir untrüglich.

Wunderbar verstand er die feine, zarte Kunst des Tröstens, des teilnehmenden Dabeiseins oder des Erheiterns, wenn einer seiner Freunde in Nöten war. Er konnte mir, wenn er mich übellaunig fand, ganze Mengen kleiner anekdotischer Geschichten von grotesker Nettigkeit erzählen und hatte dann etwas Beruhigendes und Erheiterndes im Ton, dem ich selten widerstand.

Vor mir hatte er ein wenig Respekt, weil ich ernster war als er; noch mehr imponierte ihm meine Körperkraft. Vor andern renommierte er damit und war stolz, einen Freund zu haben, der ihn einhändig hätte erdrücken können. Er gab viel auf körperliche Fähigkeiten und Gewandtheit, er lehrte mich Tennis, ruderte und schwamm mit mir, nahm mich zum Reiten mit und ruhte nicht, bis ich fast ebenso gut Billard spielte wie er selbst. Es war sein Lieblingsspiel, und er betrieb es nicht nur künstlerisch und meisterhaft, sondern pflegte am Billard auch immer besonders lebhaft, witzig und fröhlich zu sein. Häufig gab er den drei Bällen die Namen von Leuten unsrer Bekanntschaft, und konstruierte bei jedem Stoß aus Stellung, Annäherung und Entfernung der Bälle ganze Romane voll von Witzen, Anzüglichkeiten und karikierenden Vergleichen. Dabei spielte er ruhig, leicht und überaus elegant, und es war eine Lust, ihn dabei zu betrachten.

Meine Schriftstellerei schätzte er nicht höher als ich selbst. Einmal sagte er mir: »Sieh, ich hielt dich immer für einen Dichter und halte dich noch dafür, aber nicht deiner Feuilletons wegen, sondern weil ich fühle, daß du etwas Schönes und Tiefes in dir leben hast, das früher oder später einmal hervorbrechen wird. Und das wird dann eine wirkliche Dichtung sein.«

Indessen glitten uns die Semester wie kleine Münze durch die Finger, und die Zeit kam unverhofft, da Richard an die Rückkehr nach seiner Heimat denken mußte. Mit einer etwas künstlichen Ausgelassenheit genossen wir die schwindenden Wochen und kamen am Ende überein, daß vor dem bitteren Abschied noch irgendeine glänzende und festliche Unternehmung diese schönen Jahre heiter und verheißungsvoll beschließen sollte. Ich schlug eine Ferientour in die Berner Alpen vor, doch war es freilich noch Vorfrühling, und für die Berge eigentlich viel zu früh. Während ich mir den Kopf nach anderen Vorschlägen zerbrach, schrieb Richard seinem Vater und bereitete mir in der Stille eine große und freudige Überraschung vor. Eines Tages kam er mit einem stattlichen Wechsel angerückt und lud mich ein, ihn als Führer nach Oberitalien zu begleiten. Mir schlug bang und frohlockend das Herz. Ein seit Knabenzeiten gehegter, tausendmal durchgeträumter sehnlicher Lieblingswunsch sollte sich mir erfüllen. Wie im Fieber besorgte ich meine kleinen Vorbereitungen, brachte meinem Freund noch ein paar Worte Italienisch bei und fürchtete bis zum letzten Tag, es möchte doch nichts daraus werden.

Unser Gepäck war vorausgeschickt, wir saßen im Wagen, die grünen Felder und Hügel flirrten vorüber, der Urner See und der Gotthard kam, dann die Bergnester und Bäche und Geröllhalden und Schneegipfel des Tessin, und dann die ersten schwärzlichen Steinhäuser in ebenen Weinbergen und die erwartungsvolle Fahrt an den Seen hin und durch die fruchtbare Lombardei dem lärmend lebhaften, sonderbar anziehenden und abstoßenden Mailand entgegen.

Richard hatte sich vom Milaneser Dom nie eine Vorstellung gemacht, sondern von ihm nur als von einem berühmten großen Bauwerk gewußt. Es war ergötzlich, seine entrüstete Enttäuschung zu sehen. Als er den ersten Schreck überwunden und seinen Humor wiedergefunden hatte, schlug er selber vor, das Dach zu besteigen und sich in dem tollen Wirrsal von Steinfiguren dort oben umherzutreiben. Wir stellten mit einiger Befriedigung fest, daß es um die Hunderte von unseligen Heiligenstatuen auf den Fialen nicht so sehr schade sei, denn sie erwiesen sich zumeist, wenigstens sämtliche neuern, als Fabrikarbeit gewöhnlicher Art. Wir lagen fast zwei Stunden auf den breiten, schrägen Marmorplatten, die ein sonniger Apriltag leise durchglüht hatte. Behaglich gestand mir Richard: »Weißt du, im Grunde hab ich nichts dagegen, noch mehr solche Enttäuschungen zu erleben, wie mit dem verrückten Dom da. Auf der ganzen Reise hatte ich eine kleine Angst vor allen den Großartigkeiten, die wir sehen, und die uns erdrücken würden. Und nun fängt die Sache so freundlich und menschlich-lächerlich an!« Dann reizte ihn das wirre, steinerne Figurenvolk, in dessen Mitte wir lagerten, zu allerlei barocken Phantasien.

»Vermutlich«, sagte er, »wird dort auf dem Chorturm, als der höchsten Spitze, wohl auch der höchste und vornehmste Heilige stehen. Da es nun keineswegs ein Vergnügen sein muß, ewig als steinerner Seiltänzer auf diesen spitzen Türmchen zu balancieren, ist es billig, daß von Zeit zu Zeit der oberste Heilige erlöst und in den Himmel entrückt wird. Nun denke dir, was das jedesmal für ein Spektakel absetzt! Denn natürlich rücken nun sämtliche übrige Heilige genau nach der Rangordnung je um einen Platz vor, und jeder muß mit einem großen Satz auf die Fiale des Vorgängers hüpfen, jeder in großer Eile und jeder jaloux auf alle, die noch vor ihm kommen.«