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Dieser Vollendung, die ich an manchen armen Duldern verehrt habe, stehe ich noch heute kläglich fern. Aber diese Jahre hindurch entbehrte ich nur selten des tröstenden Glaubens, den rechten Weg zu ihr zu wissen.

Daß ich ihn auch immer gegangen wäre, darf ich nicht sagen, vielmehr blieb ich unterwegs auf allen Bänken sitzen und sparte auch manchen bösen Umweg nicht. Zwei selbstsüchtige und mächtige Neigungen stritten in mir wider die echte Liebe. Ich war Trinker, und ich war menschenscheu. Zwar beschnitt ich mein Quantum Wein erheblich, aber alle paar Wochen überredete mich der schmeichlerische Gott, daß ich mich ihm in die Arme warf. Daß ich etwa auf der Straße liegenblieb oder ähnliche Nachtstücke verübte, ist allerdings kaum jemals vorgekommen, denn der Wein liebt mich und lockt mich nur bis dahin, wo seine Geister mit meinem eigenen in freundschaftlichem Zwiegespräch verkehren. Immerhin verfolgte mich lange Zeit nach jeder Trinkerei das böse Gewissen. Aber schließlich konnte ich meine Liebe doch nicht gerade dem Wein entziehen, zu dem ich eine starke Neigung vom Vater ererbt hatte. Jahrelang hatte ich diese Erbschaft sorgsam und pietätvoll gehegt und mir gründlich zu eigen gemacht, also half ich mir nun und schloß zwischen Trieb und Gewissen einen halb ernsten, halb scherzhaften Vertrag. Ich nahm in den Lobgesang des Heiligen von Assisi »meinen lieben Bruder, den Wein«, mit auf.

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Viel schlimmer war mein anderes Laster. Ich hatte wenig Freude an den Menschen, lebte als Einsiedler und war gegen menschliche Dinge stets mit Spott und Verachtung zur Hand.

Im Beginn meines neuen Lebens dachte ich daran noch gar nicht. Ich fand es richtig, die Menschen einander zu überlassen und meine Zärtlichkeit, Hingabe und Teilnahme allein dem stummen Leben der Natur zu schenken. Auch erfüllte diese mich im Anfang ganz.

Nachts, wenn ich zu Bett gehen wollte, fiel mir etwa plötzlich ein Hügel, ein Waldrand, ein einzelner Lieblingsbaum ein, den ich lange nicht mehr besucht hatte. Nun stand er in der Nacht im Wind, träumte, schlummerte vielleicht, stöhnte und regte die Zweige. Wie mochte er aussehen? Und ich verließ das Haus, suсhte ihn auf und sah seine undeutliche Gestalt im Finstern stehen, betrachtete ihn mit erstaunter Zärtlichkeit und trug sein dämmerndes Bild in mir davon.

Ihr lacht darüber. Vielleicht war diese Liebe verirrt, doch nicht vergeudet. Aber wie sollte ich von hier den Weg finden, der zur Menschenliebe führte?

Nun, wo ein Anfang gemacht ist, kommt immer das Beste von selber nach. Immer näher und möglicher schwebte mir die Idee meiner großen Dichtung vor. Und wenn mein Liebhaben mich dahin bringen würde, einmal als Dichter die Sprache der Wälder und Ströme zu reden, für wen geschähe das dann? Nicht nur für meine Lieblinge, sondern doch vor allem für die Menschen, denen ich ein Führer und ein Lehrer der Liebe sein wollte. Und gegen diese Menschen war ich rauh, spöttisch und lieblos. Ich empfand den Zwiespalt und die Nötigung, das herbe Fremdsein zu bekämpfen und auch den Menschen Brüderlichkeit zu zeigen. Und das war schwer, denn Vereinsamung und Schicksale hatten mich gerade auf diesem Punkt hart und böse gemacht. Es genügte nicht, daß ich daheim und im Wirtshaus mich mühte, weniger herb zu sein, und daß ich unterwegs einem Begegnenden freundlich zunickte, übrigens sah ich schon hierbei, wie gründlich ich mir das Verhältnis zu den Leuten versalzen hatte, denn man kam meinen Freundlichkeitsversuchen mißtrauisch und kühl entgegen oder nahm sie für Hohn auf. Das Schlimmste war, daß ich das Haus jenes Gelehrten, das einzige meiner Bekanntschaft, fast ein Jahr lang gemieden hatte, und ich sah ein, daß ich vor allem dort wieder anklopfen und mir irgendeinen Weg in die hiesige Art von Geselligkeit suchen müsse.

Nun, hier half mir meine eigene verhöhnte Menschlichkeit erklecklich. Kaum hatte ich wieder an jenes Haus gedacht, so sah ich auch im Geist Elisabeth, schön, wie sie vor Segantinis Wolke gewesen war, und merkte plötzlich, wie sehr sie an meiner Sehnsucht und Schwermut teilhatte. Und es geschah, daß ich zum erstenmal ernstlich daran dachte, ein Weib zu freien. Bisher war ich von meiner völligen Unfähigkeit zur Ehe so überzeugt gewesen, daß ich mich darein mit bissiger Ironie ergeben hatte. Ich war Dichter, Wanderer, Trinker, Einspänner! Jetzt glaubte ich mein Schicksal zu erkennen, das mir in der Möglichkeit einer Liebesehe die Brücke zur Menschenwelt schlagen wollte. Alles sah so verlockend und sicher aus! Daß Elisabeth mir Teilnahme schenkte, hatte ich gespürt und gesehen; auch daß sie ein empfängliches und edles Wesen besaß. Ich dachte daran, wie bei der Plauderei über San Clemente und dann vor dem Segantini ihre Schönheit lebendig geworden war. Ich aber hatte seit Jahren aus Kunst und Natur einen reichen inneren Besitz gesammelt; sie würde von mir das überall schlummernde Schöne sehen lernen, und ich würde sie so mit Schönem und Wahrem umgeben, daß ihr Gesicht und ihre Seele alle Trübungen vergäße und sich zur Blüte ihrer Fähigkeiten entfalten könnte. Seltsamerweise empfand ich das Komische meiner plötzlichen Verwandlung gar nicht. Ich Einsamer und Sonderling war über Nacht ein verliebter Fant geworden, der von Eheglück und von der Einrichtung eines eigenen Hauswesens träumt.

Eiligst suchte ich denn das gastliche Haus auf und ward mit freundlichen Vorwürfen empfangen. Ich ging mehrmals hin, und nach einigen Besuchen traf ich Elisabeth dort wieder. Oh, sie war schön! Sie sah aus, wie ich sie mir als meine Geliebte vorgestellt hatte: schön und glücklich. Und ich genoß eine Stunde lang die frohe Schönheit ihrer Gegenwart. Sie begrüßte mich gütig, sogar herzlich und mit einer vertrauten Freundschaftlichkeit, die mich glücklich machte.

Erinnert ihr euch noch des Abends auf dem See, im Boot, des Abends mit den roten Papierlampen, mit der Musik, mit meiner im Keim erstickten Liebeserklärung? Es war die traurige und lächerliche Geschichte eines verliebten Knaben.

Lächerlicher – und trauriger ist die Geschichte des verliebten Mannes Peter Camenzind.

Ich erfuhr so beiläufig, Elisabeth sei seit kurzem Braut. Ich gratulierte ihr, ich machte die Bekanntschaft ihres Verlobten, der sie abzuholen kam, und ich gratulierte auch ihm. Den ganzen Abend lag ein wohlwollendes Gönnerlächeln auf meinem Gesicht, mir selber lästig, wie eine Maske. Nachher lief ich weder in den Wald noch ins Wirtshaus, sondern saß auf meinem Bett, sah der Lampe zu, bis sie stank und. erlosch, erstaunt und verdonnert, bis endlich mein Bewußtsein wieder erwachte. Da breiteten noch einmal Schmerz und Verzweiflung ihre schwarzen Flügel über mich, daß ich klein und schwach und zerbrochen lag, und daß ich schluchzte wie ein Knabe.

Darauf packte ich meinen Rucksack, ging morgens zur Bahn und reiste nach Haus. Ich hatte Sehnsucht, wieder am Sennalpstock zu klettern, an meine Kinderzeit zu denken und nachzusehen, ob mein Vater noch lebe.

Wir waren uns fremd geworden. Der Vater sah völlig grau, ein wenig gebückt und ein wenig unscheinbar aus. Er behandelte mich sanft und mit Scheu, fragte nach nichts, wollte mir sein Bett abtreten und schien durch meinen Besuch nicht weniger in Verlegenheit gebracht, als überrascht zu sein. Er hatte das Häuschen noch, die Matten und das Vieh aber verkauft, bezog einen kleinen Zins und tat hier und dort ein wenig leichte Arbeit.