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In Perugia und Assisi bekam meine historische Arbeit wieder Interesse und Leben. Da auch das tägliche Dasein dort eine Lust war, begann mein schadhaft gewordenes Wesen bald wieder zu gesunden und neue Notbrücken zum Leben zu schlagen. Meine Hauswirtin in Assisi, eine redselige und fromme Gemüsehändlerin, schloß auf Grund einiger Gespräche über den Santo eine innige Freundschaft mit mir und brachte mich in den Geruch eines strammen Katholiken. So unverdient diese Ehre war, brachte sie mir doch den Vorteil, mit den Leuten intimer umgehen zu können, da ich frei vom Verdacht des Heidentums war, der sonst jedem Fremden anhaftet. Die Frau hieß Annunziata Nardini, war vierunddreißig Jahre alt und Witwe, von kolossalem Körperumfang und sehr guten Manieren. Sonntags sah sie in einem geblümten, fröhlich farbigen Kleid wie der leibhaftige Festtag aus, dann trug sie außer den Ohrringen auch noch eine goldene Kette auf der Brust, an welcher eine Reihe von Medaillen aus Goldblech läutete und leuchtete. Auch schleppte sie dann ein silberbeschlagenes, schweres Brevier mit sich herum, dessen Gebrauch ihr jedenfalls schwergefallen wäre, und einen schönen schwarzweißen Rosenkranz mit Silberkettchen, den sie desto gewandter handhaben konnte. Wenn sie dann zwischen zwei Kirchgängen in der Loggetta saß und den bewundernden Nachbarinnen die Sünden abwesender Freundinnen aufzählte, lag auf ihrem runden, frommen Gesicht der rührende Ausdruck einer mit Gott versöhnten Seele.

Ich hieß, da mein Name den Leuten unmöglich auszusprechen war, einfach Signor Pietro. An den schönen, goldigen Abenden saßen wir beisammen in der winzigen Loggetta, Nachbarn, Kinder und Katzen dabei, oder im Laden zwischen den Früchten, Gemüsekörben, Samenschachteln und aufgehängten Rauchwürsten, erzählten einander unsre Erlebnisse, besprachen die Ernteaussichten, rauchten eine Zigarre oder sogen jeder an einem Melonenschnitz. Ich berichtete vorn heiligen Franz, von der Geschichte der Portiunkula und der Kirche des Santo, von der heiligen Klara und von den ersten Brüdern. Ernsthaft hörte man zu, stellte tausend kleine Fragen, lobte den Heiligen und ging zur Erzählung und Erörterung neuerer und sensationeller Ereignisse über, unter welchen Räubergeschichten und politische Fehden besonders beliebt waren. Zwischen uns spielten und balgten sich die Katzen, Kinder und Hündlein. Aus eigener Lust und um meinen guten Ruf aufrechtzuerhalten, durchstöberte ich die Legende nach erbaulichen und rührenden Geschichten und freute mich, neben wenigen andern Büchern auch Arnolds »Leben der Altväter und anderer gottseliger Personen« mitgebracht zu haben, dessen treuherzige Anekdoten ich mit kleinen Variationen in ein vulgäres Italienisch übertrug. Vorübergehende blieben ein Weilchen stehen, hörten zu, plauderten mit, und oft wechselte so die Gesellschaft an einem Abend drei-, viermal, nur Frau Nardini und ich waren seßhaft und fehlten nie. Ich hatte meinen Rotwein im Fiasco neben mir stehen und imponierte dem armen und mäßig lebenden Völklein durch meinen stattlichen Weinverbrauch. Allmählich wurden auch die scheuen Mädchen der Nachbarschaft zutraulicher und beteiligten sich am Gespräch von der Türschwelle aus, ließen sich Bildchen schenken und begannen, an meine Heiligkeit zu glauben, da ich weder zudringliche Scherze machte, noch überhaupt mich um ihre Vertraulichkeit zu bemühen schien. Unter ihnen waren einige großäugige, träumerische Schönheiten, welche aus Bildern des Perugino zu stammen schienen. Ich hatte sie alle gern und freute mich ihrer gutmütig schalkhaften Gegenwart, doch war ich nie in eine von ihnen verliebt, denn die hübschen unter ihnen glichen einander so sehr, daß ihre Schönheit mir stets nur als Rasse und nie als persönlicher Vorzug erschien, öfters stellte sich auch Matteo Spinelli ein, ein junges Bürschchen, Sohn des Bäckermeisters, ein geriebener und witziger Kerl. Er konnte eine Menge Tiere nachahmen, wußte über jeden Skandal Bescheid und stak zum Bersten voll von frechen und schlauen Unternehmungen. Wenn ich Legenden erzählte, hörte er mit einer Frömmigkeit und Demut ohnegleichen zu, machte sich nachher aber über die heiligen Väter in naiv vorgebrachten boshaften Fragen, Vergleichen und Vermutungen lustig, zum Entsetzen der Obstfrau und unverhohlenen Entzücken der meisten Zuhörer.

Häufig saß ich auch allein bei Frau Nardini, hörte ihre erbaulichen Reden an und hatte meine unheilige Freude an ihren zahlreichen Menschlichkeiten. Ihr entging kein Fehler und Laster an ihren Nächsten, sie wies ihnen im voraus peinlich abschätzend ihre Plätze im Fegefeuer an. Mich aber hatte sie ins Herz geschlossen und vertraute mir die kleinsten Erlebnisse und Beobachtungen offen und umständlich an. Sie fragte mich nach jedem kleinen Einkauf, wieviel ich bezahlt habe, und wachte darüber, daß ich nicht übervorteilt würde. Sie ließ sich die Lebensläufe der Heiligen erzählen und machte mich dafür mit den Geheimnissen des Obstkaufs, des Gemüsehandels und der Küche bekannt. Eines Abends saßen wir in der gebrechlichen Halle. Ich hatte zum rasenden Entzücken der Kinder und Mädchen ein Schweizerlied gesungen und einen Jodler losgelassen. Sie wanden sich vor Lust, imitierten den Klang der fremden Sprache und zeigten mir, wie komisch mein Kehlkopf beim Jodeln auf und nieder gestiegen sei. Da begann jemand von der Liebe zu sprechen. Die Mädchen kicherten, Frau Nardini verdrehte die Augen und seufzte sentimental, und schließlich ward ich bestürmt, meine eigenen Liebesgeschichten zu erzählen. Ich schwieg über Elisabeth, erzählte aber meine Kahnfahrt mit der Aglietti und meine verunglückte Liebeserklärung. Es war mir sonderbar, diese Geschichte, von der ich außer Richard niemandem je ein Wort anvertraut hatte, nun meiner neugierigen, umbrischen Gesellschaft zu erzählen, angesichts der südlich schmalen, steinernen Gassen und der Hügel, über welchen der rotgoldene Abend duftete. Ich erzählte ohne viel Reflexion, nach Art der alten Novellen, und doch war mein Herz dabei, und ich hatte heimlich Furcht, die Zuhörer würden lachen und mich necken.

Aber als ich zu Ende war, hingen aller Augen teilnehmend traurig an mir.

»Ein so schöner Mann!« rief eines der Mädchen lebhaft aus. »Ein so schöner Mann, und er hat eine unglückliche Liebe!«

Frau Nardini aber fuhr mir mit ihrer weichen, runden Hand vorsichtig übers Haar und sagte: »Poverino!«

Ein anderes Mädchen schenkte mir eine große Birne, und da ich sie bat, den ersten Biß darein zu tun, tat sie es und sah mich dabei ernsthaft an. Als ich aber auch die andern beißen lassen wollte, litt sie es nicht. »Nein, essen Sie selbst! Ich habe sie Ihnen geschenkt, weil Sie uns Ihr Unglück erzählt haben.«

»Aber Sie werden nun gewiß eine andere lieben«, sagte ein brauner Weinbauer. »Nein«, sagte ich.

»Oh, Sie lieben immer noch diese böse Erminia?«

»Ich liebe jetzt den heiligen Franz, und er hat mich gelehrt, alle Menschen liebzuhaben, euch und die Leute von Perugia und auch alle diese Kinder hier, und sogar den Geliebten der Erminia.«

Eine gewisse Verwicklung und Gefahr kam in dies idyllische Dasein, als ich entdeckte, daß die gute Signora Nardini von dem sehnlichen Wunsch beseelt war, ich möchte endgültig dableiben und sie heiraten. Die kleine Affäre bildete mich zum listigen Diplomaten aus, denn es war keineswegs leicht, diese Träume zu zerstören, ohne die Harmonie zu verderben und die behagliche Freundschaft zu verscherzen. Auch mußte ich an die Rückreise denken. Wäre nicht der Traum meiner zukünftigen Dichtung und die drohende Ebbe meiner Kasse gewesen, so wäre ich dort geblieben. Ich hätte vielleicht auch, gerade der Ebbe wegen, die Nardini geheiratet. Doch nein, was mich abhielt, war mein noch nicht vernarbter Schmerz um Elisabeth und das Verlangen, sie wiederzusehen.