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»Ich will dir was sagen«, lachte er. »Wenn du so stark bist, so hau den Krug mit der Faust zusammen. Dann zahlen wir dir so viel Wein, als er faßt. Wenn du es nicht kannst, zahlst aber du den Wein.«

Mein Vater stimmte sogleich zu. Also stand ich auf, wickelte mein Taschentuch um die Hand und schlug. Die zwei ersten Schläge taten keine Wirkung. Beim dritten ging der Krug in Stücke. »Zahlen!« rief mein Vater und glänzte vor Wonne, der Alte schien einverstanden. »Gut«, sagte er, »ich zahl Wein, soviel in den Krug geht. Wird aber nimmer viel sein.« Freilich faßte der Scherben keinen Schoppen mehr, und ich hatte zum Schmerz im Arm noch den Spott. Auch mein Vater lachte mich jetzt aus.

»Nun, so hast du gewonnen«, schrie ich, schenkte den Scherben aus unsrer Flasche voll und goß ihn dem Alten über den Kopf. Nun waren wir wieder die Sieger und hatten den Beifall der Gäste.

Derlei starke Scherze wurden noch mehr getrieben. Dann schleppte mein Vater mich nach Hause, und wir polterten aufgeregt und unwirsch durch die Stube, in welcher vor noch nicht drei Wochen der Sarg der Mutter gestanden hatte. Ich schlief wie ein Toter und war am Morgen ganz verwüstet und zerbrochen. Der Vater spottete, war munter und heiter und freute sich sichtlich seiner Überlegenheit. Ich aber schwor im stillen, nie mehr zu zechen, und wartete sehnlichst auf den Tag der Abreise.

Der Tag kam, und ich reiste ab, den Schwur aber habe ich nicht gehalten. Der gelbe Waadtländer, der tiefrote Veltliner, der Neuenburger Sternwein und viele andere Weine sind mir seither bekannt und gute Freunde geworden.

3

Aus der nüchternen und drückenden Luft der Heimat herausgekommen, tat ich große Flügelschläge der Wonne und Freiheit. Wenn ich sonst im Leben je und je zu kurz gekommen bin, so habe ich doch die absonderliche, schwärmerische Lust der Jugendzeit reich und rein genossen. Gleich einem jungen Krieger, der am blühenden Waldrand rastet, lebte ich in seliger Unruhe zwischen Kampf und Getändel; und wie ein ahnungsvoller Seher stand ich an dunkeln Abgründen, dem Brausen großer Ströme und Stürme lauschend und die Seele gerüstet, den Zusammenklang der Dinge und die Harmonie alles Lebens zu vernehmen. Tief und beglückt trank ich aus den vollen Bechern der Jugend, litt in der Stille süße Leiden um schöne, scheu verehrte Frauen und kostete das edelste Jugendglück einer männlich frohen, reinen Freundschaft bis zum Grunde.

In einem neuen Buckskinanzug und mit einer kleinen Kiste voll Bücher und sonstiger Habe kam ich angefahren, bereit mir ein Stück Welt zu erobern und so bald als möglich den Rauhbeinen daheim zu beweisen, daß ich aus einem anderen Holze als die übrigen Camenzinde geschnitten sei. Drei wundervolle Jahre wohnte ich in derselben weithinblickenden, windigen Mansarde, lernte, dichtete, sehnte mich und fühlte alle Schönheit der Erde mich mit warmer Nähe umgeben. Nicht jeden Tag hatte ich etwas Warmes zu essen, aber jeden Tag und jede Nacht und jede Stunde sang und lachte und weinte mir das Herz, einer starken Freude voll, und hielt das liebe Leben heiß und sehnlich an sich gedrückt.

Zürich war die erste große Stadt, die ich grüner Peter zu sehen bekam, und ein paar Wochen lang machte ich beständig große Augen. Das städtische Leben aufrichtig zu bewundern oder zu beneiden, fiel mir zwar nicht ein – darin war ich eben ein Bauer, – aber ich hatte Freude an dem Vielerlei der Straßen, Häuser und Menschen. Ich beschaute die von Wagen belebten Gassen, die Schifflände, Plätze, Gärten, Prunkbauten und Kirchen; ich sah fleißige Leute in Scharen zur Arbeit laufen, sah Studenten bummeln, Vornehme ausfahren, Gecken sich brüsten, Fremde umherschlendern. Die modisch eleganten, hoffärtigen Weiber der Reichen kamen mir wie Pfauen im Hühnerhofe vor, hübsch, stolz und ein wenig lächerlich. Schüchtern war ich eigentlich nicht, nur steif und trotzig, und ich zweifelte nicht, daß ich ganz der Kerl dazu sei, dies rege Leben der Städte gründlich kennenzulernen und später selber einmal meinen sicheren Platz darin zu finden.

Die Jugend trat mich an in der Gestalt eines schönen, jungen Menschen, der in derselben Stadt studierte und im ersten Stockwerk meines Hauses zwei hübsche Zimmer gemietet hatte. Jeden Tag hörte ich ihn unten Klavier spielen und spürte dabei zum erstenmal etwas vom Zauber der Musik, der weiblichsten und süßesten Kunst. Dann sah ich den hübschen Jungen das Haus verlassen, ein Buch oder Notenheft in der Linken, in der Rechten die Zigarette, deren Rauch hinter seinem biegsam schlanken Gang verwirbelte. Mich zog eine scheue Liebe zu ihm hin, doch blieb ich abgesondert und fürchtete mich, mit einem Menschen Umgang zu haben, neben dessen leichtem, freiem und wohlhabendem Wesen meine Armut und mein Mangel an Lebensart mich nur demütigen würde. Da kam er selber zu mir. Eines Abends klopfte es an meiner Tür, und ich erschrak ein wenig; denn ich hatte noch nie Besuch bei mir gesehen. Der schöne Student trat ein, gab mir die Hand, nannte seinen Namen und tat so frei und fröhlich, als wären wir alte Bekannte.

»Ich wollte fragen, ob Sie nicht Lust hätten, ein wenig mit mir zu musizieren«, sagte er freundlich. Aber ich hatte in meinem Leben nie ein Instrument berührt. Ich sagte ihm das und fügte hinzu, daß ich außer Jodeln keinerlei Künste verstehe, doch habe mir sein Klavierspiel oft schön und verlockend heraufgeklungen.

»Wie man sich täuschen kann!« rief er lustig. »Ihrem Äußeren nach hätte ich geschworen, Sie seien Musiker. Merkwürdig! Aber Sie können jodeln? O bitte, jodeln Sie doch einmal! Ich höre es ums Leben gern.«

Ich war ganz bestürzt und erklärte ihm, daß ich so auf Verlangen und in der Stube drin durchaus nicht jodeln könne. Das müsse auf einem Berge oder mindestens im Freien und ganz aus eigener Lust geschehen.

»Dann jodeln Sie also auf einem Berge! Vielleicht morgen? Ich bitte Sie sehr darum. Wir könnten etwa gegen Abend miteinander ausfliegen. Wir bummeln und plaudern ein wenig, droben jodeln Sie dann, und nachher essen wir in irgendeinem Dorf zu Nacht. Sie haben doch Zeit?«

O ja, Zeit genug. Ich sagte eilig zu. Und dann bat ich ihn, mir etwas vorzuspielen, und stieg mit ihm in seine schöne, große Wohnung hinunter. Ein paar modern eingerahmte Bilder, das Klavier, eine gewisse zierliche Unordnung und ein feiner Zigarettenduft erzeugten in dem hübschen Raum eine Art von freier und behaglicher Eleganz und wohnlicher Stimmung, die mir ganz neu war. Richard setzte sich ans Klavier und spielte ein paar Takte.

»Sie kennen das, nicht wahr?« nickte er herüber und sah prachtvoll aus, wie er so vom Spielen weg den hübschen Kopf herüberbog und mich glänzend ansah.

 »Nein«, sagte ich, »ich kenne nichts.«

»Es ist Wagner«, rief er zurück, »aus den Meistersingern«, und spielte weiter. Es klang leicht und kräftig, sehnsüchtig und heiter, und umfloß mich wie ein laues, erregendes Bad. Zugleich betrachtete ich mit heimlicher Lust den schlanken Nacken und Rücken des Spielers und seine weißen Musikerhände, und dabei überlief mich dasselbe scheue und bewundernde Gefühl von Zärtlichkeit und Achtung, mit dem ich früher jenen dunkelhaarigen Schüler betrachtet hatte, zusammen mit der schüchternen Ahnung, dieser schöne, vornehme Mensch würde vielleicht wirklich mein Freund werden und meine alten, nicht vergessenen Wünsche nach einer solchen Freundschaft wahr machen.

Tags darauf holte ich ihn ab. Langsam und plaudernd erstiegen wir einen mäßigen Hügel, überschauten Stadt, See und Gärten und genossen die satte Schönheit des Vorabends.