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Es waren die Gärten nun einmal nichts für Schöngeister, sondern vor allem Wirtschaftsbetriebe, die den Hof mit Obst und Gemüse zu versorgen hatten. Wichtiger als die Planteure, die sich mit den Bäumen beschäftigten, mit den Hecken, Alleen und Bosketten, waren Gärtner, die Kenntnisse der Pomologie vorzuweisen hatten und sich auf Spalier und Gewächshaus verstanden. Der Anspruch des Hofes war groß in einer Zeit, in der das Wissen um das, was in anderen Weltregionen heimisch war, beständig wuchs. Die Gartenreviere hatten sich daher spezialisiert, und der Pfaueninsel oblag insbesondere die Blumenzucht, aber auch Kirschen wurden hier gezogen und Erdbeeren, frei und unter Glas. Auch eine Baumschule hatte man angelegt, in der junge Bäume oculiert, gepfropft, copuliert und für die anderen Gärten recrutiert wurden. Jeden Samstag hatte Fintelmann zu rapportieren, was an die Hofküche geliefert werden konnte.

Schon zu Zeiten Friedrichs des Großen hatte man in Potsdam im Winter in den Gewächshäusern Trauben und Pfirsiche geerntet, Pflaumen, Feigen, Orangen und Ananas. Auch Bananen, von denen der König sich eine Linderung seiner Gicht erhofft hatte. An Gemüse ganzjährig Blumenkohl, Gurken, Kartoffeln, Kohlrabi, Möhren, Radieschen, Salat, Wirsing und Spargel. All das war zum Erliegen gekommen, als der Hof nach der Schlacht bei Jena und Auerstedt ins Exil ging.

Der König hat eine Bataille verloren, hatte man in der Hauptstadt plakatiert, jetzt ist Ruhe die erste Bürgerpflicht. Die Franzosen besetzten die Stadt, der Hof floh nach Memel, Löhne wurden nicht mehr bezahlt, in den Gärten die Parkwächter entlassen. In Berlin wurden die Nahrungsmittel so knapp, daß der Gartenintendant den privaten Anbau auf königlichem Boden gestattete.

Ihren Bewohnern war die Pfaueninsel da wie ein Schiff erschienen, das in einer vergessenen Bucht vor den Toren der Welt ankerte und abwartete. Weil Fintelmann den Umbau der Insel forciert, bei der Meierei etwa einen Rinderstall und eine Scheune errichtet und von den dreihundertfünfundachtzig Morgen der Insel zweiundsiebzig gerodet und in Felder verwandelt hatte, konnte man sich nun weitgehend selbst versorgen. Wobei man die alten Eichen inmitten der Felder belassen hatte, so die schöne, in Freiheit gestaltete Natur mit den Notwendigkeiten des Landbaus verbindend. Klaglos richtete man sich in den neuen Verhältnissen ein und war in den unruhigen Zeiten eher froh, daß weder Potsdam noch Berlin sich sonderlich um die Insel kümmerten.

Dem Hofgärtner aber hatte es in der Seele weh getan, dabei zusehen zu müssen, wie alles verkam, weil kein Geld da war, um die Leute zu bezahlen. Und so schrieb er sofort nach der Rückkehr der Königlichen Majestäten dem Hofmarschall von Massow, er wünsche deshalb sehr, Euer Excelenz hätten die Gnade und Liebe für die Pfauen Insel und ertheilten mir die Erlaubnis, die seit 3 Jahren unbearbeitet gelegenen Gänge wieder in Ordnung bringen zu dürfen und überhaupt die Gärtnerey wieder so instand setzen zu können, als die Allerhöchsten Herrschaften selbige vor 3 1/2 Jahren verließen.

Fintelmann zupfte den Briefwechsel aus der Akte und mußte lächeln, als er das Responsum des Hofmarschalls noch einmal las: Es kann nicht alles auf einmal geschehen. Fintelmanns Antwort datierte nur zwei Wochen später. Die Königlichen Majestäten sind vorgestern mit Familie auf der Insel gewesen, haben die Promenade um die ganze Insel gemacht, auf der Meyerey mehrere Gläser süße Milch getrunken und sich nachher noch über eine Stunde beym Thee verweilt. Ihre Königlichen Hoheiten der Kronprinz und Prinzeß Charlotte waren den Tag vorher schon hier und kamen denselben Tag wieder und versprachen, weil es höchst ihnen hierselbst sehr gefiel, diesen Sommer recht oft zu kommen. Auch wollen Seine Majestät bald hier wohnen, und noch in dieser Woche erwarte ich die Allerhöchsten Herrschaften zum Mittag hierselbst. Unstreitig ein Zeichen, daß Allerhöchst Ihnen die Pfauen Insel noch ebenso wie ehedem gefällt.

Man bewilligte, was er verlangte. Und so begann er am Schloß mit einer Saumpflanzung von Himbeeren und Feigen, die es im Winter sorgsam einzuhausen galt, ließ dann die Ufer an der Überfahrt mit Feldsteinen sichern und Pestwurz pflanzen, um mit ihren Blättern zu prunken. Dahinter Eselsdistel und Rittersporn. Und an manchen Stellen der Insel die Lieblingsblumen der Königin, die teuren, erst vor wenigen Jahren entdeckten Hortensien, die er von Georg Steiner in Charlottenburg zu sechzehn guten Groschen das Stück bezog.

Daß Gustav ihn plötzlich anzusehen schien, holte den Hofgärtner aus seinen Gedanken. Dabei hatte er es doch trotz der Dämmerung versäumt, die Lampe anzuzünden. Aber er begriff schnell, daß der Junge nicht ihn, sondern jemanden ansah, der auf der Treppe vor der Haustür stehen mußte, und dann kam Gustav auch schon angelaufen und verschwand ins Haus, ohne noch einen Blick für seine Brüder zu haben.

Der Hofgärtner wußte natürlich, wer einzig seine Aufmerksamkeit so plötzlich auf sich gezogen haben konnte, es war Marie, die Zwergin, an der Gustav, seit ihrem ersten Tag auf der Insel, einen Narren gefressen hatte. Fintelmann war dies nicht recht. Dabei mochte er das Mädchen. Aber er war Gärtner, und als solcher wünschte er sich, ihr Riemen unter die Achseln zu schieben und sie wie Spalierobst aufzubinden, damit sie gerade wachse. Er wollte sie düngen, in ein Treibhaus setzen, ihre Füße mit guter Gartenerde behäufeln, damit sie wachse. Endlich wachse. Er hörte Gustavs aufgeregte Stimme im Flur, ihr Lachen, die Haustür, die ins Schloß fiel, und wie die beiden die Treppe hinaufstürmten, hinauf, wie er wußte, in Maries winzige Kammer unter dem Dach.

Nicht, daß sie ihn angewidert hätte, ganz im Gegenteil. Auch auf der Insel kümmerte er sich um jene Pflanzen, die nicht gerieten, mehr als um die makellosen, und er tat das gern, und es tat ihm jedesmal leid, wenn ihm schließlich nichts anderes blieb, als sie auszureißen und auf den Kompost zu werfen. Auch Marie betrachtete er so, mit aller Aufmerksamkeit, ja Liebe, doch er wußte auch um die Gelenkschmerzen, die sie später haben würde, um die Ohrenentzündungen, die bei ihresgleichen oftmals zur Taubheit führten, sah ihre gespreizten Stummelfinger beim Essen und daß sie die Ellbogen nicht gerade bekam. All das verlangte geradezu nach einer Korrektur, und es machte ihn unruhig und wütend, daß es diese Korrektur nicht gab. Es verspottete dieser Leib die Ebenmäßigkeit des Gesunden, wie ein krummer Baum um die Schönheit jammert. Doch Fintelmanns Kunst konnte in diesem Fall nichts erreichen. Er war nicht Gott. Und Marie war keine Pflanze. Aber was war sie dann?

Der Hofgärtner starrte hinaus in den Regen. Wozu hatte Gott sie so gemacht? Ist dem Schöpfer die Schönheit seiner eigenen Schöpfung ganz gleichgültig? Er schüttelte den Kopf über solche Gedanken. Auch die beiden anderen Jungen waren jetzt verschwunden. Er hatte sie nicht ins Haus kommen gehört, aber das Klappern der Teller nebenan verriet ihm, daß zum Nachtessen gedeckt wurde. Das Dunkel stieg aus der Havel herauf und kroch zwischen die Bäume. Zwerge gelten als scheu, aber als gute Arbeiter. Manchmal helfen sie den Menschen. Sie lieben das Gold. Sie sind diebisch. Sie heißen auch das schweigende Volk. Man sagt, es sei ihnen zuwider, wenn Kirchen gebaut werden, auch Glockengeläute störe sie. Sie meiden die Sonne und haben in ihren Höhlen anderes Licht und eine andere Zeit als die Menschen. Gern entwenden sie wohlgestaltete Kinder aus den Wiegen und legen ihre eigenen häßlichen oder gar sich selbst hinein. Wechselbälge nennt man diese. Eine Frau, das hatte ihm seine Mutter erzählt, schnitt einmal Korn an einem Berg, zur Seite lag ihr Säugling. Eine Zwergin kam geschlichen, nahm das Menschenkind und legte ihr eigenes an die Stelle. Als die Frau nach ihrem Säugling sah, gaffte ihr der Wechselbalg in die Augen, und sie schrie so heftig Zeter, daß die Diebin endlich wiederkam mit dem Kinde. Aber nicht eher gab sie es zurück, bis die Frau den Zwergenbalg an ihre Brust gelegt und einmal mit edler Menschenmilch gesäugt hatte.