Lloyds Entdeckung des „Todesbazillus“ der Froschfische und seine Untersuchungen zur Wirkung von Zyankali auf den Bazillus machten seinen Namen und den seiner Universität weltbekannt. Paul stand ihm jedoch in nichts nach, denn ihm gelang die Herstellung künstlicher Kolloide, die sich wie Amöben verhielten. Außerdem warf er neues Licht auf die Befruchtungsprozesse durch seine erstaunlichen Untersuchungen der Wirkung einfacher Natriumchloride und Magnesiumlösungen auf niedere Wasserlebewesen.
In ihrer Studentenzeit, während sie noch vollauf damit beschäftigt waren, die Geheimnisse der organischen Chemie zu ergründen, geschah es allerdings, daß Doris van Benschoten in ihr Leben trat. Lloyd lernte sie als erster kennen, aber innerhalb von vierundzwanzig Stunden sorgte Paul dafür, daß er ebenfalls ihre Bekanntschaft machte. Natürlich verliebten sie sich in sie, und das Mädchen wurde für beide der einzige Lebensinhalt. Sie umwarben sie mit dem gleichen Eifer und Feuer, und der Kampf um sie wurde so heiß, daß die halbe Studentenschaft hohe Wetten über den Ausgang abschloß. Selbst der alte Moss setzte nach einem erstaunlichen Experiment in seinem Privatlaboratorium, das Paul demonstriert hatte, einen Monatslohn darauf, daß dieser Doris van Benschotens Bräutigam würde.
Am Ende löste sie das Problem auf ihre Weise, zur Zufriedenheit aller, mit Ausnahme von Paul und Lloyd. Sie lud die beiden ein und eröffnete ihnen, daß sie sich wirklich nicht zwischen ihnen entscheiden könne, denn sie mochte beide gleich gern. Da es jedoch in den Vereinigten Staaten nicht erlaubt sei, polygam zu leben, sähe sie sich gezwungen, auf die Ehre und das Glück der Ehe mit jedem der beiden zu verzichten. Sie gaben sich gegenseitig die Schuld an diesem beklagenswerten Ausgang, und die Feindschaft zwischen ihnen wuchs noch mehr.
Deren Höhepunkt sollte jedoch nur allzuschnell erreicht werden. Das Folgende ereignete sich in meinem Haus, nachdem sie ihren Abschluß gemacht hatten und aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit verschwunden waren. Es war der Anfang vom Ende. Beide waren vermögend, so daß bei ihnen nur eine geringe Neigung und überhaupt keine Notwendigkeit zu einer beruflichen Laufbahn bestand. Meine Freundschaft und ihre Feindschaft waren das einzige, was sie überhaupt zusammenhielt. Sie kamen sehr oft zu mir, achteten jedoch peinlich darauf, sich bei einem solchen Besuch nicht zu begegnen. Dennoch war es unter diesen Um- ständen unvermeidbar, daß sie gelegentlich aufeinanderstießen.
An dem betreffenden Tage hatte Paul Tichlorne den ganzen Morgen in meinem Arbeitszimmer über einer neuen wissenschaftlichen Zeitschrift gebrütet. Dadurch konnte ich mich um meine eigenen Angelegenheiten kümmern, und ich befand mich im Garten bei meinen Rosen, als Lloyd Inwood kam. Ich war gerade dabei, die Kletterrosen zu beschneiden und an der Veranda hochzubinden, den Mund voller Nägel.
Lloyd leistete mir Gesellschaft und ging mir auch gelegentlich zur Hand. Dabei kamen wir auf die sagenumwobenen unsichtbaren Menschen zu sprechen, auf jene fremdartigen, ruhelosen Gestalten, von denen uns in alten Überlieferungen berichtet wird. Lloyd wandte sich dem Gesprächsthema auf seine nervöse, sprunghafte Weise zu und stellte bald Betrachtungen über die physikalischen Voraussetzungen und Möglichkeiten der Unsichtbarkeit an. Ein völlig schwarzes Objekt, so behauptete er, würde sich dem schärfsten Blick entziehen.
„Farbe ist eine Sinneswahrnehmung“, sagte er. „Sie hat keine objektive Existenz. Ohne Licht können wir weder Farben noch die eigentlichen Gegenstände sehen. Alle Gegenstände sind im Dunkeln schwarz, und bei Dunkelheit ist es unmöglich, sie zu sehen. Wenn kein Licht auf sie fällt, dann wird von ihnen auch kein Licht auf das Auge zurückgeworfen, so daß wir keinen sichtbaren Beweis für ihre Existenz haben.“
„Aber wir sehen doch schwarze Gegenstände bei Tageslicht“, warf ich ein.
„Ganz recht“, fuhr er hitzig fort. „Der Grund dafür ist, daß sie nicht völlig schwarz sind. Wären sie völlig schwarz, absolut schwarz sozusagen, könnten wir sie nicht sehen. Nicht einmal im Licht von tausend Sonnen wären sie sichtbar! Ich behaupte, daß mit den richtig zusammengesetzten Farbstoffen ein absolutes Schwarz hergestellt werden könnte, und alles, was man damit bestriche, würde unsichtbar werden.“
„Das wäre eine erstaunliche Entdeckung“, sagte ich zurückhaltend, denn die ganze Sache schien mir zu phantastisch, als daß er ernst genommen werden könnte.
„Erstaunlich!“ Lloyd klopfte mir auf die Schulter. „Das will ich meinen. Wenn ich mich in solch eine Farbe hüllen könnte, alter Junge, dann würde mir die ganze Welt zu Füßen liegen. Ich würde die Geheimnisse von Königen und Kaisern kennen, das Ränkespiel der Diplomaten und Politiker, die Manöver der Börsenspekulanten, die Pläne von Trusts und Unternehmen. Ich käme an die Schalthebel der Macht heran; ja, ich wäre selbst die wichtigste Macht in der Welt. Und ich... “
Er unterbrach sich kurz, dann setzte er hinzu: „Nun ja, ich habe mit meinen Experimenten schon begonnen, und ich kann dir sagen, daß ich auf dem richtigen Wege bin.“
Ein Lachen von der Eingangstür her schreckte uns auf. Paul Tichlorne stand dort mit einem spöttischen Lächeln auf den Lippen.
„Du vergißt etwas, mein lieber Lloyd“, sagte er. „Was soll ich vergessen?“
„Du vergißt“, fuhr Paul fort, „ja, du vergißt den Schatten.“
Ich sah, wie sich Lloyds Gesicht verfinsterte, aber er antwortete spöttisch: „Ich kann ja einen Sonnenschirm tragen.“
Doch dann wandte er sich plötzlich wütend zu ihm hin. „Hör zu, Paul, du hältst dich da gefälligst ‘raus. Das rate ich dir.“
Ein Zusammenstoß schien unausweichlich, aber Paul lachte nur gutmütig. „Ich würde niemals deine schmutzigen Farbstoffe anrühren. Auch wenn du noch so viel Erfolg hättest, immer wäre dir der Schatten im Wege. Ihm entkommst du nicht. Ich gehe genau den entgegengesetzten Weg. Bei meiner Lösung wird der Schatten von vornherein eliminiert.“
„Transparenz!“ stieß Lloyd sofort hervor. „Aber sie ist nicht zu erreichen.“
„O nein, natürlich nicht.“ Paul zuckte die Achseln und schlenderte den Wildrosenpfad hinunter.
Das war der Anfang. Beide Männer gingen das Problem mit der gewaltigen Energie an, für die sie bekannt waren, und mit einer haßerfüllten Verbissenheit, daß ich vor dem Erfolg eines jeden Angst hatte.
Sie vertrauten mir völlig. In den folgenden langen Wochen des Experimentierens wurde ich auf beiden Seiten ein Beteiligter. Ich hörte mir ihre Theorien an und beobachtete ihre Experimente. Niemals machte ich auch nur die geringste Andeutung über die Fortschritte des anderen, und beide respektierten das Siegel, mit dem ich meine Lippen verschloß.
Lloyd Inwood hatte eine sonderbare Art, sich zu entspannen, wenn ihm die geistige und körperliche Anspannung nach längerer, ununterbrochener Arbeit unerträglich wurde. Er ging zu Boxkämpfen. Es geschah bei einer dieser grausamen Darbietungen, zu der er mich mitgeschleppt hatte, um mir seine neuesten Ergebnisse zu erläutern, daß seine Theorie eine augenfällige Bestätigung erfuhr. „Siehst du den Mann mit dem roten Backenbart?“ fragte er, indem er über den Ring hinweg auf die fünfte Sitzreihe deutete. „Und siehst du auch den Mann neben ihm, den mit dem weißen Hut? Zwischen ihnen ist doch eine ziemlich große Lücke, nicht?“
„Sicher“, antwortete ich. „Sie sind einen Platz auseinander. Die Lücke ist ein freier Sitz.“
Er beugte sich zu mir herüber und sprach ernst. „Zwischen dem Mann mit dem roten Backenbart und dem Mann mit dem weißen Hut sitzt Ben Wasson. Du hast gehört, wie ich einmal von ihm gesprochen habe. Er ist der beste Boxer seiner Klasse im Lande. Außerdem ist er Neger und kommt aus der Karibik. Er ist der schwärzeste Neger in den Vereinigten Staaten. Sein schwarzer Überzieher ist bis oben zugeknöpft. Ich sah ihn, als er hereinkam und sich dort hinsetzte. Sobald er saß, war er verschwunden. Sieh genau hin, er lächelt vielleicht.“