„Nicht der Rede wert“, unterbrach er meine Glückwünsche. „Ich habe etwas Bessere für dich zu tun.“ Während er sprach, begann er, sich auszuziehen, und als er nackt vor mir stand, drückte er mir einen Topf und einen Pinsel in die Hand und sagte: „Hier, pinsle mich damit ein.“
Es war eine ölige, schellackähnliche Substanz, die sich schnell und leicht auf der Haut verteilte und sofort trocknete.
„Das war nur die Vorbereitung und zur Vorbeugung“, erklärte er mir, als ich fertig war. „Jetzt geht’s richtig los.“
Ich nahm einen anderen Topf, den er mir zeigte, und blickte hinein. Aber ich konnte nichts sehen.
„Der ist ja leer“, sagte ich.
„Steck mal deinen Finger hinein.“
Ich tat es und spürte eine kühle Nässe. Als ich meine Hand zurückzog, warf ich einen Blick auf den Zeigefinger, den ich eingetaucht hatte, aber er war verschwunden. Ich bewegte ihn und spürte durch die abwechselnde Spannung und Entspannung der Muskeln, daß ich ihn bewegte, aber er war unsichtbar. Ich hatte einen Finger verloren; ich konnte ihn mit dem Auge nicht wahrnehmen, bis ich ihn unter das Oberlicht hielt und den Schatten deutlich auf dem Fußboden sah, Lloyd schmunzelte. „Jetzt streiche mich ein und halte die Augen offen.“
Ich tauchte den Pinsel in den scheinbar leeren Topf und zog einen langen Strich über seine Brust. Während der Pinsel über die Haut strich, verschwand sie darunter. Ich pinselte sein linkes Bein ein, und er wurde zu einem Einbeinigen, der gegen alle Gesetze der Gravitation zu verstoßen schien. Und so pinselte ich Lloyd Inwood Strich für Strich, Körperteil für Körperteil ins Nichts. Mir war unheimlich zumute, und ich war froh, als bis auf seine glühenden Augen, die scheinbar mitten im Raum standen, nichts sichtbar geblieben war.
„Dafür habe ich eine verfeinerte und harmlose Farblösung“, sagte er. „Ein feiner Spritzer aus dem Zerstäuber - und fertig! Es gibt mich nicht mehr.“
Das war schnell gemacht, und er sagte: „So, jetzt werde ich hin und her gehen, und du sagst mir, was du wahrnimmst.“ „Fürs erste kann ich dich nicht sehen“, sagte ich und konnte sein fröhliches Lachen aus dem Nichts heraus hören. „Natürlich“, fuhr ich fort, „kannst du deinem Schatten nicht entfliehen, aber damit war ja zu rechnen. Wenn du zwischen meine Augen und ein Objekt trittst, dann verschwindet das Objekt. Dieses Verschwinden ist so absonderlich und unbegreiflich, daß ich nur glaube, einen trüben Fleck vor meinen Augen zu haben. Wenn du dich schnell bewegst, erscheint eine verwirrende Folge von Flecken. Dabei tun mir die Augen weh und mein Gehirn ermüdet.“
„Hast du irgendeinen Anhaltspunkt für meine Anwesenheit?“ fragte er.
„Ja und nein“, antwortete ich. „Wenn du in meine Nähe kommst, dann habe ich das Gefühl, als sei ich in einem naßkalten Speicher, einer düsteren Krypta oder in einem tiefen Bergwerk. Mir scheint, ich spüre die Nähe deines Körpers so, wie ein Seemann die Nähe von Land im Dunkel der Nacht spürt. Aber das ist alles sehr vage und unfaßbar.“
Lange sprachen wir an diesem letzten Morgen in seinem Laboratorium. Als ich mich zum Gehen wandte, faßte seine unsichtbare Hand mit nervösem Griff die meine, und er sagte: „Jetzt werde ich die Welt erobern!“ Und ich hatte nicht den Mut, ihm von Pauls ebenso großem Erfolg zu berichten.
Zu Hause fand ich eine Nachricht von Paul, der mich bat, sofort zu ihm zu kommen. Es war Mittag, als ich seine Einfahrt hinaufradelte. Paul rief mich vom Tennisplatz, ich stieg vom Rad und ging zu ihm hinüber. Aber der Platz war leer. Während ich dort mit offenem Mund stand, traf ein Tennisball meinen Arm und als ich mich umdrehte, pfiff ein zweiter an meinem Ohr vorbei. Da ich von meinem Angreifer absolut nichts sehen konnte, war mir, als ob die Bälle aus dem Weltraum auf mich zuwirbelten. Ich wurde regelrecht bombardiert. Als aber die Bälle, mit denen ich beworfen worden war, ein zweites Mal angeflogen kamen, begriff ich die Situation. Ich nahm mir einen Tennisschläger und hielt die Augen offen. Jetzt sah ich, wie ein Regenbogenblitz auftauchte, verschwand und pfeilschnell über den Boden schoß. Ich nahm ihn aufs Korn, und als ich ein halbes Dutzend Bälle auf ihn abgeschossen hatte, erscholl Pauls Stimme: „Genug, genug! Au! Au! Hör doch auf! Du triffst meine nackte Haut! Au! Oh! Ich höre auch auf! Ich höre auch auf! Ich wollte doch nur, daß du meine Verwandlung siehst“, rief er reumütig, und ich stellte mir vor, wie er seine Wunden rieb.
Ein paar Minuten später spielten wir Tennis. Ich war im Nachteil, denn ich hatte keine Ahnung, wo er sich gerade befand, außer wenn die Winkel zwischen ihm, der Sonne und mir in einem günstigen Verhältnis standen. Dann blitzte es auf, nur dann.
Diese Blitze waren leuchtender als ein Regenbogen; reinstes Blau, feinstes Violett, hellstes Gelb und alle Schattierungen dazwischen mit dem funkelnden Glanz eines Diamanten; verwirrend, blendend, schillernd.
Aber mitten im Spiel überkam mich plötzlich ein Gefühl von Kälte, als wäre ich in einem tiefen Bergwerksstollen oder in einer düsteren Krypta.
Es war genau das Gefühl von Kälte, das ich an diesem Morgen schon einmal gehabt hatte. Im nächsten Moment sah ich, wie dicht neben dem Netz ein Ball zurückprallte - mitten im Flug, im leeren Raum. Gerade in diesem Augenblick sandte Paul Tichlorne einige Schritt davon entfernt einen Regenbogenblitz aus. Er konnte den Ball nicht zurückgeschlagen haben. Bis ins Mark erschüttert, erkannte ich, daß Lloyd Inwood die Szene betreten hatte. Um ganz sicherzugehen, hielt ich nach seinem Schatten Ausschau. Und da war er, der formlose Umriß seines Körpers (die Sonne stand genau über uns), der sich über den Boden bewegte. Ich erinnerte mich seiner Drohung und war sicher, daß die jahrelange Rivalität jetzt in einem unheimlichen Kampf ihren Höhepunkt erreichen sollte.
Ich rief Paul, um ihn zu warnen, dann hörte ich ein Knurren, ähnlich dem eines wilden Tieres, und ein Knurren als Antwort. Ich sah, wie der dunkle Fleck schnell über das Spielfeld huschte und ein leuchtender, vielfarbiger Lichtblitz ebenso schnell dahinschoß, um ihn zu treffen. Und dann trafen Schatten und Lichtblitze zusammen, und man hörte unsichtbare Schläge. Vor meinen erschrockenen Augen fiel das Netz zu Boden. Ich sprang auf die Kämpfenden zu und brüllte: „Um Himmels willen!“
Aber die ineinander verkrallten Körper stießen gegen meine Knie, und ich wurde umgeworfen.
„Halt du dich da raus, alter Junge“, hörte ich Lloyd Inwoods Stimme aus dem Nichts.
Dann schrie Pauclass="underline" „Ja, jetzt ist endlich Schluß mit der Friedenstifterei!“
Durch den Klang ihrer Stimmen erkannte ich, daß sie auseinander waren. Ich konnte Paul nicht ausmachen, deshalb näherte ich mich dem Schatten, der Lloyd repräsentierte. Aber von der anderen Seite kam ein lähmender Schlag genau auf mein Kinn, und ich hörte Paul wütend rufen: „Hau jetzt endlich ab!“
Dann trafen sie erneut aufeinander. Die Wirkung ihrer Schläge, ihr Stöhnen und Keuchen sowie die schnellen Blitze und Schattenbewegungen machten nur zu deutlich, daß die beiden auf Leben und Tod kämpften.
Ich rief um Hilfe, und Gaffer Bedshaw kam aufs Spielfeld gelaufen. Während er auf mich zulief, sah ich, daß er mich mit Befremden anblickte. Aber er stieß mit den Kämpfenden zusammen und wurde der Länge nach zu Boden geschleudert. Mit einem Schrei des Entsetzens und dem Ruf „ Gott, ich werde wahnsinnig!“ sprang er auf die Füße und rannte wie besessen vom Spielfeld.
Ich konnte nichts tun, deshalb setzte ich mich nieder. Fasziniert und ohnmächtig verfolgte ich den Kampf. Die Mittagssonne prallte blendend hell auf den leeren Tennisplatz. Und er war wirklich leer. Alles, was ich sehen konnte, waren der Schatten und die Regenbogenblitze, der von unsichtbaren Füßen aufgewirbelte Staub, der unter schweren Fußtritten aufreißende Boden und das Drahtgitter, welches sich ein- oder zweimal durchbog, während ihre Körper dagegen prallten. Das war alles, und nach einiger Zeit hörte auch das auf. Es gab keine Blitze mehr; der Schatten war lang geworden und bewegte sich nicht mehr.