Zellen droht. Ich kann euch keinen Rat geben, wie ihr mit diesen geheimnisvollen Dingen klarkommen könnt, denn ich bin unwissend, aber meine Abschiedsworte lauten: ,Bewahrt die Ruhe; möge eure Unternehmung erfolgreich sein, und gebt acht!-’“
Dann trennten sie sich - Dämon und Pythias auf der Suche nach Geistern und George und Fred auf der Suche nach Katzen.
Das erste Paar schritt zur Vordertür; da sie aber geschlossen war und die Geister nicht reagierten, nachdem sie den großen altmodischen Klopfer ordnungsgemäß betätigt hatten, versuchten sie es mit den Fenstern am langen Säulengang und fanden im zweiten Stock auch eins offen. Sobald sie sich Zutritt verschafft hatten, zündeten sie sofort ein paar Kerzen an und begaben sich auf Erkundung.
Alles war altmodisch, staubig und muffig; das hatten sie erwartet. Im dritten Stock fingen sie an und überprüften alles gründlich - öffneten die Schränke, rissen die verrotteten Tapeten ab, suchten nach Falltüren und horchten sogar die Wände ab. All das taten sie, weil beide kürzlich Emile Gaborieau gelesen hatten. Mit Monsieur Lecoq wetteifernd, stiegen sie sogar in das Kellergeschoß, was sich aber als so kompliziert herausstellte, daß sie es resigniert aufgaben.
Zurück im zweiten Stock, machten sie es sich mit zwei Hok-kern und einer Kiste, die sie aufgetrieben hatten, in dem saubersten Zimmer, das sie finden konnten, bequem. Obwohl ein halbes Dutzend Kerzen den Raum erleuchteten, sah er immer noch trübe und verlassen aus und dämpfte ihre Stimmung „gerade soweit“, wie Dämon sich ausdrückte, „daß sie für ein gutes Schachspiel richtig war.“
Nach Ablauf von anderthalb Stunden beendeten sie ihr erstes Spiel. Pythias klappte seine Uhr auf und bemerkte: „Halb eins, und noch kein Gespenst.“
„Das kommt davon, weil das Zimmer so verräuchert ist, da sind die armen Geister gar nicht zu sehen“, erwiderte Dämon. „Mach doch das Fenster auf und laß etwas Rauch abziehen.“ Als dieses getan war, richteten sie das Brett für ein neues Spiel her. Als Dämon seine Hand ausstreckte, um den weißen Königsbauern vorzusetzen, hielt er plötzlich mit einem erschrockenen Gesichtsausdruck inne, desgleichen Pythias. Schweigend, mit fragendem Blick sahen sie sich an, und ihre beiderseitige, jedoch unbegreifliche Betroffenheit war offenkundig.
Wieder versuchte Dämon, den Bauern vorzusetzen, und wieder hielt er inne, und abermals starrten sie einander entsetzt an. Das Schweigen schien so greifbar, daß es sich wie eine bleierne Last auf sie legte. Die Anspannung ihrer Nerven war fürchterlich, sie wollten sie durchbrechen, jedoch vergeblich. Georges Warnung fiel ihnen ein. War es möglich? Konnte es wahr sein? Waren sie durch diese bewußtseinsmäßige, psychische Kraft, an die keiner von beiden glaubte, ihrer Sprache beraubt worden? Wie in einem Alptraum versuchten sie zu schreien, um die entsetzliche lähmende Macht zu brechen. Pythias war leichenblaß, und auf Dämons Stirn bildeten sich Schweißperlen, die über den Nasenrücken liefen und in einem kleinen Wasserfall auf die saubere weiße Fliege und die glänzende Hemdbrust tropften.
Es schien ihnen eine Ewigkeit, aber in Wirklichkeit waren es nur ein paar Minuten, die sie sich gequält anstarrten. Schließlich sagte ihnen ihre Intuition, daß sich die Angelegenheit einem Wendepunkt näherte. Sie wußten, daß der Druck nicht länger andauern konnte.
Plötzlich ertönte in der stillen Nachtluft, unheimlich und schrill, der Schrei einer Katze, der durch das offene Fenster hereingetragen wurde; dann hörte es sich an, als klettere jemand über einen Zaun und Steine polterten gegen Bretter, worauf sich der triumphierende Katzenschrei in ein Schmerzensund Schreckensgeheul verwandelte, das schnell in ein erstik-kendes Gurgeln überging; und sie hörten Fred mit Begeisterung in der Stimme rufen: „Nummer eins!“
Für einen kurzen Augenblick fühlten sie sich wie ein Taucher, dem es ein wunderbarer Genuß ist, wenn er nach dem Auftauchen aus den Tiefen des Ozeans die verbrauchte Luft aus den Lungen stoßen und von neuem das Lebenselement einatmen kann. Der Bann war jedoch nicht gebrochen. Ihre Bestürzung kehrte zurück, nur tausendmal schlimmer. Beide hatten das hysterische Bedürfnis zu lachen, so komisch erschien ihnen die Situation. Aber infolge der geheimnisvollen Kraft blieb ihnen auch das versagt, und ihre Gesichter verzerrten sich zu idiotischen Fratzen. Das entsetzte sie so sehr, daß sie sofort ihren ganzen Willen dagegen aufboten und ihre Gesichter nun wieder den Ausdruck von Bestürzung annahmen. Gleichzeitig dämmerte es ihnen. Ihnen war die Fähigkeit abhanden gekommen, ihre Bewegung zu lenken. Die Artikulationsversuche ihrer Lippen hatten es gezeigt. Sie erhoben sich halb, als ob sie fliehen wollten, doch dann beschämte sie ihre eigene Feigheit, und sie setzten sich wieder. Pythias hielt ein Bündel Feuerwerkskörper an eine Kerze und warf es mitten ins Zimmer.
Unter Zischen, Knallen, Krachen und Ballern erfüllten die Schwärmer den Raum mit einer dichten Rauchwolke, die wie eine Glocke über den beiden hing und in dem darauffolgenden entsetzlichen Schweigen geheimnisvoll auf ihnen lastete.
Dämon wurde von einem seltsamen Gefühl gepackt. Die Angst vor dem Übernatürlichen schien ihn zu verlassen und durch das wilde, heftige, verzehrende Verlangen ersetzt zu werden, das Spiel zu beginnen. Undeutlich erkannte er, daß er eine Reinkarnation durchmachte. Er hatte das Gefühl, daß er sich rasend schnell in jemand anderen verwandelte oder ein anderer in ihn hineinschlüpfte. Seine eigene Persönlichkeit schwand, und, als träume er, nahm er die Projektion einer anderen und mächtigeren Persönlichkeit in sich wahr, oder er wurde von dieser überwältigt, geschluckt. Er selbst schien alt und schwach geworden zu sein, als beuge er sich unter der Last der Jahre; dennoch empfand er diese Last als seltsam leicht, so als würde sie durch die brennende, begeisterte Aufregung getragen, die in ihm kochte, brodelte und bebte. Ihm war, als würde sein Schicksal auf dem Brett vor ihm liegen; als ob sein Leben, seine Seele, sein Alles von diesem Spiel, das noch zu spielen war, abhing.
Dann kam plötzlich in kurzer Zeit ein unstillbarer Haß und ein grausiges Verlangen nach Rache in ihm auf. Tausend Kränkungen schienen sich ihm in lebendiger Klarheit zu zeigen; tausend Teufel schienen ihn zu drängen, sein Verlangen zu stillen. Wie haßte er jenen - den Mann, der die Inkarnation des Satans war, der ihm da auf der anderen Seite des Schachbretts gegenübersaß. Er warf ihm einen herausfordernden Blick zu, und mit der Geschwindigkeit eines dahinsegelnden Adlers verstärkte sich sein Haß, während er in das verräterische, lächelnde Gesicht und in die halbverdeckten, hinterlistigen Augen sah. Das war nicht Pythias; dieser war gegangen - warum und wann, das fragte er sich nicht.
Dieselben seltsamen Veränderungen waren mit Pythias vor sich gegangen. Er verachtete den Gegner, der ihm gegenübersaß. Er hielt sich für einen Menschen, der mit der Schläue und Gerissenheit der ganzen Welt ausgestattet war. Der andere war in seiner Gewalt; Pythias wußte das und freute sich, als er in aufreizender Hochstimmung in dessen Gesicht schaute. Das triumphierende Gefühl, den anderen zu bezwingen, ihn niederzuwerfen, wurde übermächtig in ihm. Auch er wollte anfangen. Das Spiel begann. Dämon eröffnete kühn mit einem Gambit. Auch Pythias setzte, spielte aber defensiv. Dämons Angriff war glänzend und schnell; Pythias jedoch begegnete ihm mit so gewagten und ungewöhnlichen Kombinationen, daß beim siebenundzwanzigsten Zug abgebrochen wurde und Pythias immer noch einen Bauern mehr hatte.