Im folgenden Jahr wurde der zwanzigjährige Emil Gluck Assistent für Chemie an der Universität von Kalifornien. Die Jahre vergingen ruhig; treu und brav erfüllte er die Pflichten, die ihm das Gehalt einbrachten, und eigentlich immer noch Student, erwarb er ein halbes Dutzend akademischer Grade. Er war unter anderem Doktor der Soziologie, der Philosophie und der Naturwissenschaft, obwohl man ihn später nur als Professor Gluck kannte.
Als er siebenundzwanzig war, wurde die Presse das erstemal auf ihn aufmerksam. Es war nach der Veröffentlichung seines Buches „Sex und Fortschritt.“ Das Buch ist heute noch ein Meilenstein in der Geschichte und Philosophie der Ehe. Es ist ein dicker Wälzer von über siebenhundert Seiten, äußerst sorgfältig und genau sowie aufsehenerregend und originell. Es war ein Buch für Wissenschaftler, und niemand dachte an einen Skandal. Aber in seinem letzten Kapitel hatte Gluck eine Bemerkung gemacht - nicht mehr als drei Zeilen übrigens - , die den hypothetischen Wunsch nach Versuchsehen andeutete. Sofort griffen die Zeitungen diese drei Zeilen auf, spielten sie hoch und sorgten dafür, daß die ganze Welt über Gluck lachte, den bebrillten jungen Professor von siebenundzwanzig Jahren. Fotografen machten Schnappschüsse von ihm, Reporter belagerten ihn, im ganzen Land verfaßten Frauenvereine Resolutionen, die ihn und seine unmoralischen Theorien verurteilten, und bei der Beratung des Kalifornischen Repräsentantenhauses über die Staatszuwendungen für die Universität kam ein Antrag aus dem Auditorium, in dem die Entlassung Glucks gefordert wurde. Anderenfalls, so drohte man an, werde die Unterstützung zurückgehalten. Natürlich hatte keiner von seinen Anklägern das Buch gelesen; die entstellte Zeitungsversion der drei Zeilen nahmen sie fürs Ganze. Das war der Anfang von Glucks Haß auf die Zeitungsleute. Durch sie war das ernsthafte und wertvolle Werk sechsjähriger Arbeit zu einer berüchtigten Zielscheibe des Spottes geworden. Bis zum Tode hatte er ihnen nicht verziehen, was sie ihrerseits ewig bedauern sollten.
Die Zeitungen waren auch verantwortlich für das nächste Unglück, das über ihn kam. In den fünf Jahren nach Erscheinen seines Buches hatte er geschwiegen, und Schweigen ist nicht gut für einen einsamen Mann. Man kann mitfühlend mutmaßen, welcherart die Einsamkeit Emil Glucks an der belebten Universität gewesen sein muß; denn er hatte keine Freunde und genoß keine Sympathie. Seine einzige Zuflucht waren Bücher, so las und studierte er weiterhin maßlos viel. Aber im Jahre nahm er eine Einladung der Gesellschaft für das Interesse am Menschen in Emeryville an. Er hatte kein Vertrauen in seine Vortragsfähigkeit. Während wir an dem vorliegenden Text arbeiten, haben wir eine Abschrift seines gelehrten Vortrages vor uns liegen: Er ist nüchtern, sachlich, wissenschaftlich, und man muß hinzufügen, konservativ. Aber an einer Stelle handelt er von, ich zitiere, „der industriellen und sozialen Revolution, die in der Gesellschaft vor sich geht.“ Einer der anwesenden Reporter griff das Wort „Revolution“ auf und schrieb einen entstellten Bericht, in dem Gluck zum Anarchisten gestempelt wurde. Mit einemmal jagte „Professor Gluck, der Anarchist“ durch alle Telegrafenleitungen und wurde von allen Zeitungen des Landes groß herausgebracht.
Bei der ersten Zeitungsattacke hatte er den Versuch gemacht, eine Erwiderung vorzubringen, aber diesmal schwieg er. Bitterkeit hatte sich bereits in seiner Seele eingenistet. Die Fakultät forderte ihn auf, sich zu verteidigen, aber er lehnte störrisch ab und widersetzte sich sogar, eine Abschrift seiner Arbeit zu seiner Verteidigung einzureichen, um eine Entlassung abzuwenden. Er weigerte sich zurückzutreten und wurde von der Fakultät verwiesen. Es muß hinzugefügt werden, daß auf die Universitätsleitung und ihren Präsidenten politischer Druck ausgeübt worden war.
Verfolgt, verleumdet und mißverstanden, unternahm der unglückliche und einsame Mann keinerlei Versuch der Vergeltung. Sein ganzes Leben hatte man sich gegen ihn vergangen, und sein ganzes Leben hatte er niemandem etwas zuleide getan. Aber noch war das Maß seines Leidens nicht voll. Da er seine Stellung verloren hatte und ohne Einkommen war, mußte er sich Arbeit suchen. Zuerst fand er eine Anstellung bei der Union Iron Works in San Francisco, wo er sich als sehr fähiger Konstruktionszeichner erwies. Hier erwarb er gründliche Kenntnisse über Kriegsschiffe und ihren Aufbau. Aber die Reporter spürten ihn auf und schrieben Artikel über ihn in seinem neuen Beruf. Er kündigte sofort und fand eine neue Arbeit; aber nachdem die Reporter ihn von einem halben Dutzend Stellen vertrieben hatten, wappnete er sich, um dieser Verfolgung durch die Presse die Stirn zu bieten. Er eröffnete eine Galvanisierwerkstatt in Oakland in der Telegraph Avenue. Es handelte sich um eine kleine Werkstatt mit drei Gesellen und zwei Gehilfen. Keine Nacht, so bezeugte Polizist Carew bei der Vernehmung, verließ er die Werkstatt vor ein oder zwei Uhr morgens. Damals entwickelte er eine wesentliche Verbesserung des Zündmechanismus für Gasmotoren und wurde von den Tantiemen schließlich ein wohlhabender Mann.
Er eröffnete sein Galvanisierunternehmen im zeitigen Frühjahr des Jahres, im selben Jahr ergriff ihn eine unglückliche Zuneigung zu Irene Tackley. Nun ist es gar nicht anders denkbar, als daß ein so ungewöhnlicher Mensch wie Emil Gluck auch ein ungewöhnlicher Liebhaber sein mußte. Zu seiner Genialität, seiner Einsamkeit und seiner Krankhaftigkeit kam noch - das darf man nicht vergessen - , daß er überhaupt nichts über Frauen wußte. Welche Wellen des Verlangens ihn auch überfluten mochten, er hatte nicht gelernt, wie man dieses Verlangen zum Ausdruck brachte. Seine extreme Schüchternheit mußte zwangsläufig eine ungewöhnliche Art der Liebesbekun-dung zur Folge haben. Irene Tackley war eine recht hübsche junge Frau, aber oberflächlich und leichtfertig. Sie arbeitete in einem Süßwarenladen gegenüber von Glucks Werkstatt. Er kam häufig rüber, trank Sodawasser mit Eis und Zitronensaft und starrte sie an. Das Mädchen schien sich nichts aus ihm zu machen und nur mit ihm zu spielen. Er sei „schrullig“, sagte sie, ein andermal nannte sie ihn einen „komischen Kauz“, als sie beschrieb, wie er am Tresen saß und sie durch seine Brille anpeilte, rot wurde und stammelte, wenn sie von ihm Notiz nahm, und häufig in jäher Verwirrung aus dem Laden stürzte. Gluck machte ihr die unglaublichsten Geschenke: ein silbernes Teeservice, einen Diamantring, eine Pelzgarnitur, Operngläser, eine „Weltgeschichte“ in vielen Bänden oder ein in seiner Werkstatt vollständig mit Silber überzogenes Motorrad. Da kommt der Freund des Mädchens, spricht ein Machtwort, ist sehr wütend, zwingt sie, Glucks seltsames Geschenksortiment zurückzugeben. William Sherbourne war ein grobschlächtiger, dickfälliger Mann mit starken Backenknochen, er stammte aus der Arbeiterklasse, hatte es aber zu einem erfolgreichen Bauunternehmer kleinen Stils gebracht. Gluck verstand nichts. Er verlangte eine Erklärung, versuchte, mit dem Mädchen zu sprechen, als sie am Abend von der Arbeit nach Hause ging. Sie beschwerte sich bei Sherbourne, und eines Nachts verabreichte dieser Gluck eine Tracht Prügel. Es war eine sehr kräftige Tracht, denn in den Berichten der Unfallklinik des Roten Kreuzes stand, daß Gluck in jener Nacht dort behandelt worden war und eine Woche lang das Krankenhaus nicht verlassen konnte.