Gluck verstand immer noch nicht. Er versuchte weiterhin, eine Erklärung von dem Mädchen zu bekommen. Aus Angst vor Sherbourne beantragte er beim Polizeichef die Genehmigung, einen Revolver tragen zu dürfen, was abgelehnt wurde, wobei die Zeitungen die Geschichte wie üblich zu einer Sensation hochspielten. Dann erfolgte der Mord an Irene Tackley, sechs Tage vor ihrer geplanten Hochzeit mit Sherbourne. Es war Sonnabend nacht. Sie hatte lange im Laden gearbeitet und verließ ihn nach dreiundzwanzig Uhr mit ihrem Wochenlohn in der Tasche. Sie fuhr mit der Bahn von der San Pablo Avenue zur . Straße, wo sie ausstieg und die drei Blocks nach Hause laufen wollte. Dort hatte man sie das letztemal lebend gesehen. Am nächsten Morgen fand man sie erhängt in einer verlassenen Gegend.
Emil Gluck wurde sofort festgenommen. Es gab nichts, was ihn hätte retten können. Er wurde überführt, nicht nur aufgrund eines Indizienbeweises, sondern eines von der Polizei von Oak-land konstruierten Beweises. Es ist gar keine Frage, daß ein großer Teil des Beweismaterials künstlich fabriziert wurde. Die Zeugenaussage von Captain Shehan war der reinste Meineid. Viel später erwies sich, daß Shehan in der fraglichen Nacht nicht nur nicht in der Nähe des Tatortes gewesen war, sondern sich sogar außerhalb der Stadt in einer Siedlung an der San-Leandro-Straße aufgehalten hatte. Der unglückselige Gluck wurde zu lebenslänglicher Haft in San Quentin verurteilt, was Zeitungen und Öffentlichkeit für einen Justizirrtum hielten -die Todesstrafe hätte über ihn verhängt werden sollen.
Gluck trat am 5. April seine Haft in San Quentin an; er war gerade vierunddreißig Jahre alt. Dreieinhalb Jahre, größtenteils in Einzelhaft, hatte er Zeit, über die Ungerechtigkeit in der Welt nachzudenken, und die Bitterkeit zersetzte sein Vertrauen vollends, alle haßte er. Drei weitere Dinge erledigte er in dieser Zeit: Er schrieb seine berühmte Abhandlung „Moral des Menschen“, sein bemerkenswertes Heftchen „Der gesunde Kriminelle“, und er ersann seinen furchtbaren, ungeheuren Racheplan. Ein Vorfall in seiner Galvanisierwerkstatt hatte ihn auf die Idee dieser einzigartigen Form der Rache gebracht. Wie er später in seinem Geständnis darlegte, hatte er alle Details während seiner Gefängniszeit theoretisch ausgearbeitet, so daß er bei seiner Entlassung in der Lage war, den Akt der Vergeltung sofort in Angriff zu nehmen.
Seine Entlassung war sensationell, aber auch auf gemeine und kriminelle Weise durch den damals herrschenden Amtsschimmel verzögert worden. In der Nacht des 12. Februars wurde der Gangster Tim Haswell während eines versuchten Raubzuges von einem Bürger in Piedmont Heights angeschossen. Tim Haswell schleppte sich noch drei Tage hin, während derer er nicht nur den Mord an Irene Tackley gestand, sondern auch schlüssige Beweise erbrachte. Bert Danniker, der später im Folsom-Gefängnis an Schwindsucht starb, war als Hehler beteiligt gewesen, und sein Geständnis folgte. Es ist für uns heute unbegreiflich, in welch stümperhafter und schleppender Weise Gerichtsprozesse noch vor einem Menschenalter abliefen. Im Februar war erwiesen, daß Emil Gluck ein unschuldiger Mann war, und doch wurde er erst im darauffolgenden Oktober entlassen. Noch weitere acht Monate mußte sich dieser Mann, dem so großes Unrecht angetan worden war, der unverdienten Strafe unterziehen. Das konnte keine Freundlichkeit, und Heiterkeit hinterlassen. Es fällt nicht schwer, sich vorzustellen, wie sich seine Seele während dieser acht Monate mit Bitterkeit vollfraß.
Im Herbst kam er in die Welt zurück, wie üblich war er in den Schlagzeilen aller Zeitungen. Statt ihr tiefempfundenes Bedauern auszudrücken, setzten sie ihre alte Sensationshetzjagd fort. Eine Zeitung - der „San Francisco Intelligencer“ - tat ein weiteres. Ihr Herausgeber John Hartwell konstruierte eine gemeine Theorie über die Geständnisse der beiden Kriminellen, die zeigen sollte, daß Gluck schließlich doch für den Mord an Irene Tackley verantwortlich war. Hartwell starb. Und Sherbourne starb ebenfalls, während der Polizist Phillips einen Beinschuß erlitt und den Dienst in der Polizei von Oakland quittieren mußte.
Der Mord an Hartwell blieb lange Zeit ein Geheimnis. Er war zu dem Zeitpunkt allein in seinem Redaktionsbüro. Die Revolverschüsse wurden von einem Bürojungen gehört, der sofort herbeistürzte und Hartwell sterbend in seinem Sessel sah. Die Polizei verwirrte, daß er nicht nur mit seinem eigenen Revolver erschossen worden war, sondern daß der Revolver in seinem Schreibtischfach losging. Die Kugeln hatten die Vorderseite des Schubfaches weggerissen und waren in den Körper eingedrungen. Die Polizei hielt die Selbstmordtheorie für abwegig, Mord schied als absurd ebenfalls aus. So gab man der Firma für die Herstellung rauchloser Patronen die Schuld. Spontane Entladung lautete die Erklärung der Polizei, und die Chemiker der Patronenfirma gerieten bei der gerichtlichen Untersuchung in arge Bedrängnis. Aber was die Polizei nicht wußte, war, daß Emil Gluck im gegenüberliegenden Mercer Building das Zimmer gemietet hatte und sich in dem Augenblick, als Hartwells Revolver so geheimnisvoll losfeuerte, auch darin aufhielt.
Damals sah man keinerlei Beziehung zwischen dem Tod Hartwells und dem von William Sherbourne. Sherbourne hatte weiter in dem Haus gelebt, das er für Irene Tackley gebaut hatte, und eines Morgens im Januar fand man ihn tot auf. Selbstmord lautete das Urteil der gerichtlichen Untersuchung, denn er war mit dem eigenen Revolver erschossen worden. Merkwürdig, daß in jener Nacht auch der Polizist Phillips auf dem Bürgersteig vor Sherbournes Haus angeschossen wurde. Er behauptete, es habe ihm jemand von hinten ins Bein geschossen. Das betroffene Bein war von drei achtunddreißiger Kugeln so zerschmettert worden, daß sich eine Amputation als unumgänglich erwies. Als aber die Polizei entdeckte, daß er sich mit seinem eigenen Revolver verletzt hatte, setzte ein großes Gelächter ein, und er wurde wegen Trunkenheit entlassen. Trotz seiner Versicherung, daß er keinen Tropfen angerührt habe, daß der Revolver in seiner Hüfttasche gewesen sei und daß er ihn mit keinem Finger berührt habe, entließ man ihn aus dem Polizeidienst. Emil Glucks Geständnis acht Jahre später sprach den unglückseligen Polizisten von dieser Schande frei, und er lebt heute noch, erfreut sich guter Gesundheit und bezieht eine ansehnliche Pension von der Stadt.
Nun, da Emil Gluck sich von seinen unmittelbaren Feinden befreit hatte, suchte er ein größeres Betätigungsfeld, obwohl seine Feindseligkeit gegen Zeitungsleute und die Polizei immer noch lebendig war. Die Tantiemen von seinem Zündmechanismus für Gasmotoren hatten sich während seines Gefängnisaufenthaltes angehäuft, und sie nahmen weiterhin Jahr für Jahr zu. Er war unabhängig, konnte reisen, wohin immer er auf dieser Erde wollte, und seinen ungeheuren Rachedurst stillen. Er war zu einem Monomanen und Anarchisten geworden - zu einem Anarchisten nicht nur im philosophischen Sinn, sondern zu einem der Gewalt. Vielleicht ist das nicht das richtige Wort, vielleicht ist Nihilist oder Annihilist treffender. Man weiß, daß er sich keiner Terroristengruppe anschloß. Er arbeitete ganz allein, aber er erzeugte tausendmal mehr Angst, Schrecken und Zerstörung als alle Terroristengruppen zusammen.
Als Zeichen seines Abschieds von Kalifornien jagte er Fort Mason in die Luft. In seinem Geständnis sprach er von einem kleinen Experiment - er habe nur seine Geschicklichkeit getestet. Acht Jahre lang zog er um die Welt, ein geheimnisvoller Schrecken, der Millionenwerte und unzählige Menschenleben vernichtete. Ein Gutes hatten seine unheilvollen Taten - die Verheerung, die er unter den Terroristen selbst anrichtete. Jedesmal, wenn er irgend etwas anstellte, wurden die Terroristen in der Umgebung im Schleppnetz der Polizei aufgefischt, und viele wurden hingerichtet, siebzehn allein in Rom nach der Ermordung des italienischen Königs.
Seine vielleicht erstaunlichste Leistung war die Ermordung des Königs und der Königin von Portugal. Es war der Tag der Hochzeit. Alle möglichen Vorsichtsmaßnahmen gegen Terroristen waren ergriffen worden, und der Weg von der Kathedrale durch die Straßen Lissabons war doppelt von einer bewaffneten Garde gesäumt, während zweihundert Berittene die Kutsche begleiteten. Plötzlich geschah das Unglaubliche. Die automatischen Gewehre der berittenen Polizei wie auch die der Straßenkette gingen los. In der Aufregung zeigten die feuernden Gewehrmündungen in alle Richtungen. Es war ein grauenvolles Morden - Pferde, Reiter, Zuschauer, König und Königin, alle wurden von Kugeln durchlöchert. Um die Angelegenheit noch zu komplizieren, explodierten bei zwei Terroristen an verschiedenen Stellen in der Menge hinter der Polizeikette Bomben, die bei passender Gelegenheit geworfen werden sollten.