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Zuerst richtete er seine Funken auf das Schlachtschiff Maryland, das an einem der Minenmagazine festgemacht hatte. Auf dem Vorderdeck lagerten auf einer riesigen improvisierten Bohlenfläche über hundert Minen, die dazu bestimmt waren, das Golden Gate zu verteidigen. Jede einzelne dieser Minen konnte ein Dutzend Schlachtschiffe zerstören. Das Ausmaß der Zerstörung war entsetzlich, und doch war es erst die Einleitung. Er lenkte die Funken zur Küste der Insel, wo sie fünf Torpedoschiffe, die Torpedostation und das große Magazin am Ostende der Insel sprengten. Dann wandte er sich in Richtung Westen, zerstörte vereinzelte Magazine auf hochgelegenen Stellen im Küstenhinterland und sprengte drei Kreuzer sowie die Schlachtschiffe Oregon, Delaware, New Hampshire und Florida - das letzte war gerade ins Trockendock gekommen, wodurch diese wunderbare Einrichtung ebenfalls vernichtet wurde. Es war eine fürchterliche Katastrophe, und Entsetzensschauer ergriffen das Land. Aber es war noch nichts gegen das, was folgen sollte. Im Spätherbst desselben Jahres räumte Gluck an der Atlantikküste von Maine bis Florida auf. Nichts ließ er verschont. Festungsanlagen, Minen, die Küstenverteidigung jedweder Art, Torpedostationen, Magazine - alles ging in die Luft. Drei Monate später, es war mittlerweile Winter, peinigte er die Nordküste des Mittelmeeres von Gibraltar bis nach Griechenland in derselben erschreckenden Weise. Ein Wehklagen erhob sich unter den Völkern. Es war klar, daß all die Zerstörung von Menschenhand verursacht wurde, und es war auch klar, daß es nicht das Werk eines bestimmten Landes war - das hing mit Emil Glucks Unvoreingenommenheit zusammen. Eins wurde offenkundig, nämlich daß derjenige, der hinter alldem stand, eine Gefahr für die Welt war. Kein Land war sicher. Es gab keinerlei Verteidigung gegen diesen unbekannten und allmächtigen Feind. Einen Krieg zu führen war sinnlos, ja nicht nur sinnlos, sondern der eigentliche Kern der Gefahr. Ein Jahr lang wurde die Herstellung von Schießpulver eingestellt, und alle Soldaten und Matrosen wurden von sämtlichen Festungsanlagen und Kriegsschiffen abgezogen. Sogar eine Weltabrüstung wurde auf der damaligen Zusammenkunft der Mächte in Den Haag ernsthaft erwogen.

Und dann kam Silas Bannerman, ein Geheimagent der Vereinigten Staaten, mit einem Schlag zu Weltruhm, indem er Emil Gluck verhaftete. Zuerst lachte man über Bannerman, aber er hatte seinen Fall gut vorbereitet, und in wenigen Wochen waren die größten Skeptiker von Glucks Schuld überzeugt. Eins konnte Silas Bannerman zu seiner eigenen Unzufriedenheit nicht genau erklären, nämlich, wie er darauf gekommen war, Gluck mit den scheußlichen Verbrechen in Verbindung zu bringen. Bannerman war zwar in geheimer Regierungsmission zur Zeit des Anschlages auf der Insel Mare in Vallejo gewesen, und man hatte ihn auf Emil Gluck als einen komischen Kauz hingewiesen, aber ohne daß das damals Eindruck auf ihn gemacht hätte. Erst später, er verbrachte gerade seinen Urlaub in den Rocky Mountains und las die ersten veröffentlichten Berichte über die Verwüstungen an der Atlantikküste, dachte Bannerman plötzlich an Emil Gluck. Und in dem Augenblick kam ihm blitzartig eine Verbindung zwischen Gluck und dem Zerstörungswerk in den Sinn. Es war zunächst nur eine Hypothese, die aber Früchte trug. Diese Hypothese - ein Akt unbewußter Gehirntätigkeit - war genial, so unerklärlich wie zum Beispiel das Auftauchen der Idee vom Prinzip der Schwerkraft in Newtons Kopf. Der Rest war ein Kinderspiel. Wo hatte sich Gluck während der Verwüstungen an der Atlantikküste aufgehalten, fragte sich Bannerman. Auf eigenes Ersuchen wurde er mit dem Fall betraut. In kürzester Zeit hatte er Gewißheit, daß Gluck im Spätherbst an verschiedenen Stellen der Atlantikküste aufgekreuzt war. Er ermittelte gleichfalls, daß Gluck während jener epidemieartigen Schießerei auf Polizeibeamte in New York war. Wo befand sich Gluck zur Zeit, war Banner-mans nächste Frage. Und wie eine Antwort darauf kam die Großaktion am Mittelmeer. Gluck war - das wußte Bannerman - einen Monat zuvor nach Europa gereist. Bannerman brauchte nicht selbst nach Europa zu fahren. Mit Hilfe von telegrafischen Mitteilungen und der Mitarbeit des europäischen Geheimdienstes verfolgte er Glucks Reiseroute entlang dem Mittelmeer und konnte feststellen, daß sie in jedem Fall mit der Sprengung von Küstenverteidigungsanlagen und Schiffen zusammenfiel. Er erfuhr außerdem, daß Gluck gerade auf dem Green-Star-Linienschiff Plutonic in die Vereinigten Staaten fuhr.

Bannerman hatte den kompletten Plan im Kopf, und er nutzte die Wartepausen, um die Details zu entwickeln. Dabei wurde er tüchtig von George Brown, einem Mitarbeiter von Wood’s System of Wireless Telegraphy, unterstützt. Als die Plutonic vor Sandy Hook ankam, ging Bannerman von einem Regierungsschiff aus an Bord, und Emil Gluck wurde verhaftet. Der Prozeß und das Geständnis folgten. Emil Gluck bekannte lediglich Reue darüber, daß er sich zu viel Zeit gelassen habe. Wenn er, wie er sagte, nur im Traum daran gedacht hätte, daß er je entdeckt würde, hätte er schneller gearbeitet und tausendmal mehr zerstört. Sein Geheimnis starb mit ihm, obwohl sich die französische Regierung bekannterweise Zugang zu Emil Gluck verschafft und eine Milliarde Franc für seine Erfindung angeboten hatte, mit deren Hilfe er elektrische Entladungen auslösen und genau steuern konnte. „Was?“ erwiderte Gluck, „an Sie verkaufen, so daß Sie die leidende Menschheit versklaven und mißhandeln können?“ Und obwohl die Kriegsministerien aller Länder in ihren Geheimlabors weiter experimentierten, haben sie bisher noch nicht die leiseste Spur des Geheimnisses lüften können. Emil Gluck wurde am 4. Dezember 1941 hingerichtet, und damit starb im Alter von sechsundvierzig Jahren eins der unglücklichsten Genies auf dieser Welt, ein Mann mit einem enormen Verstand, dessen gewaltige Potenzen jedoch so verzerrt und entstellt waren, daß er, statt dem Guten zu dienen, der erstaunlichste Verbrecher wurde, den es je gab.

Goliah

Im Jahre 1924, genauer am Morgen des 3. Januar, fand die Stadt San Francisco in einer ihrer Morgenzeitungen einen merkwürdigen Brief abgedruckt, den Walter Bassett erhalten hatte und der eindeutig von einem Verrückten geschrieben worden war. Walter Bassett war der bedeutendste Großindustrielle westlich der Rocky Mountains und gehörte zu der kleinen Gruppe, die das Land in jeder Hinsicht beherrschte, jedoch der Öffentlichkeit nicht namentlich bekannt war. Als einer dieser Männer war er der Empfänger gelehrter Abhandlungen vieler Verrückter; aber dieses spezielle Schreiben unterschied sich so sehr von ähnlichen Briefen, daß er es nicht in den Papierkorb warf, sondern an einen Reporter weiterleitete. Der Brief war mit „Goliah“ unterzeichnet, der Briefkopf gab die Anschrift „Palgrave-Insel“ an. Das Schreiben lautete:

„Mr. Walter Bassett, Sehr geehrter Herr!

Ich lade Sie und neun weitere Großindustrielle zu mir auf meine Insel ein in der Absicht, mit Ihnen Pläne zur Umgestaltung der Gesellschaft auf einer rationaleren Basis zu diskutieren. Bis jetzt war die gesellschaftliche Entwicklung ein blinder, zielloser, verpfuschter Prozeß. Die Zeit für eine Veränderung ist gekommen. Der Mensch hat sich aus dem mit Leben angereicherten Schlamm des urzeitlichen Meeres zum Beherrscher der Natur entwickelt, aber die Gesellschaft beherrscht er noch nicht. Der Mensch ist heute in dem Maße Sklave kollektiver Dummheit, wie er vor hunderttausend Jahren Sklave der Natur war.

Es gibt theoretisch zwei Methoden, wodurch der Mensch Herr über die Gesellschaft werden und aus ihr ein intelligentes und leistungsfähiges Instrument zur Erlangung von Glück und Frohsinn machen kann. Die erste geht von der Annahme aus, daß keine Regierung weiser oder besser sein kann als die Leute, die über die Zusammensetzung dieser Regierung befinden, daß Reformen und Entwicklung vom einzelnen kommen müssen; daß die Regierung in dem Maße weiser und besser wird, wie der einzelne weise und besser wird, kurz, daß die Mehrzahl der Individuen weiser und besser werden muß, ehe die Regierung weise und besser wird. Aber der Pöbel und die herrschende politische Meinung, die abgrundtiefe Brutalität und die dumme Unwissenheit, wie man sie auf allen Zusammenkünften der Massen antrifft, strafen diese Theorie Lügen. Beim Pöbel orientieren sich kollektive Intelligenz und Barmherzigkeit an den am wenigsten intelligenten und den brutalsten Vertretern dieses Pöbels. Andererseits werden sich tausend Passagiere eines in Seenot geratenen Schiffes freiwillig der Weisheit und Besonnenheit des Kapitäns unterordnen. Denn in diesem Falle ist er der weiseste und erfahrenste von allen.