Goliah schwieg bis zum . März. Am Morgen jenes Tages veröffentlichten die Zeitungen seinen zweiten Brief, von dem die zehn wichtigsten Politiker der Vereinigten Staaten - die zehn führenden Männer in der politischen Welt, allgemein als Staatsmänner bezeichnet - je eine Abschrift erhielten. Der Brief trug dieselbe Überschrift wie der erste und lautete:
„Sehr geehrter Herr!
Ich habe wohl klar und deutlich gesprochen. Man hat mir zu gehorchen. Sie können das als Einladung oder als Aufforderung auffassen; aber wenn Sie den Wunsch hegen, weiterhin auf dieser Erde zu wandeln und zu lachen, müssen Sie spätestens am Abend des . April an Bord der Jacht Energon im Hafen von San Francisco sein. Es ist mein Wunsch und Wille, daß Sie mit mir auf der Palgrave-Insel über die Umgestaltung der Gesellschaft auf einer rationalen Basis verhandeln. Mißverstehen Sie mich nicht, wenn ich sage, daß ich mich mit einer Theorie identifiziere. Ich will, daß diese Theorie in die Praxis umgesetzt wird, und deshalb fordere ich Sie zur Mitarbeit auf. In meiner Theorie sind Menschen nur Schachfiguren; ich habe mit Unmengen von Menschen zu tun. Was ich will, das ist das Lachen, und diejenigen, die dem Lachen im Wege stehen, müssen zugrunde gehen. Es ist ein großes Unternehmen. Zur Zeit gibt es anderthalb Milliarden Menschen auf der Erde. Was gilt Ihr einzelnes Leben dagegen? Eine Null in meiner Theorie. Und vergessen Sie nicht, daß ich die Macht habe. Bedenken Sie, daß ich Wissenschaftler bin und daß ein Leben oder eine Million Leben für mich ein Nichts sind gegen die Milliarden und aber Milliarden der kommenden Generationen. Um das Lachen derer möchte ich die Gesellschaft heute umgestalten, und gemessen an dem zählt Ihr armseliges kleines Leben wahrlich nicht.
Wer die Macht hat, kann anderen seine Befehle aufzwingen. Kraft der militärischen Idee, die als Phalanx bekannt ist, eroberte Alexander seinen Teil dieser Welt. Kraft der chemischen Erfindung des Schießpulvers eroberte Cortes mit seinen Scharen von Halsabschneidern das Reich Montezumas. Jetzt bin ich im Besitz eines Instruments, das mir ganz allein gehört. Im Laufe eines Jahrhunderts werden nicht mehr als ein halbes Dutzend grundlegender Entdeckungen und Erfindungen gemacht. Mir ist eine solche gelungen. Ihr Besitz verschafft mir die Herrschaft über die Welt. Ich werde diese Erfindung nicht für kommerzielle Ziele nutzen, sondern zum Wohle der Menschheit. Dazu brauche ich Hilfe - bereitwillige Hilfe, gehorsame Hände, und ich bin stark genug, den Dienst zu erzwingen. Ich wähle den kürzesten Weg, obwohl ich keine Eile habe. Ich werde auch keine Hast aufkommen lassen.
Der Anreiz durch materiellen Gewinn ließ den Menschen vom Wilden zu dem Halbbarbaren werden, der er heute ist.
Dieser materielle Anreiz war ein nützliches Werkzeug für die menschliche Entwicklung; aber er hat seine Aufgabe erfüllt und kann auf den Abfallhaufen geworfen werden wie rudimentäre Organe - die Kiemen in der Kehle etwa - , wie der Glaube an das göttliche Recht von Königen. Natürlich denken Sie anders darüber, dennoch nehme ich nicht an, daß Sie mir deshalb nicht helfen wollten, den Anachronismus auf den Abfallhaufen zu werfen. Denn ich sage Ihnen, die Zeit ist gekommen, da Essen, Wohnung und ähnliche triviale Dinge automatisch vorhanden und so einfach und selbstverständlich zu haben sind wie die Luft. Ich werde mit Hilfe meiner Entdeckung und der Macht, die sie mir verleiht, dafür sorgen. Wenn Essen und Wohnung selbstverständlich sind, wird der Reiz des materiellen Gewinns für immer von dieser Welt verschwunden sein. Wenn Essen und Wohnung selbstverständlich sind, werden die höheren Ziele allumfassend siegen - die geistigen, ästhetischen und intellektuellen Ziele, die sich entwickeln und Körper, Geist und Seele schön und edel machen werden. Dann wird die gesamte Welt von Glück und Fröhlichkeit beherrscht werden. Es wird die Herrschaft des weltweiten Frohsinns sein.
Der Ihre im Namen jener Zukunft
Goliah“
Die Welt wollte immer noch nicht glauben. Die zehn Politiker waren in Washington, und so hatten sie nicht die Möglichkeit, sich wie Bassett überzeugen zu lassen. Nicht einer von ihnen nahm die Mühen einer Reise nach San Francisco auf sich, um die Gelegenheit wahrzunehmen. Was Goliah betraf, so wurde er von Zeitungen als neuer Tom Lawson mit dem Wunderheilmittel bezeichnet; Spezialisten für Geisteskrankheiten bewiesen an Hand der Analyse seiner Briefe schlüssig, daß er wahnsinnig war.
Die Energon traf am Nachmittag des . April im Hafen von San Francisco ein, und Bassett ging an Land. Aber die Jacht segelte am nächsten Tag nicht ab, denn keiner der zehn aufgeforderten Politiker hatte sich für eine Reise zur Palgrave-Insel entschieden. In allen Städten schrien die Zeitungsjungen an jenem Tage: „Extrablatt!“ Die zehn Politiker waren tot. Die friedlich im Hafen liegende Jacht wurde zum Mittelpunkt aufgeregten Interesses. Sie war von einer Flottille von Barkassen und Ruderbooten umgeben, zahlreiche Schlepper und Dampfschiffe machten ebenfalls eine Tour zu ihr. Während die lärmenden Menschengruppen standhaft abgewehrt wurden, ließ man die zuständigen Verantwortlichen und sogar Reporter an Bord. Der Bürgermeister von San Francisco sowie der Polizeichef berichteten, daß nichts Verdächtiges auf der Jacht zu sehen gewesen sei, auch die Hafenbehörde bestätigte die Korrektheit der Papiere in jedem einzelnen Punkt. Viele Fotos und Schilderungen erschienen in den Zeitungen. Die Mannschaft bestünde hauptsächlich aus Skandinaviern - blonden, blauäugigen Schweden, melancholischen Norwegern, gleichmütigen Russo-Finnen - und ein paar vereinzelten Amerikanern sowie Engländern. Es wurde berichtet, daß sie nichts Geschäftiges und Unruhiges an sich hätten. Sie schienen gewichtige Männer zu sein, von einer traurigen und stumpf-trägen Zusammengehörigkeit niedergedrückt. Nüchterner Ernst und große innere Gewißheit würden sie allesamt charakterisieren. Sie schienen Männer ohne Nerven und Angst zu sein, so als würden sie von einer übergroßen Macht aufrecht gehalten und von der Hand eines Übermenschen getragen. Der Kapitän, ein Amerikaner mit kräftigen Zügen und traurigen Augen, wurde in der Zeitung als „Gloomy Gus“ (der pessimistische Held der Humorseite) karikiert.
Ein Kapitän erkannte die Energon als die Jacht Scud, die früher Merrivale von New-Yorker Jachtklub gehört habe. Nach diesem Hinweis konnte man leicht feststellen, daß die Scud einige Jahre zuvor verschwunden war. Der Agent, der sie verkauft hatte, berichtete, daß der Käufer auch nur ein Agent gewesen sei, der ihm niemals zuvor begegnet war und den er auch danach nie wiedergesehen hatte. Die Jacht sei auf Duffeys Werft in New Jersey umgebaut worden. Die Namens- und Registeränderungen seien damals vorgenommen worden und entsprächen ganz den Vorschriften. Dann war die Energon auf geheimnisvolle Weise verschwunden.
In der Zwischenzeit war Bassett auf dem Wege, verrückt zu werden - jedenfalls sagten das seine Freunde. Er hielt sich von seinen Geschäften fern und sagte, er müsse jetzt abwarten, bis die anderen Beherrscher dieser Welt sich ihm zur Umgestaltung der Gesellschaft anschließen würden - eindeutiger Beweis dafür, daß Goliah ihm einen Floh ins Ohr gesetzt hatte. Reportern gegenüber sagte er wenig. Er habe nicht die Freiheit, sagte er, zu erzählen, was er auf der Palgrave-Insel gesehen habe; er könne ihnen aber versichern, daß die Angelegenheit ernst sei, eine ernstere Sache habe es nie gegeben. Sein letztes Wort in der Angelegenheit war, daß die Welt vor einer Wende stünde, ob zum Guten oder zum Bösen, das wisse er nicht, aber so oder so, die Wende würde kommen, dessen sei er sich ganz sicher. Was das Geschäft anbelange, so soll’s der Teufel holen. Er habe allerlei gesehen, ja, das habe er, und das war alles dazu.