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Vier oder fünf Wochen später riß ein Treibriemen dem Sklaven Tom Dixon den Arm ab. Wie immer setzten seine Arbeitskollegen aus dem Fonds eine Spende für ihn aus, und wie immer verweigerten Clancy und Munster die Auszahlung. Der schreibkundige Sklave, der bereits im Sterben lag, verfaßte erneut eine Schilderung ihrer Leiden. Dieses Dokument steckte man in die Hand von Tom Dixons abgerissenem Arm.

Der Zufall wollte es, daß am anderen Ende von Kingsbury Roger Vanderwater in seinem Schloß krank daniederlag - keine so schlimme Krankheit, wie sie euch oder mich niederstreckt, Brüder, eher leichte Gallenbeschwerden oder vielleicht auch nur schlimmes Kopfweh, weil er beim Essen und Trinken des Guten zuviel getan hatte. So etwas reichte schon aus, denn ständiges Wohlleben hatte ihn verzärtelt und verweichlicht. Männer, die ihr Leben lang in Watte gepackt werden, sind ungewöhnlich empfindlich und anfällig. Glaubt mir, Brüder, Roger Vanderwater fühlte sich mit seinen Kopfscherzen nicht minder elend - zumindest empfand er es so - wie Tom Dixon, dessen Arm mit allen Fasern ausgerissen worden war.

Nun war es so, daß Roger Vanderwaters Leidenschaft der wissenschaftlichen Pflanzenzucht galt, und auf seiner Farm, drei Meilen außerhalb von Kingsbury, war es ihm gelungen, eine neue Erdbeersorte zu züchten. Er war sehr stolz darauf und wäre gern hinausgefahren, um die ersten reifen Beeren zu sehen und zu pflücken, wenn nicht seine Krankheit dazwischengekommen wäre. Deshalb hatte er dem alten Farmsklaven befohlen, die erste Erdbeerkiste persönlich bei ihm abzuliefern. Durch die Geschwätzigkeit eines Küchenjungen im Schloß, der jede Nacht in den Sklavenbaracken schlief, erfuhr man davon. Eigentlich hätte der Plantagenaufseher die Beeren hinbringen sollen, aber beim Versuch, ein junges Pferd zuzureiten, hatte der sich ein Bein gebrochen und mußte das Bett hüten. Am Abend brachte der Küchenjunge die Neuigkeit mit, und man wußte, daß am darauffolgenden Tag die Beeren geliefert werden sollten. Und die Männer aus den Sklavenbaracken im Höllenarsch, die wirkliche Männer waren und keine Feiglinge, hielten Rat.

Der schreibkundige Sklave, der seit der Strafaktion dahinsiechte, erklärte sich bereit, Tom Dixons Arm hinzutragen; schon deshalb, so sagte er, weil er ohnehin zum Sterben verurteilt sei, und so mache es ihm nichts aus, ein wenig früher zu sterben. Daraufhin schlichen sich in jener Nacht fünf Sklaven aus den Sklavenbaracken, nachdem die Wachen ihre letzte Runde gemacht hatten. Einer der Sklaven war der Mann, der schreiben konnte. Sie hielten sich im Gebüsch am Straßenrand bis zum hellen Morgen versteckt, bis der alte Farmsklave mit den kostbaren Früchten für den Herrn in die Stadt fuhr. Und da der Farmsklave alt und rheumatisch war, der schreibkundige Sklave von den Prügeln steif und verletzt, bewegten sich beide beim Laufen in ziemlich gleicher Art. Der Sklave, der schreiben konnte, schlüpfte in die Sachen des anderen, zog den breitkrempigen Hut tief ins Gesicht, kletterte auf den Wagensitz und fuhr weiter in die Stadt. Den alten Farmsklaven hielt man im Gebüsch gefesselt - den ganzen Tag lang bis zum Abend, dann erst ließen ihn die anderen laufen und kehrten in die Sklavenbaracken zurück, um ihre Bestrafung wegen Pflichtverletzung entgegenzunehmen.

In der Zwischenzeit ruhte Roger Vanderwater in seinem wunderschönen Schlafzimmer und wartete auf die Beeren - so wunderbare Dinge und solchen Komfort gab es dort, daß es euch und mir, die wir derartiges nie gesehen haben, die Augen geblendet hätte. Der schreibkundige Sklave erzählte später, es wäre ein Blick ins Paradies gewesen.

Warum auch nicht? Die Arbeit und das Leben von zehntausend Sklaven steckten in diesem Schlafgemach, sie selbst aber schliefen auf schmutzigen Lagern wie wilde Tiere. Der schreibkundige Sklave trug die Erdbeeren auf einem Silbertablett oder einer Platte hinein - versteht ihr, Roger Vanderwater wollte sich mit ihm persönlich über die Beeren unterhalten.

Mit letzter Kraft wankte der sterbenskranke Sklave quer durch das wundervolle Zimmer, fiel vor der Couch Vanderwaters auf die Knie und streckte ihm das Tablett entgegen. Große grüne Blätter bedeckten das Tablett, die der danebenstehende Leibdiener rasch entfernte, damit Vanderwater die Früchte sehen konnte. Und Roger Vanderwater, auf seinen Ellenbogen gestützt, sah. Sah die frischen köstlichen Beeren, ausgebreitet wie kostbare Juwelen, und mitten darin Tom Dixons Arm, so wie er von dessen Körper gerissen worden war -natürlich ordentlich gewaschen, meine Brüder - , kreideweiß im Gegensatz zu den blutroten Erdbeeren. Und zwischen den steifen toten Fingern sah er auch die Petition seiner Sklaven, die im Höllenarsch schufteten.

„Nehmen Sie, lesen Sie“, sagte der Sklave. Und noch während der Herr nach der Petition griff, schlug der Leibdiener, der bis dahin vor Überraschung wie angewurzelt gestanden hatte, dem knienden Sklaven mit der Faust ins Gesicht. Der Sklave war ohnehin auf dem Weg ins Jenseits, er war sehr schwach, und es kümmerte ihn nicht. Keinen Ton gab er von sich, fiel zur Seite, lag stumm da, und Blut floß aus seinem Mund. Der Arzt, nach dem man die Palastwachen geschickt hatte, kam, und man zerrte den Sklaven auf die Füße. Während sie ihn hochzogen, ergriff er Tom Dixons Arm, der auf den Fußboden gefallen war.

„Der Kerl hier soll lebendig den Hunden vorgeworfen werden!“ schrie der Leibdiener wutschnaubend. „Lebendig, den Hunden zum Fraß!“

Roger Vanderwater jedoch, der seine Kopfschmerzen vergessen hatte, bat sich Ruhe aus und fuhr fort, die Petition zu lesen. Während er las, herrschte Stille, alle standen herum: der vor Wut kochende Leibdiener, der Arzt, die Palastwache und mitten unter ihnen der Sklave, dem das Blut aus dem Munde rann und der immer noch Tom Dixons Arm festhielt. Als Roger Vanderwater fertig war, wandte er sich dem Sklaven zu und sagte:

„Wenn auf diesem Papier auch nur eine einzige Lüge steht, wird es dir leid tun, jemals geboren worden zu sein.“

Und der Sklave entgegnete: „Mein Leben lang habe ich das bedauert.“

Roger Vanderwater blickte ihn fest an, und der Sklave fuhr fort:

„Das schlimmste haben Sie mir bereits angetan. Jetzt sterbe ich. In einer Woche bin ich tot, deshalb ist mir egal, ob Sie mich jetzt umbringen.“

„Was machst du damit?“ fragte der Herr und zeigte auf den Arm, und der Sklave gab zur Antwort:

„Ich bring ihn zurück zu den Baracken und beerdige ihn. Tom Dixon war mein Freund. Wir haben nebeneinander am Webstuhl gearbeitet.“

Viel mehr gibt es nicht zu erzählen, Brüder. Man schickte den Sklaven mit dem Arm auf einem Karren zurück. Keiner der anderen Sklaven wurde für das, was geschehen war, bestraft. Und tatsächlich ließ Roger Vanderwater die Angelegenheit untersuchen und bestrafte die beiden Oberaufseher, Joseph Clancy und Adolph Munster. Ihr Grundbesitz wurde enteignet. Sie wurden auf der Stirn gebrandmarkt, man hackte ihnen die rechte Hand ab und setzte sie auf die Straße, so daß sie bis ans Lebensende bettelnd herumziehen mußten. Danach wurde der Fonds eine Zeitlang ordnungsgemäß verwaltet - nur für kurze Zeit, meine Brüder, denn nach Roger Vanderwater kam sein Sohn, Albert, ein grausamer und halb verrückter Herr.