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Als ich die Gruppe verließ, war Bertie schon wieder bei einem anderen Thema und quälte die Männer mit den ernsthafteren Aspekten der Situation, verwies auf die Lebensmittelknappheit, die bereits zu spüren war, und fragte, was sie dagegen unternehmen wollten. Kurze Zeit später traf ich ihn in der Garderobe, er wollte gehen, und ich nahm ihn in meinem Auto nach Hause mit.

„Das ist schon ein großartiger Schachzug, dieser Generalstreik“, sagte er, als wir durch die überfüllten, aber friedlichen Straßen dahinrollten. „Das ist ein niederschmetternder Tiefschlag. Die Arbeiter haben uns im Schlaf erwischt und an unserer empfindlichsten Stelle getroffen, dem Magen. Ich habe vor, aus San Francisco zu verschwinden, Corf. Folgen Sie meinem Rat, und machen Sie auch, daß Sie davonkommen. Gehen Sie aufs Land, irgendwohin. Da haben Sie mehr Chancen. Kaufen Sie sich einen Lebensmittelvorrat, und besorgen Sie sich ein Zelt oder irgendwo eine Hütte. Bald wird es in dieser Stadt für uns nichts als Hunger geben.“

Wie recht Bertie Messener haben sollte, hätte ich mir nie träumen lassen. Ich hielt ihn für einen Schwarzseher. Und was mich betraf, so war ich ganz zufrieden damit, hierzubleiben, um mir den Spaß anzusehen. Nachdem ich ihn abgesetzt hatte, fuhr ich nicht geradewegs nach Hause, sondern machte mich erneut auf die Jagd nach Lebensmitteln. Zu meiner Überraschung mußte ich feststellen, daß die kleinen Geschäfte, in denen ich morgens eingekauft hatte, inzwischen leer waren. Ich dehnte meine Suche bis nach Potrero aus und hatte Glück, eine weitere Schachtel Kerzen, zwei Säcke Weizenmehl, zehn Pfund Schrotmehl (für die Diener würde das reichen), eine Kiste Büchsenmais und zwei Kisten Tomatenkonserven zu ergattern. Es sah ganz so aus, als ob es zumindest eine zeitweise Lebensmittelknappheit geben würde, aber angesichts des reichlichen Vorratslagers, das ich angelegt hatte, tröstete ich mich.

Am nächsten Morgen nahm ich wie gewöhnlich meinen Kaffee im Bett ein, und mehr noch als die Sahne vermißte ich die Tageszeitung. Ich empfand den Informationsverlust - nicht zu wissen, was in der Welt passierte - als gravierendes Übel. Unten im Klub gab es wenig Neues. Rider hatte von Oakland aus die Bucht in seiner Barkasse überquert, und Halstead war in seinem Auto bis runter nach San Jose und zurück gefahren. Sie berichteten, daß es dort genauso aussah wie in San Francisco. Alles war durch den Streik lahmgelegt. Alle Lebensmittellager waren von der Oberschicht leer gekauft worden. Und eine friedvolle Ordnung herrschte. Aber was geschah in den restlichen Teilen des Landes - in Chicago, New York, Washington? Höchstwahrscheinlich das gleiche wie hier auch, schlußfolgerten wir. Doch die Tatsache, daß wir es nicht mit absoluter Bestimmtheit wußten, beunruhigte schon.

General Folsom wußte etwas mehr. Man hatte versucht, Armeetelegrafisten in den Telegrafenämtern einzusetzen, aber die Leitungen in alle Richtungen waren gekappt. Dies war bislang das einzige ungesetzliche Vorgehen der Arbeiter, und der General war der vollen Überzeugung, daß dies ein geplanter Anschlag war. Über Funk hatte er Verbindung mit einem Armeeposten in Benicia aufgenommen; an den Telegrafenlinien -sogar bis runter nach Sacramento - patrouillierten Soldaten. Einmal bekamen sie das Rufzeichen von Sacramento, aber nur einen kurzen Moment, dann wurden die Leitungen irgendwo wieder getrennt. General Folsom war der Meinung, daß alle offiziellen Behörden im ganzen Land ähnliche Versuche unternahmen, um eine Verständigung herzustellen, aber er war keineswegs so überzeugt, ob diese Versuche auch erfolgreich sein würden. Sorge machte ihm das Kappen der Telegrafenleitungen; er mußte annehmen, daß es eine entscheidende Taktik im finsteren Verschwörungsplan der Arbeiter war. Er bedauerte auch, daß die Regierung das seit langem von ihr geplante Projekt einer Funkstationenkette noch nicht realisiert hatte. Die Tage kamen und gingen, und eine Zeitlang war es geradezu langweilig. Nichts passierte. Die heftige Erregung war abgeflaut. Die Straßen waren nicht mehr so belebt. Die Arbeiter kamen nicht mehr in unsere Wohnviertel, um zu sehen, wie wir den Streik hinnahmen. Und es fuhren nicht mehr so viele Autos. Reparaturgeschäfte und Autowerkstätten waren geschlossen, und immer wenn ein Auto nicht mehr funktionierte, wurde es verschrottet. Bei meinem brach die Kupplung, und weder für Geld noch für gute Worte konnte ich sie reparieren lassen. Wie die anderen ging ich nunmehr zu Fuß. San Francisco war tot, und was anderswo im Lande vor sich ging, wußten wir nicht. Aber allein aus der Tatsache, daß wir nichts wußten, schlußfolgerten wir, daß der Rest des Landes so tot wie San Francisco sein müsse. Von Zeit zu Zeit wurde die Stadt mit Proklamationen der organisierten Arbeiter bepflastert - Monate vorher gedruckt, bewiesen sie, wie gründlich sich die I. L. W. auf den Streik vorbereitet hatte. Jede Kleinigkeit war lange im voraus bedacht. Gewalttätigkeit gab es noch nicht, außer daß einige Telegrafenzerschneider von Soldaten erschossen wurden. Aber die Leute aus den Slums hungerten und wurden bedrohlich unruhig.

Geschäftsleute, Millionäre und die höheren Angestellten hielten Versammlungen ab, verfaßten Resolutionen, aber es gab keine Möglichkeit, diese Erklärungen zu veröffentlichen. Man konnte sie nicht einmal drucken lassen. Jedoch im Ergebnis einer dieser Versammlungen wurde General Folsom überredet, die militärische Verwaltung der Großhandelshäuser sowie aller Mehl-, Getreide- und Lebensmittellagerhäuser zu übernehmen. Das war höchste Zeit, denn in den Häusern der Reichen breitete sich die Not immer mehr und schärfer aus. Brotrationierungen waren erforderlich. Ich wußte, daß meine Diener anfingen, lange Gesichter zu ziehen, und verblüffend war, was für ein Loch sie in mein Vorratslager rissen. Tatsächlich bestahl mich jeder meiner Diener - mutmaßte ich später - und legte sich heimlich ein privates Vorratslager an.

Aber mit der Einführung der Brotzuteilung traten neue Ärgernisse auf. In San Francisco gab es nur begrenzt Lebensmittelreserven, und selbst im besten Falle konnten sie nicht lange reichen. Wir wußten, die organisierten Arbeiter besaßen ihre eigenen Vorräte; trotzdem reihte sich die gesamte Arbeiterklasse in die Brotzuteilungsschlangen ein. Demzufolge nahmen die von General Folsom verwalteten Bestände mit rasender Geschwindigkeit bedrohlich ab. Wie sollten die Soldaten zwischen einem armselig gekleideten Mann aus der Mittelklasse, einem Mitglied der I. L. W. oder einem Slumbewohner unterscheiden? Vom ersten bis zum letzten mußten alle versorgt werden, aber die Soldaten kannten nicht alle Männer in der Stadt, die zur I. L. W. gehörten, viel weniger deren Frauen, Söhne und Töchter. Da die Arbeitgeber mithalfen, wurden ein paar der bekannten Gewerkschaftsleute von der Brotzuteilung ausgeschlossen, aber das änderte so gut wie nichts. Die Lage spitzte sich zu, als die staatseigenen Schlepper, die bislang Nahrungsmittel aus Armeebeständen von Mare Island nach Angel Island befördert hatten, keine Nahrungsmittel mehr zum Befördern fanden. Jetzt erhielten auch die Soldaten ihre Rationen aus den konfiszierten Beständen, und zwar als erste.

Der Anfang des Endes war in Sicht. Die Gewalt begann ihr Gesicht zu enthüllen. Gesetz und Ordnung wurden mißachtet -mißachtet, so muß ich zugeben, von den Slumbewohnern und ebenso von den Leuten der Oberschicht. Die organisierten Arbeiter hielten immer noch eine disziplinierte Ordnung aufrecht. Sie konnten es sich leisten - sie hatten ausreichend zu essen. Ich erinnere mich an einen Nachmittag im Klub, als ich Hal-stead und Brentwood tuschelnd in einer Ecke antraf. Sie zogen mich in ihr waghalsiges Unternehmen hinein. Brentwoods Auto fuhr immer noch, und sie hatten vor, eine Kuh zu stehlen. Halstead besaß ein langes Fleischermesser und ein Hackbeil. Wir fuhren hinaus zum Stadtrand. Hier und da grasten Kühe, aber sie wurden von ihren Besitzern bewacht. Wir setzten unsere Suche fort, immer entlang der Stadtgrenze in Richtung Osten, und in den Bergen bei Hunter’s Point trafen wir auf eine Kuh und ein kleines Mädchen. Ein Kälbchen gab es auch. Wir verschwendeten keine Minute mit überflüssigen Erklärungen. Das kleine Mädchen rannte schreiend davon, indessen schlachteten wir die Kuh. Auf Einzelheiten gehe ich nicht ein, denn sie sind unerfreulich - für uns war solche Arbeit ungewohnt, und wir stümperten.