Aber mittendrin - wir arbeiteten in angstvoller Eile - hörten wir Schreie und sahen ein paar Männer auf uns zulaufen. Wir verzichteten auf die Beute und nahmen die Beine in die Hand. Zu unserer Überraschung wurden wir nicht verfolgt. Als wir uns umblickten, sahen wir die Männer eilig die Kuh zerlegen.
Sie waren auf das gleiche ausgewesen wie wir. Es war genug für alle da, meinten wir, und rannten zurück. Was nun kam, spottet jeder Beschreibung.
Wir kämpften und stritten um die Verteilung wie die Wilden. Ich erinnere mich, daß Brentwood zur echten Bestie wurde, die Zähne fletschte, um sich biß und mit Mord drohte, falls wir nicht einen angemessenen Anteil bekämen.
Und wir erhielten gerade unseren Anteil, als auf dem Schauplatz ein neuerliches Ärgernis eintrat. Diesmal waren es die gefürchteten Ordnungshüter der I. L. W. Das kleine Mädchen hatte sie geholt. Mit Peitschen und Knüppeln waren sie bewaffnet, und es waren viele. Das kleine Mädchen sprang vor Wut auf und ab, Tränen liefen über ihre Wangen, und sie schrie: „Gebt’s ihnen! Gebt’s ihnen! Der Kerl mit der Brille -der war’s! Schlagt ihm das Gesicht zu Brei! Zerschlagt ihm ‘s Gesicht!“ Der mit der Brille war ich, und das Gesicht wurde mir auch übel zugerichtet, doch ich war vorher noch so geistesgegenwärtig, die Brille abzunehmen. Mann, wir erhielten eine solche Tracht Prügel, daß wir in alle Winde davonstoben. Brentwood, Halstead und ich flohen zum Auto. Brentwoods Nase blutete, und Halsteads Wange war aufgeplatzt und vom Hieb einer Schwarzschlangenpeitsche mit einem dunkelroten Striemen gezeichnet.
Und siehe da, als die Hatz vorbei war und wir das Auto erreichten, stand dahinter versteckt - das erschreckte Kalb. Brentwood ermahnte uns, vorsichtig zu sein, und sprang wie ein Wolf auf das Tier. Messer und Hackbeil hatten wir zurücklassen müssen, aber noch hatte Brentwood seine Hände, und zusammen mit dem armen kleinen Kalb wälzte er sich auf der Erde hin und her, als er es erwürgte. Den Kadaver warfen wir ins Auto, bedeckten ihn mit einem Mantel und machten uns auf den Heimweg. Aber ein Unglück kommt selten allein. Ein Reifen platzte. Eine Möglichkeit, ihn zu reparieren gab es nicht, und dunkel wurde es auch schon. Wir ließen das Auto zurück. Brentwood stolperte keuchend voran. Das Kalb, mit dem Mantel bedeckt, hing quer über seine Schultern. Wir wechselten uns mit dem Tragen ab und waren fast am Ende unserer Kräfte. Außerdem verirrten wir uns. Und dann, nach stundenlangem Umherlaufen und all der Plackerei, stießen wir auf eine Rowdybande. Das waren keine I. L. W.- Männer, und ich vermute, sie waren so ausgehungert wie wir. Auf jeden Fall kriegten sie das Kalb und wir die Prügel. Brentwood tobte wie ein Verrückter auf dem Rest des Heimwegs. Und er sah auch so aus mit seinen zerrissenen Sachen, der geschwollenen Nase und den Veilchen auf den Augen.
Kuhdiebstähle gab es danach nicht mehr. General Folsom schickte seine Kavallerie aus und konfiszierte alle Kühe, und seine Kavalleristen, unterstützt von der Bürgerwehr, aßen das meiste Fleisch. General Folsom traf keine Schuld. Es war seine Pflicht, Gesetz und Ordnung aufrechtzuerhalten, und er tat das mit Hilfe seiner Soldaten, demzufolge war er verpflichtet, sie zunächst einmal zu versorgen.
Um diese Zeit herum setzte die große Panik ein. Die Reichen suchten ihr Heil in der Flucht, dann wurden die Slumbewohner davon angesteckt, und die Massen stürmten wild aus der Stadt. General Folsom freute sich. Schätzungsweise hatten wenigstens zweihunderttausend Leute San Francisco verlassen, und auf diese Weise war sein Ernährungsproblem gelöst. Und wie gut ich mich an diesen Tag erinnere: Morgens hatte ich ein Stück hartes Brot gegessen, den halben Nachmittag nach Brot angestanden. Nach Einbruch der Dunkelheit war ich müde und elend mit einem Kilo Reis und einer Scheibe Schinkenspeck nach Hause gekommen. An der Tür empfing mich Brown. Sein Gesicht sah erschöpft und verstört aus. Alle Diener seien geflohen, informierte er mich. Er allein war übriggeblieben. Seine Anhänglichkeit rührte mich, und als ich hörte, daß er den ganzen Tag lang nichts gegessen hatte, teilte ich mein Essen mit ihm. Wir kochten die Hälfte des Reises, brieten die Hälfte des Specks und teilten gerecht. Die andere Hälfte hoben wir für den nächsten Morgen auf. Hungrig ging ich zu Bett und warf mich die ganze Nacht ruhelos herum. Am Morgen stellte ich fest, daß Brown mich verlassen hatte, und, was ein noch größeres Unglück war, er hatte den übriggebliebenen Reis und Speck gestohlen.
An jenem Morgen versammelte sich eine trübselige Handvoll Männer im Klub. Bedienung gab es überhaupt nicht mehr. Der letzte Bedienstete war fort. Ich stellte auch fest, daß das Silber verschwunden war, und erfuhr wohin. Die Bediensteten hatten es nicht genommen, vermutlich aus dem einfachen Grunde, weil die Klubmitglieder schneller gewesen waren. Die Sachen wieder loszuwerden war einfach. Weiter unten, südlich der Market Street, in den Wohnvierteln der . L. W. hatten ihnen die Hausfrauen eine ordentliche Mahlzeit zum Tausch angeboten. Ich ging wieder nach Hause zurück. Ja, mein Silber war verschwunden - alles bis auf einen massiven Krug. Den wickelte ich ein und trug ihn bis südlich der Market Street.
Nach dem Essen fühlte ich mich besser und kehrte in den Klub zurück, um zu erfahren, ob sich etwas Neues ergeben hatte. Hanover, Collins und Dakon waren gerade im Gehen begriffen. Drinnen sei niemand, erzählten sie mir und luden mich ein, sie zu begleiten. Sie seien dabei, die Stadt zu verlassen, sagten sie, mit Dakons Pferden - und eins sei noch frei für mich. Dakon besaß vier prächtige Droschkenpferde, die wollte er retten, und General Folsom hatte ihm rechtzeitig den Tip gegeben, daß alle noch in der Stadt befindlichen Pferde als Nahrungsmittel am nächsten Morgen beschlagnahmt werden sollten. Viele Pferde gab es nicht mehr, denn Zehntausende hatte man freigelassen, als während der ersten Tage Heu und Korn knapp geworden waren. Ich denke an Birdall, den großen Fuhrunternehmer, der dreihundert Lastpferde laufenließ. Bei einem durchschnittlichen Wert von fünfhundert Dollar je Pferd belief sich das auf eine Summe von hundertfünfzigtausend Dollar. Anfangs hatte er gehofft, nach dem Ende des Streiks die meisten Pferde wieder einfangen zu können, doch zu guter Letzt bekam er nicht eins. Sie waren alle von den Flüchtlingen aus San Francisco aufgegessen worden.
Schließlich hatte man auch damit begonnen, die Maultiere und Pferde der Armee zu töten, um etwas zu essen zu haben.
Glücklicherweise hatte Dakon ausreichende Mengen Heu und Korn in seinem Stall eingelagert. Es gelang uns, vier Sättel aufzutreiben; wir fanden die Tiere in gutem Zustand und obendrein feurig, obwohl sie nicht daran gewöhnt waren, geritten zu werden. Ich erinnere mich an San Francisco nach dem großen Erdbeben, als wir auch durch die Straßen ritten, aber das jetzige San Francisco war in einem weit bedauernswerteren Zustand. Und das hatte keine Naturkatastrophe verursacht, sondern eher die Tyrannei der Gewerkschaften. Wir ritten zum Union Square hinunter und durch die Theater-, Hotel- und Geschäftsviertel. Die Straßen waren verlassen. Hier und da standen Autos, dort zurückgelassen, wo sie zusammengebrochen waren oder das Benzin ausgegangen war. Kein Lebenszeichen war zu finden, außer daß gelegentlich Polizisten und Soldaten auftauchten, die die Banken und öffentlichen Gebäude bewachten. Einmal stießen wir auf einen I. L. W.Mann, der die neuesten Proklamationen anklebte. Wir hielten an, um zu lesen. „Wir haben einen disziplinierten Streik geführt“, hieß es, „und wir werden die Ordnung bis zum Ende aufrechterhalten. Das Ende wird die Erfüllung unserer Forderungen sein, wenn wir unsere Arbeitgeber bis zur Unterwerfung ausgehungert haben, so wie sie uns in der Vergangenheit oft bis zur Unterwerfung ausgehungert haben.“