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Wenig Gutes hatte es dem völlig verwirrten jungen Mann eingebracht, daß er nun wußte, seine eine Hälfte war spätes Amerikanisch und die andere Hälfte frühes Teutonisch. Trotz alledem, der späte Amerikaner in ihm war kein Schwächling, und deshalb (wenn er ein Mann sein wollte und ein Teil seines Daseins außerhalb dieser beiden Ichs lag) zwang er sich zu einer Übereinkunft oder einem Kompromiß zwischen dem einen Ich, das ein nächtlich herumstreunender Wilder war und sein anderes Ich jeden Morgen schläfrig sein ließ, und jenem kultivierten, geistig höherstehenden Ich, das normal sein wollte, leben, lieben und Geschäften nachzugehen wünschte wie andere Leute auch. Die Nachmittage und frühen Abende teilte er dem einen zu, die Nächte dem anderen. Die Vormittage und Teile der Nacht waren dem Schlaf beider Ichs vorbehalten. Morgens jedoch schlief er wie ein zivilisierter Mensch im Bett, während der Nachtstunden aber wie ein wildes Tier, so wie in jener Nacht, als Dave Slotter im Wald über ihn gestolpert war.

Nachdem er seinen Vater überredet hatte, ihm etwas Kapital vorzuschießen, trat er ins Geschäftsleben ein und baute ein stabiles und erfolgreiches Unternehmen auf. Nachmittags widmete er sich mit vollem Einsatz seiner Arbeit, während morgens sein Partner die Geschäfte leitete. Die frühen Abendstunden verbrachte er in Gesellschaft, aber wenn die Zeit auf neun oder zehn Uhr vorrückte, überfiel ihn eine unwiderstehliche Unruhe, und er verließ die bei Männern beliebten Aufenthaltsorte bis zum nächsten Nachmittag. Seine Freunde und Bekannten glaubten, er würde einen großen Teil seiner Zeit mit Sport verbringen. Und sie hatten ja auch recht, obwohl sie es sich niemals hätten träumen lassen, welcher Art Sport er nachging, selbst wenn sie ihn bei nächtlichen Verfolgungsjagden auf Kojoten in den Bergen von Mill Valley gesehen hätten. Man schenkte auch den Schonerkapitänen keinen Glauben, die in den Gezeitenströmungen der Raccoon Straits und in den wirbelnden Strudeln zwischen Goal Island und Angel Island, meilenweit vom Strand entfernt, einen Mann an kalten Wintermorgen beim Schwimmen beobachtet hatten.

Er lebte allein in dem kleinen Haus in Mill Valley, und nur Li Sing, der chinesische Koch und das Faktotum, wußte eine ganze Menge über die Eigenheiten seines Herrn. Er wurde gut für seine Verschwiegenheit bezahlt und ließ nie etwas verlauten. Nach Nächten, die er seinem Bedürfnis entsprechend genossen hatte, einem morgendlichen Schlaf und einem von Li Sing zubereiteten Frühstück überquerte James Ward mit der Mittagsfähre die Bucht nach San Francisco, ging in den Klub und von dort in sein Büro, wie jeder andere normale, konventionell lebende Geschäftsmann in der Stadt. Aber zu fortgeschrittener Zeit am Abend rief ihn die Nacht. All seine Wahrnehmungen beschleunigten sich, und Rastlosigkeit überfiel ihn. Ganz plötzlich verfeinerte sich sein Gehör, Myriaden von Nachtgeräuschen erzählten ihm eine verlockende und vertraute Geschichte, und wenn er allein war, begann er im engen Zimmer auf und ab zu schreiten wie ein gefangenes, wildes Tier im Käfig.

Einmal wagte er es, sich zu verlieben. Diese Art von Zeitvertreib erlaubte er sich nie wieder. Er hatte Angst. Und die junge Dame, die unter Schrecken zumindest einen Teil ihrer jugendlichen Unerfahrenheit eingebüßt hatte, hatte mehrere Tage lang an Armen, Schultern und Handgelenken blaue Flecke - Zeichen der Zärtlichkeit, die er ihr in aller wohlwollenden Zuneigung erwiesen hatte, nur leider zu spät in der Nacht. Das war der Fehler. Hätte er die Liebkosungen am Nachmittag gewagt, wäre alles gut gewesen, denn dann hätte er ihr seine Liebe als ruhiger Gentleman gezeigt - nachts jedoch war er der ungehobelte, Frauen raubende Wilde aus den dunklen germanischen Wäldern. Aus dieser Einsicht heraus entschied er, daß eine nachmittägliche Liebesbeziehung erfolgversprechend sein konnte, aber aufgrund derselben klugen Einsicht war er davon überzeugt, daß eine Ehe sich als ein furchtbarer Fehlschlag erweisen würde. Allein die Vorstellung, verheiratet zu sein und nach Einbruch der Dunkelheit seiner Frau zu begegnen, war erschreckend für ihn.

Deshalb war er allen Liebesaffären aus dem Weg gegangen, hatte sein Doppelleben geordnet, eine Million im Geschäft gemacht, kuppelnde Mütter und junge Damen unterschiedlichsten Alters sanft abgewehrt, selbst wenn sie strahlende und vielversprechende Augen machten, war Lilian Gersdale begegnet und hatte es sich zur strengen Regel gemacht, sie nie später als acht Uhr abends aufzusuchen, jagte nachts seine Kojoten und schlief in Waldlagern - und nur so hatte er sein Geheimnis wahren können, außer vor Li Sing. und nun auch Dave Slotter. Die Entdeckung seiner beiden Ichs durch den letzteren flößte ihm Furcht ein. Trotz der Angst, die er dem Einbrecher eingejagt hatte, war zu befürchten, daß dieser redete. Und selbst wenn er das nicht täte, früher oder später würde ein anderer ihn entlarven.

So stand die Sache, als James Ward einen erneuten und heldenhaften Versuch unternahm, den teutonischen Barbaren, der eine Hälfte seines Ichs ausmachte, unter Kontrolle zu bekommen. Er legte so sehr Wert darauf, Lilian nachmittags und an den frühen Abenden zu besuchen, daß bald die Zeit kam, wo sie ihn gern sah in Freude und Leid und er heimlich und inbrünstig betete, daß kein Unglück geschehen möge. Kein Preisboxer hat sich in dieser Zeit härter und gewissenhafter auf einen Wettkampf vorbereitet als er in dem Bemühen, den wilden Barbaren in sich zu zähmen. Bei allem, was er tat, war er bemüht, sich am Tage völlig zu verausgaben, so daß der Schlaf ihn für den Ruf der Nacht taub machte. Er nahm Urlaub vom Büro, ging auf lange Jagdausflüge und verfolgte das Wild durch die unwegsamsten und ödesten Gegenden, die er finden konnte - und das immer während des Tages. Die Nacht traf ihn ermüdet im Hause an. Dort baute er eine Vielzahl von Trainingsapparaturen auf, und wo andere Menschen eine bestimmte Übung zehnmal ausführen, machte er sie hundertmal. Gewissermaßen als Kompromiß baute er im zweiten Stock eine Schlafveranda. Hier konnte er wenigstens die geliebte Nachtluft ahnen. Doppelgitter verhinderten sein Entfliehen in die Wälder, und jede Nacht sperrte Li Sing ihn dort ein und ließ ihn am Morgen wieder heraus.

Es kam die Zeit, man schrieb August, da stellte er weitere Bedienstete ein, damit sie Li Sing zur Hand gehen konnten, und er wagte es, in seinem Haus in Mill Valley eine Party zu geben. Lilian, ihre Mutter und ihr Bruder sowie ein halbes Dutzend gemeinsamer Freunde waren die Gäste. Zwei Tage und Nächte lang ging alles gut. Und in der dritten Nacht, bis elf Uhr wurde Bridge gespielt, hatte er allen Grund, stolz auf sich zu sein. Erfolgreich verbarg er seine Ruhelosigkeit, aber wie das Schicksal es wollte, war seine Gegenspielerin zur Rechten Lilian Gersdale. Wie eine zarte, zerbrechliche Blume war diese Frau, und in seiner nächtlichen Stimmung reizte ihn ihre Schwäche. Nicht etwa, daß er sie weniger liebte, aber er verspürte den unwiderstehlichen Drang, nach ihr zu greifen, sie grob anzufassen und zu mißhandeln. Ganz besonders dann, als sie dabei war, gegen ihn zu gewinnen.

Er hatte einen der Jagdhunde mit hereingebracht, und immer wenn er das Gefühl hatte, vor innerer Spannung in tausend Stücke zu zerspringen, verschaffte es ihm Erleichterung, mit einer Hand das Tier zu tätscheln. Die Berührung des haarigen Fells beruhigte ihn sofort, und so konnte er den Abend beim Spiel durchstehen. Keiner der Anwesenden ahnte etwas von dem schrecklichen Kampf des Gastgebers, zumal er sorglos lachte und eifrig und besonnen spielte.