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Als man sich zur Schlafenszeit trennte, achtete er darauf, sich in Gegenwart der anderen von Lilian zu verabschieden. Auf seiner Schlafveranda und sicher eingeschlossen, verdoppelte, verdreifachte, ja vervierfachte er sofort seine körperlichen Übungen, bis er sich erschöpft auf das Bett fallen ließ, um Schlaf zu suchen und um über zwei Probleme nachzugrübeln, die ihn besonders beunruhigten. Das eine betraf die Übungen. Es war paradox. Je mehr er in dieser exzessiven Art und Weise Leibesübungen machte, um so kräftiger wurde er. Und es stimmte auch, daß er so sein nachtstreunendes teutonisches Ich völlig erschöpfte, doch andererseits schien er nur jenen verhängnisvollen Tag weiter hinauszuschieben, an dem seine Kraft für ihn zu stark sein und ihn überwältigen würde, eine Kraft, die gewaltiger wäre als alles, was er je gekannt hatte. Das andere Problem betraf seine Heirat und die Kunstgriffe, die er würde anwenden müssen, um seiner Frau nach Einbruch der Dunkelheit aus dem Wege zu gehen. Und derartig ergebnislos vor sich hin grübelnd, schlief er ein.

Lange noch blieb es ein Rätsel, woher in jener Nacht der riesige Grizzlybär auftauchte, während die Leute vom Springs-Brothers-Zirkus, der in Sausalito gastierte, lange und vergeblich nach „Big Ben, dem größten Grizzly in Gefangenschaft“, suchten. Doch Big Ben war entwischt, und in einem Irrgarten von einem halben Tausend Bungalows und Landsitzen suchte er sich das Anwesen von James Ward für einen Besuch aus. Das erste, was James Ward bewußt wahrnahm, als er zitternd vor Erregung und Spannung auf den Beinen stand, war ein Gefühl von Kampfeslust, und der alte Kriegsgesang kam von seinen Lippen. Von draußen drang das wilde Kläffen und Bellen der Hunde herauf. Und scharf war das tödliche Schmerzgeheul eines getroffenen Hundes inmitten des Höllenlärms zu hören -seines Hundes, das wußte er.

Er hielt sich nicht mit den Schuhen auf, durchbrach im Schlafanzug die Tür, die Li Sing so sorgfältig verschlossen hatte, raste die Treppen hinunter und hinaus in die Nacht. Als seine nackten Füße den Kiesboden der Auffahrt berührten, hielt er plötzlich inne, griff unter die Treppe, einem ihm vertrauten Versteck, und zog einen gewaltigen Holzknüppel hervor - seinen alten Begleiter bei vielen verrückten nächtlichen Abenteuern in den Bergen. Der rasende Tumult der Hunde kam immer näher, und den Knüppel schwingend, sprang er geradewegs hinein in das Dickicht, aus dem der Lärm kam.

Die aus dem Schlaf aufgeschreckten Bewohner des Hauses versammelten sich auf der breiten Veranda. Jemand schaltete die elektrische Beleuchtung an, aber außer ihren eigenen entsetzten Gesichtern konnten sie nichts sehen. Hinter der hell erleuchteten Auffahrt bildeten die Bäume eine Mauer von undurchdringlicher Finsternis. Doch irgendwo in dieser Dunkelheit tobte ein entsetzlicher Kampf. Da war ein infernalisches Gebrüll von Tieren, ein gewaltiges Knurren und Belfern, der Klang von ausgeteilten Schlägen und das Krachen und Niederschmettern schwerer Körper im Gestrüpp.

Die Kampfeswoge rollte unter den Bäumen hervor auf die Auffahrt zu, gerade unter den Standort der Zuschauer. Dann sahen sie es. Mrs. Gersdale schrie auf und klammerte sich, das Bewußtsein verlierend, an ihren Sohn. Lilian, die sich so krampfhaft am Gitter festhielt, daß die schmerzhaften Druckstellen an ihren Fingerspitzen noch tagelang danach zu erkennen waren, erblickte mit Entsetzen einen gelbhaarigen, wildäugigen Riesen, in dem sie den Mann erkannte, der ihr Gemahl werden sollte. Er schwang einen riesigen Knüppel und kämpfte in heftiger Wut, doch mit aller Entschlossenheit gegen ein zottiges Ungetüm, das größer war als jeder Bär, den sie jemals vorher gesehen hatte. Ein Schlag von den Pranken der Bestie hatte Wards Pyjamajacke zerrissen, und seine Haut war blutverschmiert.

Lilian Gersdales größte Angst galt dem geliebten Mann, aber andererseits hatte sie auch Furcht vor diesem Mann. Nie hätte sie sich träumen lassen, daß unter dem gestärkten Hemd und der konventionellen Kleidung ihres Bräutigams sich ein solch außergewöhnlicher und prächtiger Wilder verbarg. Und niemals hatte sie eine Vorstellung davon gehabt, wie ein Mann kämpft. Ein derartiger Kampf war sicherlich nicht zeitgemäß, und sie hatte ja auch keinen Mann ihrer Zeit vor sich, obwohl sie das nicht wußte. Denn dies war nicht Mr. James J. Ward, der Geschäftsmann aus San Francisco, sondern ein namenloses, unbekanntes, rohes und gewalttätiges wildes Wesen, das einer zufälligen Laune der Natur zufolge nach dreimal tausend Jahren wieder zum Leben erwacht war.

Die Hunde umkreisten unaufhörlich bellend den Kampf, sprangen immer wieder den Bären an und lenkten ihn so ab. Wenn das Tier sich umdrehte, um solchen Flankenangriffen zu begegnen, sprang der Mann hinzu und ließ seinen Knüppel niedersausen. Durch jeden dieser Schläge erneut gereizt, stürzte sich der Bär auf den Mann, der hin und her tänzelte, um den Hunden auszuweichen, und mal rückwärts sprang oder sich zur einen oder anderen Seite drehte. Diesen Platzvorteil ausnutzend, sprangen die Hunde wiederum herbei und zogen so die Angriffslust des Tieres auf sich.

Das Ende kam plötzlich. Um sich wirbelnd, erwischte der Grizzly einen Hund mit einem weit ausholenden Schlag, der dem Tier die Rippen eindrückte, den Rücken brach und es zwanzig Fuß weit zu Boden schmetterte. Daraufhin geriet das menschliche Untier außer sich. Vor Wut schäumend, öffnete er den Mund in einem wilden, unartikulierten Schrei, sprang, den Knüppel wild mit beiden Händen schwingend, drauflos und ließ ihn mit aller Wucht auf den Kopf des sich aufrichtenden Grizzlys niedersausen. Nicht einmal der Schädel eines Grizzlys konnte der zerschmetternden Gewalt eines solchen Schlages widerstehen, und das Tier sank zu Boden - nun den Bissen der Hunde ausgesetzt. Aus diesem Knäuel sprang der Mann mit aufgerichtetem Körper ins helle elektrische Licht, und auf seinen Knüppel gestützt, ließ er einen Triumphgesang in einer unbekannten Sprache ertönen - einen Gesang, der so alt war, daß Professor Wertz zehn Jahre seines Lebens dafür gegeben hätte.

Jubelnd eilten seine Gäste ihm entgegen, doch James Ward, der plötzlich mit den Augen des vorzeitlichen Teutonen das liebliche, zarte Mädchen aus dem zwanzigsten Jahrhundert erblickte, das er liebte, spürte etwas in seinem Kopf knacken. Wankend taumelte er auf sie zu, ließ den Knüppel fallen und wäre fast gestürzt. Irgend etwas war mit ihm passiert. In seinem Kopf herrschte eine unerträgliche Agonie. Seine Seele schien auseinanderzufliegen. Den vor Aufregung erstarrten Blicken folgend, blickte er sich um und sah den Kadaver des Bären. Dieser Anblick erfüllte ihn mit Schrecken. Er stieß einen Schrei aus und wäre fortgelaufen, hätte man ihn nicht zurückgehalten und ins Haus geführt.

James J. Ward ist heute noch im Vorstand der Firma Ward, Knowles & Co. Aber er wohnt nicht mehr auf dem Lande und verfolgt nachts im Mondlicht auch keine Kojoten mehr. In jener Nacht beim Kampf mit dem Bären in Mill Valley starb der urzeitliche Teutone in ihm. James J. Ward ist heute nur noch James J. Ward, und er teilt seine Persönlichkeit nicht mehr mit einem anachronistischen Vagabunden aus der grauen Vorzeit. Und James J. Ward ist ein so vollkommener Vertreter seiner Zeit, daß er das bittere Ausmaß des Fluchs unserer zivilisierten Furcht kennt. Jetzt fürchtet er sich vor der Dunkelheit, und eine Nacht im Wald ist etwas, was ihm grenzenloses Grauen einjagt. Sein Stadthaus zeichnet sich durch blitzblanke Ordnung aus, und er bekundet starkes Interesse an einbruchssicheren Schutzvorrichtungen. Sein Heim ist von einem Gewirr elektrischer Drähte durchzogen, und wenn Schlafenszeit ist, kann ein Gast kaum tief atmen, ohne einen Alarm auszulösen. Er war auch der Erfinder eines schlüssellosen Türschlosses, das Reisende in der Westentasche aufbewahren können und das man sofort problemlos überall einbauen kann. Seine Frau jedoch hält ihn nicht etwa für einen Feigling. Sie weiß es besser. Und wie jeder Held ist er es zufrieden, auf seinen Lorbeeren auszuruhen. Und nie wird sein Mut von denjenigen seiner Freunde in Frage gestellt, die von den Ereignissen in Mill Valley wissen.