Und Wanze sang wieder ein Lied über Leute wie Spaltnase, die zurück in die Vergangenheit und wieder auf den Bäumen leben wollten. Aber Spaltnase sagte, nein, er wolle nicht zurück, sondern vorwärts gehen. Sie würden nur stark werden, wenn sie ihre Kräfte zusammenlegten, die Fischesser sollten ihre Kraft mit der der Fleischesser vereinen, dann würde es keine Kämpfe mehr geben, keine Beobachter und keine Wachposten. Wenn nur alle arbeiteten, würden sie genug zu essen haben, und sie würden nicht mehr als zwei Stunden am Tag zu arbeiten brauchen.
Dann sang Wanze wieder, er sang, daß Spaltnase faul sei, und er sang das ,Lied von den Bienen’. Das war ein seltsames Lied, und diejenigen, die zuhörten, erfaßte eine Raserei, so als hätten sie vom starken Feuergebräu getrunken. Das Lied handelte von einem Bienenschwarm und einer räuberischen Wespe, die bei den Bienen leben wollte und die ihnen all ihren Honig stahl. Die Wespe war faul und erzählte den Bienen, daß es nicht nötig sei, zu arbeiten; sie erzählte ihnen auch, daß sie gut Freund mit den Bären sein sollten, die ja keine Honigräuber, sondern sehr gute Freunde wären. Das Lied von Wanze war sehr hinterlistig, und die Zuhörer erkannten genau, daß der Bienenschwarm der Sea-Valley-Stamm war, daß die Bären die Fleischesser waren und daß die faule Wespe kein anderer als Spaltnase war. Und als Wanze sang, daß die Bienen der Wespe so lange zuhörten, bis der Schwärm fast zugrunde ging, erhob sich wütendes Ge-murre. Als Wanze sang, daß sich schließlich die guten Bienen erhoben und die Wespe zu Tode stachen, griffen die Männer zu Steinen und warfen sie auf Spaltnase, bis dieser tot war und von ihm nichts mehr zu sehen war - nur ein Haufen Steine, die sie auf ihn geworfen hatten. Und viele der armen Leute, die lange und schwer arbeiten mußten und dennoch nicht genug zu essen hatten, halfen mit, Spaltnase zu steinigen.
Nach dem Tod von Spaltnase hatte nur noch einer gewagt, aufzustehen und seine Meinung zu sagen, und das war Haariges Gesicht. ,Wo ist die Kraft der Starken?’ fragte er. ,Wir sind die Starken, wir alle zusammen, und wir sind stärker als Hundezahn und Tigergesicht oder Dreibein und Schweinebacke und die anderen, die nichts tun, aber viel essen und uns schwächen, da uns ihre Stärke, die eine schlechte Stärke ist, schadet. Männer, die Sklaven sind, können nicht stark sein. Wenn der Mann, der als erster die Kraft und den Nutzen des Feuers erkannt hatte, seine Stärke eingesetzt hätte, wären wir seine Sklaven, wie wir jetzt die Sklaven von Dünnbauch sind, der die Kraft und den Nutzen von Fischfallen erkannt hat, und der Männer, die die Kraft und den Nutzen des Bodens, der Ziegen und des Feuergetränks erkannt haben. Früher lebten wir auf den Bäumen, meine Brüder, und niemand war sicher. Jetzt kämpfen wir nicht mehr gegeneinander. Wir haben unsere Kräfte vereint. Dann wollen wir auch nicht mehr gegen die Fleischesser kämpfen. Laßt uns unsere Kraft und ihre Kraft zusammenlegen. Dann werden wir wirklich stark sein. Dann werden wir gemeinsam ausziehen, die Fischesser und die Fleischesser, und wir werden die Tiger und Löwen, die Wölfe und wilden Hunde töten, und wir werden unsere Ziegen auf allen Hügeln weiden und unser Korn sowie die eßbaren Wurzeln in allen Bergtälern anbauen. Dann werden wir so stark sein, daß alle wilden Tiere vor uns fliehen und zugrunde gehen werden. Nichts wird uns widerstehen, denn jeder einzelne wird so stark sein wie alle Männer der Welt zusammen.
So sprach Haariges Gesicht, und sie töteten ihn, weil er, so sagten sie, ein wilder Mann sei und wieder auf den Bäumen leben wolle. Es war sehr merkwürdig. Immer wenn sich ein Mann erhob und vorwärts gehen wollte, sagten alle, die stillstanden, er wolle zurück und müsse getötet werden. Und die armen Menschen halfen, ihn zu steinigen, und sie waren Dummköpfe. Wir waren alle Dummköpfe, mit Ausnahme derer, die dick waren und nicht arbeiteten. Dummköpfe wurden weise genannt, und die Weisen wurden gesteinigt. Die Männer, die arbeiteten, bekamen nicht genug zu essen, und die Männer, die nicht arbeiteten, aßen zuviel.
Der Stamm verlor immer mehr an Stärke. Die Kinder waren schwach und kränklich. Und da wir nicht genug zu essen hatten, befielen uns seltsame Krankheiten, und die Menschen starben wie die Fliegen. Dann kamen die Fleischesser und überwältigten uns. Wir waren Tigergesicht zu oft über die Wasserscheide gefolgt und hatten die Ihren getötet. Jetzt kamen sie, um es uns mit Blut heimzuzahlen. Wir waren zu schwach und krank, als daß wir die große Mauer hätten besetzen können. Sie töteten alle Stammesangehörigen bis auf einige Frauen, die sie mitnahmen. Wanze und ich entkamen. Ich habe mich an den wildesten Stellen versteckt und wurde ein Fleischjäger, und ich habe seither nicht mehr gehungert. Ich habe mir eine Frau von den Fleischessern gestohlen und lebte fortan in den Höhlen der hohen Berge, wo man mich nicht finden konnte. Wir hatten drei Söhne, die sich alle eine Frau von den Fleischessern stahlen. Den Rest kennt ihr, denn seid ihr nicht die Söhne meiner Söhne?“
„Und Wanze?“ wollte Hirschfänger wissen. „Was würde aus dem?“
„Er ging zu den Fleischessern und wurde Sänger des Königs. Er ist jetzt ein alter Mann, aber er singt dieselben alten Lieder; wenn sich jemand erhebt, um vorwärts zu gehen, singt er, daß der Mann zurück und wieder auf den Bäumen leben wolle.“
Langbart griff in den Leib des Bären und lutschte mit zahnlosem Gaumen an seiner Faust voller Fett.
„Eines Tages“, sagte er, wobei er sich die Hände an den Seiten abwischte, „werden alle Dummköpfe gestorben sein, und dann werden alle noch lebenden Männer vorwärts gehen. Sie werden die Kraft der Starken besitzen, sie werden ihre Kräfte vereinigen, so daß auf der ganzen Welt keiner mehr gegen den anderen kämpfen wird. Es wird keine Wachposten oder Beobachter auf den Mauern geben. Alle Raubtiere werden getötet, und wie Haariges Gesicht gesagt hat, werden auf allen Hügeln Ziegen weiden, und in allen Tälern der hohen Berge werden Korn und eßbare Wurzeln angebaut. Alle Menschen werden Brüder sein, und niemand wird faul in der Sonne liegen und von den anderen durchgefüttert werden. Und all das wird geschehen, wenn die Dummköpfe gestorben sind und es keine Sänger mehr geben wird, die den Stillstand wollen und das ,Lied von den Bienen’ singen. Bienen sind keine Menschen.“
Tausend Tode
Ich war schon etwa eine Stunde im Wasser. Durchfroren, erschöpft und einen schrecklichen Krampf in der rechten Wade, glaubte ich, meine letzte Stunde hätte geschlagen. Ich hatte erfolglos gegen den Sog der Ebbe angekämpft und war fast wahnsinnig geworden beim Anblick der vorüberziehenden Lichterprozessionen am Hafen. Aber jetzt versuchte ich nicht mehr, gegen den Strom anzuschwimmen, sondern gab mich bitteren Gedanken an ein verpfuschtes Leben hin, das nun bald zu Ende sein sollte.
Ich hatte das Glück, einem ehrbaren englischen Geschlecht zu entstammen. Meine Eltern hatten jedoch viel mehr Geld auf der Bank als Verständnis für das kindliche Wesen und für Erziehung. Wohl war ich mit einem goldenen Löffel im Mund geboren worden, aber die glückliche Geborgenheit in einer Familie kannte ich nicht. Mein Vater, ein sehr gelehrter und berühmter Altertumsforscher, verschwendete keinen Gedanken an seine Familie; er war stets in seine Studien vertieft. Währenddessen genoß meine Mutter, die mehr ihrer Schönheit als ihres Verstandes wegen bekannt war, die Schmeicheleien der Gesellschaft, in die sie sich ununterbrochen stürzte. Ich absolvierte die für einen Jungen aus dem englischen Bürgertum typische Schul- und Universitätsausbildung, und als mit den Jahren Kraft und Leidenschaft in mir wuchsen, wurden auch meine Eltern plötzlich gewahr, daß ich eine unsterbliche Seele besaß, und sie versuchten, die Zügel fester anzuziehen. Aber es war schon zu spät. Ich beging die tollsten und unverschämtesten Torheiten, woraufhin mich meine Eltern enterbten und die Gesellschaft, die ich so lange schockiert hatte, mich ausstieß. Mein Vater händigte mir tausend Pfund aus und gab mir zu verstehen, daß er mich weder noch einmal sehen, noch mir weiteres Geld geben wolle. So trat ich als Passagier der ersten Klasse eine Reise nach Australien an. Seit dieser Zeit führte ich ein ausgesprochenes Wanderleben zwischen Orient und Okzident, zwischen Arktis und Antarktis. Nun fand ich mich, ein tüchtiger Seemann von dreißig Jahren und im vollen Besitz meiner Manneskraft, dem Ertrinken nahe in der San Francisco Bay wieder, denn ich hatte mit unheilvollem Erfolg versucht, von meinem Schiff zu flüchten.