Wir waren noch nicht lange auf der Insel, als ich den schrecklichen Betrug entdeckte, auf den ich hereingefallen war. Aber bevor ich die sonderbaren Dinge beschreibe, die mir noch widerfahren sollten, muß ich kurz die Ursachen darlegen, die zu einer Erfahrung führten, wie sie schrecklicher wohl noch kein Mensch vor mir gemacht hat.
Mein Vater war nicht mehr jung, als er dem muffigen Zauber der Altertumsforschung entsagte und der Faszination dessen erlag, was man gemeinhin mit dem Begriff Biologie faßt. Da er sich schon früh deren Grundlagen vollständig erarbeitet hatte, drang er schnell zu den höheren Zweigen vor, soweit sie der Wissenschaft zugänglich waren, und fand sich plötzlich im Niemandsland des Unerforschten. Es war sein Bestreben, einen Anspruch auf einen Teil dieses noch nicht abgesteckten Terrains zu erwerben. In dieser Etappe seiner Forschungen waren wir uns wiederbegegnet. Da ich, auch wenn ich mich selbst loben muß, ein heller Kopf bin, hatte ich mir seine Spekulationen und Denkmethoden soweit zu eigen gemacht, daß ich schon fast so verrückt war wie er. Aber so sollte ich nicht reden. Die wunderbaren Ergebnisse, die wir später erzielten, waren eher ein Beweis für seinen Verstand. Dennoch sage ich, er war die abnormste Verkörperung kaltblütiger Grausamkeit, die mir je begegnet ist.
Nachdem er die Geheimnisse der Physiologie und der Psychologie ergründet hatte, führte ihn seine Überlegung an die Grenzen eines großen Feldes, für dessen genauere Erforschung er Studien der höheren organischen Chemie, der Pathologie, der Toxikologie sowie anderer Gebiete und Untergebiete begann, die sich als seinen spekulativen Hypothesen verwandt und zugehörig erwiesen. Ausgehend von der Annahme, daß die unmittelbare Ursache für die zeitweilige und permanente Unterbrechung der Lebenstätigkeit in der Koagulation gewisser Elemente und Verbindungen des Protoplasmas gesucht werden müsse, hatte er diese verschiedenen Substanzen isoliert und unzähligen Experimenten unterzogen. Eine zeitweilige Unterbrechung der Lebensfunktionen führt zum Koma, eine permanente Unterbrechung zum Tode. Er ging davon aus, daß die Koagulation des Protoplasmas durch künstliche Mittel aufgehalten, verhindert, und selbst in einem extremen Stadium der Gerinnung überwunden werden könne. Oder, einfacher gesagt, er behauptete, daß der Tod, wenn nicht gewaltsam herbeigeführt oder von Organzerstörungen begleitet, lediglich eine unterbrochene Lebenstätigkeit sei und daß unter diesen Umständen das Leben durch die Anwendung geeigneter Methoden wieder zur Aufnahme seiner Funktionen veranlaßt werden könne. Und das war sein Plan: Er wollte die Methode entdekken und praktisch erproben, mit der die Lebensfunktionen in einem Organismus reaktiviert werden konnten, aus dem das Leben scheinbar entwichen war. Natürlich erkannte er die Nutzlosigkeit eines solchen Unterfangens, nachdem die Verwesung bereits eingesetzt hat. Er benötigte Organismen, die noch vor einem Moment, vor einer Stunde oder einem Tag quicklebendig waren. An mir hatte er seine noch nicht völlig ausgereifte Theorie bewiesen. Ich war wirklich ertrunken, wirklich tot, als man mich aus der San Francisco Bay fischte, aber mein Lebensfunke wurde mit dem aerotherapeutischen Apparat, wie er ihn nannte, wieder angefacht.
Jetzt aber zu seinen dunklen Zielen, bei denen ich eine Rolle spielen sollte. Erst einmal machte er mir klar, wie vollkommen ich ihm ausgeliefert war. Er hatte die Jacht für ein Jahr weggeschickt und nur die beiden Schwarzen bei sich behalten, die ihm blind ergeben waren. Dann legte er mir seine Theorie ausführlich dar und umriß die von ihm entwickelte Beweismethode. Er schloß mit der furchteinflößenden Ankündigung, daß ich sein Versuchsobjekt sein sollte.
In vielen verzweifelten Situationen hatte ich dem Tod schon ins Auge geblickt und meine Chancen abwägen müssen, aber nie in dieser Art. Ich schwöre, ich bin kein Feigling, aber die Aussicht, im Grenzland des Todes hin- und herzureisen, flößte mir das kalte Grauen ein. Ich bat um Bedenkzeit, die er mir gewährte, allerdings nicht ohne die Versicherung, daß ich nur die eine Wahl hätte: mich zu unterwerfen. Eine Flucht von der Insel war unmöglich, Flucht durch Selbstmord kam auch nicht in Frage, obwohl sie dem vorzuziehen war, was mich erwartete. Die einzige Hoffnung bestand darin, meine Peiniger zu vernichten. Aber auch diese letzte Möglichkeit wurde durch die Vorsichtsmaßregeln vereitelt, die mein Vater getroffen hatte. Ich stand unter ständiger Beobachtung; selbst wenn ich schlief, bewachte mich einer der beiden Schwarzen.
Nachdem ich ihn vergeblich gebeten hatte, mich zu verschonen, enthüllte und bewies ich ihm, daß ich sein Sohn war. In diesen meinen letzten Trumpf hatte ich all meine Hoffnungen gesetzt. Er war jedoch unerbittlich; er war kein Vater, sondern eine Forschungsmaschine. Es ist mir unverständlich, wie es jemals geschehen konnte, daß er meine Mutter heiratete und mich zeugte, denn es gab in seinem Wesen nicht das kleinste Körnchen Gefühl. Verstand war für ihn das A und , und Dinge wie Liebe oder Sympathie für andere konnte er nicht verstehen, es sei denn als Schwäche, die man bekämpfen muß. So setzte er mir auseinander, daß er, der mir ja am Anfang das Leben gegeben habe, nun das größte Recht beanspruchen könne, dieses Leben wieder zu nehmen. Das jedoch sei nicht sein Wunsch; er wolle es sich nur gelegentlich ausleihen und pünktlich zur festgesetzten Stunde wieder zurückgeben. Natürlich sei eine Panne nicht ganz auszuschließen, aber ich hätte keine Wahl, als auf mein Glück zu hoffen. Das sei aber ganz normal.
Um den Erfolg weitgehend abzusichern, sollte ich nach seinem Willen bei bestmöglicher Gesundheit sein. So bekam ich eine spezielle Diät und wurde wie ein berühmter Athlet vor dem entscheidenden Wettkampf trainiert. Was konnte ich tun? Wenn ich das Risiko auf mich nehmen mußte, war es das beste, in guter Verfassung zu sein. In meinen Ruhepausen erlaubte er mir, bei der Einrichtung des Apparates und bei verschiedenen Hilfsexperimenten zu assistieren. Das Interesse, das ich all diesen Operationen entgegenbrachte, kann man sich vorstellen. Ich beherrschte die Arbeit ebenso vollkommen wie er, und oft hatte ich das Vergnügen, einige meiner Vorschläge und Neuerungen realisiert zu sehen. Danach lächelte ich grimmig, denn ich wurde mir bewußt, daß ich bei meiner eigenen Beerdigung mitwirkte.
Er begann mit einer Serie von toxikologischen Experimenten. Als alles bereit war, wurde ich durch eine kräftige Dosis Strychnin getötet und etwa zwanzig Stunden liegengelassen. In dieser Zeit war mein Körper tot, absolut tot. Atmung und Blutzirkulation hatten aufgehört. Das schlimme jedoch war, daß ich, während die Koagulation des Protoplasmas voranschritt, bei vollem Bewußtsein und somit in der Lage war, sie in allen ihren gräßlichen Einzelheiten zu verfolgen.
Der Wiederbelebungsapparat war eine luftdichte Kammer, groß genug, meinen Körper aufzunehmen. Der Mechanismus war einfach - ein paar Ventile, eine drehbare Welle mit Kurbel und ein Elektromotor. War der Apparat in Aktion, so wurde der Innendruck abwechselnd erhöht und verringert, so daß meine Lungen ohne die früher notwendigen Schläuche künstlich beatmet wurden. Obwohl mein Körper funktionslos und nach allem, was ich wußte, im ersten Stadium der Zersetzung war, konnte ich alle Vorgänge wahrnehmen. Ich wußte, wann sie mich in die Kammer legten, und obwohl alle meine Sinne stillgelegt waren, spürte ich, wie man mir ein Präparat unter die Haut spritzte, das auf den Koagulationsprozeß einwirken sollte. Dann wurde die Kammer geschlossen und der Mechanismus in Gang gesetzt. Meine Furcht war unbeschreiblich; aber der Kreislauf wurde allmählich reaktiviert, die verschiedenen Organe nahmen ihre jeweilige Funktion wieder auf, und nach einer Stunde aß ich eine herzhafte Mahlzeit.