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Man kann nicht sagen, daß ich mich an dieser Testserie oder den folgenden mit besonderer Begeisterung beteiligt hätte, aber nach zwei erfolglosen Fluchtversuchen erwachte doch mein Interesse. Dazu kam die Gewöhnung. Mein Vater war außer sich über den Erfolg, und im Laufe der folgenden Monate wurden seine Spekulationen immer und immer wahnwitziger. Wir gingen die drei großen Klassen der Gifte durch: die Nervengifte, die gasförmigen Betäubungsmittel und die Reizstoffe. Wir vermieden jedoch sorgfältig einige der mineralischen Reizstoffe und übergingen die Gruppe der Ätzmittel ganz. Während der Giftexperimente gewöhnte ich mich beinahe ans Sterben, und es gab nur eine Panne, die mein gewachsenes Vertrauen erschütterte. Beim Schröpfen einer Anzahl kleiner Blutgefäße in meinem Arm spritzte mein Vater mir eine winzige Menge des schrecklichsten aller Gifte, jenes Pfeilgiftes, das man auch Kurare nennt, ein. Augenblicklich verlor ich das Bewußtsein, schnell folgten Atem- und Herzstillstand. Die Gerinnung des Protoplasmas schritt so weit fort, daß mein Vater jede Hoffnung fahrenließ. Aber buchstäblich in letzter Sekunde nutzte er eine Erfindung, an der er gerade gearbeitet hatte, jetzt allerdings mit doppelter Energie.

In einem Glasvakuum, ähnlich, aber nicht genau wie eine Crookessche Röhre aufgebaut, wurde ein Magnetfeld erzeugt. Wenn hier polarisiertes Licht hindurchdrang, so erzeugte es weder Phosphoreszenz noch Erscheinungen der geradlinigen Projektion von Atomen, dafür sandte es unsichtbare Strahlen aus, die den Röntgenstrahlen ähnlich waren. Konnten aber die Röntgen strahlen in optisch dichten Medien verborgene undurchsichtige Objekte sichtbar machen, so hatten diese Strahlen ein noch viel feineres Durchdringungsvermögen. Damit fotografierte er meinen toten Körper und fand auf dem Negativ eine unendlich große Zahl verschwommener Schatten, deren Ursache die noch immer in mir ablaufenden chemischen und elektrischen Vorgänge waren. Das war ein unfehlbarer Beweis dafür, daß die Leichenstarre, in der ich mich befand, nur scheinbar war; daß die geheimnisvollen Kräfte, jene zarten Bande, die meinen Leib und meine Seele zusammenhielten, noch in Aktion waren.

Bei allen anderen Giften waren die Wirkungen nicht so schlimm; eine Ausnahme bildeten die Quecksilberverbindungen, die mich gewöhnlich für einige Tage niederstreckten.

Eine Serie ergiebiger Experimente wurde mit Elektrizität durchgeführt. Wir bewiesen Teslas Behauptung, daß Hochspannung völlig ungefährlich sei, indem wir Volt durch meinen Körper jagten. Da mir das nichts ausmachte, wurde die Spannung auf Volt reduziert, wodurch ich schnell getötet wurde. Dieses Mal wagte sich mein Vater so weit vor, mich volle drei Tage tot - oder im Zustand unterbrochener Lebenstätigkeit -liegenzulassen. Mich zurückzuholen dauerte volle vier Stunden.

Einmal führte er zusätzlich einen Kinnbackenkrampf herbei; mein Todesschmerz war so qualvoll, daß ich es rundweg ablehnte, mich weiter ähnlichen Experimenten zu unterziehen. Die leichtesten Todesarten waren die Erstickung, etwa das Ertrinken oder Strangulieren sowie Gasvergiftungen. Auch Morphium-, Opium-, Kokain- und Chloroformvergiftungen waren keineswegs schlimm.

Einmal ließ er mich, nachdem ich erstickt worden war, drei Monate lang im Kühlraum liegen, wobei ich weder erfrieren noch verwesen durfte. Dies geschah ohne mein Wissen, so daß ich einen gewaltigen Schreck bekam, als ich die Zeitdifferenz bemerkte. Ich bekam Angst vor dem, was er noch alles mit mir anstellen könnte, während ich tot war, und meine Furcht wurde durch die Vorliebe vergrößert, die er für die Vivisektion zu entwickeln begann. Nach meiner letzten Wiederauferstehung entdeckte ich, daß er sich an meinem Brustkorb zu schaffen gemacht hatte. Obwohl die Schnitte sorgfältig genäht und verbunden waren, mußte ich einige Zeit im Bett bleiben. In dieser Genesungszeit entwickelte ich meinen endgültigen Fluchtplan.

Ich heuchelte grenzenlose Begeisterung für die Arbeit, bat aber um Urlaub von den Experimenten. In dieser Zeit widmete ich mich der Laborarbeit, während sich mein Vater zu sehr in die Vivisektionen der vielen von den Schwarzen gefangenen Tiere vertiefte, um meine Arbeit beachten zu können.

Meine Theorie gründete ich auf die folgenden zwei Lehrsätze; erstens auf die Elektrolyse oder die Aufspaltung von Wasser in seine gasförmigen Bestandteile mittels Elektrizität, und zweitens auf die hypothetische Existenz ‘einer Kraft, die man als Umkehrung der Gravitation ansehen kann und die Astor „Apergie“ genannt hat. Die Erdanziehungskraft beispielsweise zieht Objekte zusammen, verbindet sie aber nicht. Daraus folgt, daß Apergie lediglich Abstoßung ist. Die Anziehungskraft zwischen den Atomen und Molekülen zieht diese nicht nur zusammen, sondern verbindet sie. Die Umkehrung davon, eine Zersetzungskraft, wollte ich nicht nur entdecken und erzeugen, ich wollte sie willkürlich steuern. Die Moleküle des Wasserstoffs und Sauerstoffs reagieren miteinander, spalten sich auf und formen neue Moleküle, in denen beide Elemente vertreten sind - sie bilden Wasser. Die Elektrolyse veranlaßt diese Moleküle, sich aufzuspalten und in ihren ursprünglichen Zustand zurückzukehren, wodurch die zwei Gase wieder getrennt vorliegen. Die Kraft, die ich suchte, sollte dies nicht nur mit zwei, sondern mit allen Elementen tun, unabhängig davon, in welchen Verbindungen sie auftreten würden. Könnte ich meinen Vater in die Reichweite dieser Kraft locken, wäre er augenblicklich zersetzt und als Masse isolierter Elemente in alle Winde verstreut.

Man darf nicht glauben, daß diese Kraft, die ich schließlich zu beherrschen lernte, Materie vernichtete; sie löste nur die Form auf. Schnell fand ich auch heraus, daß sie nicht auf anorganische Verbindungen wirkte. Aber für alle organischen Formen war sie absolut verhängnisvoll. Dies verwirrte mich zunächst, hätte ich mir allerdings die Zeit genommen, gründlicher nachzudenken, wäre mir die Sache klargeworden. Da die Zahl der Atome in organischen Molekülen viel größer ist als in den kompliziertesten anorganischen Molekülen, sind organische Verbindungen instabil und können leicht durch physikalische Kräfte oder chemische Reagenzien aufgespalten werden.

Ein Paar speziell für diesen Zweck konstruierte Magnete, von starken Batterien gespeist, sandten zwei gewaltige Strahlen aus. Für sich genommen, waren diese völlig harmlos. Sie erfüllten jedoch ihre Bestimmung, wenn sie sich in einem bestimmten Punkt im Räume kreuzten. Nach einer praktischen Demonstration ihrer Wirkung, bei der ich mich um ein Haar selbst ins Jenseits befördert hätte, legte ich meine Falle aus. Ich versteckte die Magnete so, daß ihre Strahlen den Eingang zu meiner Kammer in ein Todesfeld verwandelten. An meiner Couch befestigte ich einen Schalter, mit dem ich den Strom aus den Batterien zu den Magneten schicken konnte. Dann ging ich zu Bett.

Die Schwarzen bewachten noch immer meine Schlafräume, wobei sie sich um Mitternacht ablösten. Ich schaltete den Strom ein, als der erste Mann seinen Dienst übernahm. Kaum war ich eingenickt, da erwachte ich schon wieder von einem scharfen, metallischen Klang. Drüben, mitten auf der Schwelle, lag das Halsband von Dan, dem Bernhardiner meines Vaters. Mein Bewacher eilte herbei, um es aufzuheben. Er verschwand wie ein Windhauch, wobei seine Kleider auf dem Boden zu einem Haufen zusammenfielen. Die Luft roch ganz leicht nach Ozon, da aber die wesentlichen gasförmigen Bestandteile seines Körpers Wasserstoff, Sauerstoff und Stickstoff waren, allesamt färb- und geruchlos, gab es keinerlei weitere Anzeichen seines Verschwindens. Als ich jedoch den Strom abgeschaltet hatte und die Kleidungsstücke entfernte, fand ich ein Häufchen tierischer Holzkohle, dazu andere Pulver - die separierten festen Bestandteile seines Organismus wie Schwefel, Kalium und Eisen. Ich baute die Falle wieder auf und kroch zurück ins Bett. Um Mitternacht stand ich auf und beseitigte die Überreste des zweiten Schwarzen, dann schlief ich ruhig bis zum Morgen.