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Als der alte Mann nicht mehr essen konnte, seufzte er, wischte sich an den nackten Beinen die Hände ab und schaute aufs Meer hinaus. Mit einem vollen Magen gab er sich seinen Erinnerungen hin.

„Man sollte es nicht glauben! Ich habe diesen Strand an schönen Sonntagen bevölkert gesehen von Männern, Frauen und Kindern. Und es gab auch keine Bären, die sie auffressen konnten. Und genau hier oben auf dem Felsen war ein großes Restaurant, wo man alles essen konnte, was man nur wollte. Vier Millionen Menschen lebten damals in San Francisco. Jetzt sind es in der ganzen Stadt und in der Umgebung alles in allem nicht mal vierzig. Da draußen auf dem Meer konnte man noch und noch Schiffe sehen, die zum Golden Gate fuhren oder von dort kamen. Und Luftschiffe am Himmel - Ballons und Flugzeuge. Sie konnten zweihundert Meilen in der Stunde zurücklegen. Die Postverträge mit der New York und San Francisco Limited sahen das als Minimum vor. Es gab da einen Burschen, einen Franzosen, seinen Namen habe ich vergessen, der schaffte sogar dreihundert; aber die Sache war riskant, zu riskant für vorsichtige Leute. Aber er war auf dem richtigen Weg, und er hätte es auch hingekriegt, wäre nicht die Große Pest gewesen. Als ich ein Junge war, lebten noch Männer, die sich daran erinnerten, wie die ersten Flugzeuge aufkamen, und nun war ich nur auf der Welt, um die letzten Flugzeuge zu sehen, und das ist auch schon sechzig Jahre her.“

Der alte Mann plapperte weiter, ignoriert von den Jungen, die sich längst an seine Geschwätzigkeit gewöhnt hatten, und in deren Wortschatz außerdem der größte Teil der Worte, die Granser verwendete, fehlte. Es fiel auf, daß sein Englisch in diesen ausschweifenden Monologen wieder auflebte, was sich in einem besseren Satzbau und einer genaueren Ausdrucksweise äußerte. Wenn er aber direkt mit den Jungen sprach, verfiel er größtenteils in ihre ungeschliffenen und simpleren Sprachformen.

„Aber es gab in jenen Tagen nicht viele Krabben“, setzte der alte Mann seine Gedanken fort. „Sie wurden gefischt und waren eine große Delikatesse. Die Jagdzeit war auch nur einen Monat lang. Und jetzt kann man das ganze Jahr über Krabben haben. Stellt euch das vor - so viel Krabben fangen, wie man will und wann man will, und das in der Brandung des Cliff-House-Strandes!“

Ein plötzlicher Tumult unter den Ziegen brachte die Jungs auf die Beine. Die Hunde, die am Feuer lagen, beeilten sich, ihrem knurrenden Gefährten beizuspringen, der die Ziegen bewachte, während diese in wilder Flucht auf ihre menschlichen Beschützer zujagten. Ein halbes Dutzend Gestalten, schlank und grau, huschten auf den Sandhügeln dahin oder standen den Hunden gegenüber, deren Fell sich sträubte. Edwin schoß einen Pfeil ab, der jedoch sein Ziel verfehlte. Aber Hare-Lip schleuderte mit Hilfe einer Schlinge, so wie David sie gegen Goliath in den Kampf führte, einen Stein durch die Luft, der von der Geschwindigkeit seines Fluges pfiff. Er fiel mitten unter die Wölfe und brachte es zuwege, daß sie in die finsteren Tiefen des Eukalypthuswaldes davonschlichen.

Die Jungen lachten und legten sich wieder in den Sand, während Granser schwerfällig seufzte. Er hatte zuviel gegessen.

Die Hände über den Bauch gelegt und die Finger verschränkt, nahm er seine umherirrenden Gedanken wieder auf.

„Die vergänglichen Organismen zerfallen wie Schaum“, murmelte er - offensichtlich ein Zitat. „So ist es - Schaum, Vergänglichkeit. Alle Mühen, alle Plagen des Menschen auf diesem Planeten waren größtenteils Schaum. Er zähmte die nützlichen Tiere, vernichtete die schädlichen und räumte die wuchernde Vegetation aus dem Wege. Dann verging er, und die Woge des ursprünglichen Lebens rollte wieder zurück, schwemmte die Arbeit seiner Hände hinweg. Das Unkraut und der Wald überwucherten seine Felder, Raubtiere fielen über seine Herden her, und nun gibt es Wölfe am Strand von Cliff House.“ Dieser Gedanke machte ihn betroffen. „Wo vier Millionen Menschen einst ihr Vergnügen fanden und sich ergötzten, streifen heutzutage wilde Wölfe herum, und die unzivilisierte, unseren Lenden entsprungene Nachkommenschaft verteidigt sich mit prähistorischen Waffen gegen die mit Zähnen bewehrten Plünderer. Stellt euch das nur vor! Und alles wegen des Scharlachroten Todes.“

Das Adjektiv war an Hare-Lips Ohr gedrungen.

„Das sagt er immerzu“, wandte er sich an Edwin. “Was ist scharlachrot?“

„Das Scharlachrot des Feldahorns kann mich ebenso erschüttern wie der Ruf der vorüberziehenden Jagdhörner“, zitierte der alte Mann.

„Eis ist einfach rot“, beantwortete Edwin die Frage.

„Und ihr wißt es nicht, denn ihr gehört zum Chauffeurstamm. Die wußten nie etwas, keiner von ihnen. Scharlachrot ist rot -ich weiß es.“

„Rot ist rot, oder etwa nicht?“ nörgelte Hare-Lip. „Wozu soll denn das taugen, sich so affig zu haben und dazu scharlachrot zu sagen? Granser, warum sagst du immer so viel, was niemand kennt?“ fragte er. „Scharlachrot is überhaupt nichts, aber rot is rot. Warum sagst du dann nicht rot?“

„Rot ist nicht das richtige Wort“, kam die Antwort. „Die Pest war scharlachfarben. Das ganze Gesicht und der Körper verfärbten sich innerhalb einer Stunde scharlachrot. Ich muß es doch wohl wissen! Habe ich es nicht zur Genüge gesehen? Und ich sage euch, daß es scharlachrot war. eben weil es scharlachrot war. Es gibt kein anderes Wort dafür.“

„Für mich is rot gut genug“, murrte Hare-Lip starrsinnig. „Mein Vater sagt zu rot rot, und er muß es wissen. Er sagt, alle sind an dem Roten Tod gestorben.“

„Dein Vater ist ein ganz ordinärer Bursche, und er stammt von genauso einem ordinären Kerl ab“, entgegnete Granser aufgebracht. „Kenne ich etwa nicht die Anfänge der Chauffeurs? Dein Großvater war ein Chauffeur, ein Diener, und ohne jede Bildung. Er arbeitete für andere Leute. Aber deine Großmutter war von vornehmer Herkunft, nur kamen die Kinder leider nicht nach ihr. Erinnere ich mich etwa nicht daran, wie ich sie das erstemal beim Fischen am Lake Temescal getroffen habe?“

„Was ist Bildung?“ fragte Edwin.

„Das is, wenn man zu rot scharlachrot sagt“, höhnte Hare-Lip, dann fuhr er fort, Granser zu attackieren. „Mein Dad hat mir erzählt - und er hat’s von seinem Dad, ehe der abkratzte -i, daß deine Frau ‘ne Santa Rosa war, und daß die nicht gerade ‘n Treffer war. Er sagte, die war vorm Roten Tod ‘ne Hascheemamsell, wenn ich auch nicht weiß, was ‘ne Hascheemamsell is. Kannst mir’s ja sagen, Edwin.“

Aber Edwin gab mit einem Kopfschütteln zu verstehen, daß er es nicht wußte.

„Es stimmt, sie war eine Kellnerin“, bestätigte Granser.

„Aber sie war eine gute Frau, und deine Mutter war ihre Tochter. Frauen waren mächtig rar in der Zeit nach der Pest. Sie war die einzige Frau, die ich finden konnte, auch wenn sie eine Hascheemamsell war, wie dein Vater es nennt. Aber es ist nicht anständig, so von unseren Erzeugern zu reden.“

„Dad sagt, daß die Frau vom ersten Chauffeur ‘ne Lady war.“

„Was is ‘ne Lady?“ wollte Hoo-Hoo wissen.

„‘ne Lady is ‘ne Chauffeursquaw“, war die flinke Antwort Hare-Lips.

„Der erste der Chauffeurs war Bill, ein ordinärer Bursche, wie ich schon sagte“, erläuterte der Alte. „Seine Frau aber war eine vollendete Lady. Vor dem Scharlachroten Tod war sie die Frau van Wardens. Er war der Präsident des Rates der Industriemagnaten, und er war einer des Dutzends Männer, die Amerika regierten. Er war eine Billion schwer - achthundert Millionen Dollar, Münzen wie du sie in deinem Beutel hast, Edwin. Dann kam der Scharlachrote Tod, und seine Frau wurde die Frau von Bill, dem ersten der Chauffeurs. Er schlug sie. Ich habe das selbst mit angesehen.“