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Ich war ein junger Mann, als die Pest kam, siebenundzwanzig Jahre alt. Ich lebte auf der anderen Seite der San Francisco Bay, in Berkeley. Du erinnerst dich doch noch an diese großen Steinhäuser, Edwin, als wir von Contra Costa die Berge herunterkamen? Dort habe ich gelebt, in diesen Steinhäusern. Ich war Professor für englische Literatur.“

Vieles davon war zu anspruchsvoll für den Verstand der Jungen, aber sie mühten sich, diese Geschichte aus der Vergangenheit - wenn auch nur schemenhaft - zu erfassen.

„Zu was waren denn die Steinhäuser da?“ erkundigte sich Hare-Lip.

„Erinnerst du dich daran, als dein Dad dich das Schwimmen lehrte?“ Der Junge nickte. „Nun, in der University of California, das ist der Name, den wir den Häusern gegeben hatten, lehrten wir die jungen Männer und Frauen denken, gerade wie ich euch eben mit Hilfe von Sand und Kieselsteinen beigebracht habe zu erkennen, wie viele Menschen damals lebten. Die jungen Männer und Frauen, die wir unterrichteten, nannte man Studenten. Wir hatten große Räume, in denen wir unterrichteten. Ich sprach zu ihnen - vierzig oder fünfzig insgesamt - , so wie ich jetzt zu euch spreche. Ich erzählte ihnen von Büchern, die andere Männer vor unserer Zeit geschrieben hatten, manchmal auch in unserer Zeit.“

„War das alles, was du gemacht hast? Bloß reden, reden, reden?“ wollte Hoo-Hoo wissen. „Wer hat denn für euch gejagt und die Ziegen gemolken und Fische gefangen?“

„Eine kluge Frage, Hoo-Hoo, eine kluge Frage. Wie ich euch schon sagte, war in jener Zeit die Nahrungsmittelbeschaffung einfach. Wir wußten sehr viel. Einige wenige Menschen sorgten für die Nahrung vieler Menschen. Die übrigen taten andere Dinge. Wie du schon sagst, ich redete. Ich redete die ganze Zeit, und dafür erhielt ich Essen - viel Essen, gutes Essen, wunderbares Essen, wie ich es sechzig Jahre nicht geschmeckt habe und niemals wieder essen werde. Manchmal denke ich, die wundervollste Errungenschaft unserer ungeheuren Zivilisation war das Essen, sein unvorstellbarer Überfluß, seine unbegrenzte Vielfalt, seine unglaubliche Köstlichkeit. meine Enkelsöhne, das Leben war noch Leben in jener Zeit, als wir solche wundervollen Sachen zu essen hatten.“

Das ging über die Vorstellungskraft der Jungen hinaus, und sie nahmen die Worte und Gedanken als senile Abschweifungen von der Erzählung.

„Unsere Nahrungsmittelbeschaffer nannten wir Freimänner. Das war ein Witz. Wir von der herrschenden Klasse besaßen das gesamte Land, alle Maschinen, einfach alles. Diese Nahrungsbeschaffer waren unsere Sklaven. Wir nahmen fast das gesamte Essen, das sie besorgten, und ließen ihnen nur wenig, damit sie arbeiten konnten - und mehr Nahrung für uns beschaffen.“

„Ich wäre in den Wald gegangen und hätte mir selbst etwas zu essen geholt“, verkündete Hare-Lip. „Wenn dann irgend jemand versucht hätte, mir das wegzunehmen, hätte ich ihn kalt gemacht.“ Der alte Mann lachte.

„Habe ich euch nicht gesagt, daß als herrschende Klasse uns das ganze Land gehörte, der Wald, einfach alles? Einen Nahrungsbeschaffer, der uns nicht mit Speisen versorgt hätte, den hätten wir bestraft und gezwungen, sich zu Tode zu hungern. Nur sehr wenige ließen es darauf ankommen. Sie zogen es vor, uns Nahrung zu bringen, uns Kleidung anzufertigen und uns tausend - eine Muschelschale, Hoo-Hoo - , tausend Freuden und Behaglichkeiten zu bereiten. Ich war damals Professor Smith - Professor James Howard Smith. Meine Vorlesungsreihen waren sehr beliebt, das heißt, daß sehr viele von den jungen Männern und Frauen mir gern zuhörten, wenn ich über die Bücher sprach, die andere Menschen geschrieben hatten.

Ich war sehr glücklich, und ich hatte herrliche Leckerbissen zu essen. Meine Hände waren weich, weil ich mit ihnen keine schweren Arbeiten verrichtete, und mein Körper war ganz und gar sauber, und ich war mit den feinsten Sachen bekleidet.“ Mit Ekel musterte er sein schäbiges Ziegenfell. „So etwas haben wir nicht getragen. Selbst die Sklaven hatten bessere Kleidung. Und wir waren äußerst sauber. Wir wuschen unser Gesicht und unsere Hände mehrmals am Tag. Ihr Jungs wascht euch niemals, es sei denn, ihr fallt ins Wasser oder geht schwimmen.“

„Du wäschst dich ja auch nicht, Granser“, gab Hoo-Hoo zurück.

„Ich weiß, ich weiß, ich bin ein verdreckter alter Mann. Aber die Zeiten haben sich geändert. Niemand wäscht sich heutzutage, und es gibt keine Bequemlichkeiten. Es ist sechzig Jahre her, daß ich ein Stück Seife zu Gesicht bekommen habe. Ihr wißt gar nicht, was Seife ist, und ich sag’s euch auch nicht, denn ich erzähle jetzt die Geschichte des Scharlachroten Todes. Ihr wißt, was Übelkeit ist. Wir nannten es Krankheit. Sehr viele dieser Krankheiten entstanden durch die sogenannten Bazillen. Merkt euch das Wort - Bazillen. Ein Bazillus ist ganz winzig. Er ist wie eine Zecke, so wie ihr sie im Frühjahr auf den Hunden finden könnt, wenn sie in den Wald laufen. Nur ist ein Bazillus eben sehr klein. Er ist so klein, daß ihr ihn nicht einmal sehen könnt.“

Hoo-Hoo begann zu lachen.

„Du bist komisch, Granser, redest über Sachen, die du nicht sehen kannst. Wie kannst du denn etwas kennen, was du nicht sehen kannst?“

„Eine gute Frage, eine sehr gute Frage, Hoo-Hoo. Aber wir konnten sie sehen, einige zumindest. Wir hatten Geräte, die nannten wir Mikroskope und Ultramikroskope, und die hielten wir uns ans Auge und sahen so die Dinge größer, als sie in Wirklichkeit waren, und vieles hätten wir ohne die Mikroskope überhaupt nicht entdecken können. Unsere besten Ultramikroskope konnten einen Bazillus vierzigtausendfach vergrößern. Eine Muschelschale steht für tausend Finger. Nehmt vierzig Muschelschalen, und so viele Male größer war dann der Bazillus, wenn wir ihn durch das Mikroskop betrachteten. Und dann hatten wir noch weitere Möglichkeiten, indem wir laufende Bilder - so nannten wir’s - einsetzten. Damit konnten wir den vierzigtausendfach vergrößerten Bazillus noch viele, viele tausend Male größer machen. Auf diese Weise sahen wir all die Dinge, die unser bloßes Auge nicht wahrnehmen konnte. Nehmt ein Sandkorn und spaltet es in zehn Teile. Nehmt ein Teil davon und spaltet es noch mal in zehn Teile. Zerlegt dann eins von diesen Teilen wieder in zehn andere und dann das gleiche noch mal und noch mal und noch mal und tut das den ganzen Tag, und bei Sonnenuntergang werdet ihr dann so ein winziges Stück haben, daß es der Größe eines Bazillus entspricht.“

Es war offenkundig, daß die Jungen das nicht glaubten. Hare-Lip rümpfte verächtlich die Nase und grinste höhnisch, und Hoo-Hoo kicherte, bis Edwin ihnen durch einen Rippenstoß zu verstehen gab, sie sollten still sein.

„Die Zecke saugt das Blut des Hundes, aber der Bazillus geht, weil er so klein ist, direkt ins Blut, und dort vermehrt er sich. Damals befanden sich etwa eine Milliarde - eine Krabbenschale bitte mal - , etwa so viele wie diese Krabbenschale hier im Körper eines Menschen. Wir nannten die Bazillen auch Mikroorganismen. Wenn sich einige Millionen oder eine Milliarde davon in einem Menschen fanden, war er krank. Diese Bazillen waren eine Krankheit. Es gab viele verschiedene Arten von ihnen - mehr Arten als Sandkörner an diesem Strand. Uns waren nur einige der Arten bekannt. Die Welt der Mikroorganismen war eine unsichtbare Welt, eine Welt, die wir nicht sehen konnten und über die wir sehr wenig wußten. Aber einiges war uns immerhin bekannt. Es gab den Bazillus anthracis; dann war da der Micrococcus, weiterhin gab es das Bacterium termo und das Bacterium lactis - das sind die Bakterien, die die Ziegenmilch sauer werden lassen, sogar jetzt noch, Hare-Lip; und es gab unzählige Schizomyceten und viele andere Sorten.“