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Als ich zu Hause ankam, schrie meine Haushälterin auf, als ich das Grundstück betrat, und flüchtete vor mir. Als ich klingelte, stellte ich fest, daß das Hausmädchen ebenfalls davongelaufen war. Ich sah mich im Haus um. In der Küche fand ich die Köchin im Aufbruch. Sie schrie ebenfalls auf, und in ihrer Hast ließ sie eine Tasche mit ihren persönlichen Sachen fallen und rannte aus dem Haus und über das Grundstück, immer noch schreiend. Bis heute höre ich sie schreien. Wißt ihr, wir führten uns nicht in so einer Weise auf, wenn uns gewöhnliche Krankheiten heimsuchten. Wir waren immer ganz ruhig bei solchen Sachen und schickten nach Ärzten oder Schwestern, die wußten, was zu tun war. Aber jetzt war es anders. Die Pest schlug so überraschend zu und tötete so schnell, und jeder Schlag traf. Wenn der scharlachrote Hautausschlag auf dem Gesicht eines Menschen erschien, war diese Person vom Tode gezeichnet. Es war kein Fall bekannt, wo jemand wieder gesundet wäre.

Ich war ganz allein in meinem großen Haus. Wie ich euch schon oft erzählt habe, konnten wir durch die Luft miteinander reden. Das Telefon klingelte, und mein Bruder sprach zu mir. Er sagte, er würde nicht nach Hause kommen, denn er habe Angst, sich bei mir die Pest zu holen, und er sagte auch, er habe unsere beiden Schwestern zu Professor Bacon gebracht, damit sie bei ihm im Hause blieben. Er riet mir, dort auszuharren, wo ich war, und abzuwarten, ob ich die Pest hatte oder nicht.

Ich stimmte allem zu, blieb in meinem Haus und versuchte zum erstenmal in meinem Leben zu kochen. Und die Pest kam bei mir nicht zum Vorschein. Mit Hilfe des Telefons konnte ich reden, mit wem ich wollte, und so alle Neuigkeiten erfahren. Es gab auch noch die Zeitungen, und ich bestellte sie alle, so daß ich wußte, was in anderen Teilen der Welt geschah. Ich ließ sie mir vor die Tür werfen.

In New York City und Chicago herrschte das Chaos. Und was sich dort abspielte, geschah in allen großen Städten. Ein Drittel der New-Yorker Polizeibeamten war tot. Der Polizeichef war ebenfalls tot, auch der Bürgermeister.

Gesetz und Ordnung hatten aufgehört zu existieren. Die Leichen lagen auf den Straßen und wurden nicht bestattet. Alle Bahnlinien und Fahrzeuge, die Lebensmittel und dergleichen in die große Stadt beförderten, hatten den Verkehr eingestellt, und Gruppen hungrigen, armen Gesindels plünderten Läden und Warenhäuser. Überall gab es Mord, Diebstahl und Trunkenheit. Schon waren die Menschen zu Millionen aus der Stadt geflohen - zuerst die Reichen in ihren Privatfahrzeugen und Luftschiffen und danach die große Masse der Bevölkerung - zu Fuß, die Pest mit sich tragend. Sie waren am Verhungern und raubten die Farmer aus und alle Städte und Dörfer, die am Wege lagen.

Der Mann, der diese Nachrichten sendete, ein Funker, war mit seinem Funkgerät allein im Dachgeschoß eines hohen Gebäudes. Die Menschen, die in der Stadt blieben - er schätzte ihre Anzahl auf ein paar Hunderttausend - hatten vor Angst und vom vielen Trinken den Verstand verloren. Um ihn herum tobten verheerende Feuer. Er war ein Held, dieser Mann, der bis zuletzt auf seinem Posten blieb - ein unbekannter Zeitungsmann höchstwahrscheinlich.

Seit vierundzwanzig Stunden, so sagte er, sei kein transatlantisches Luftschiff angekommen, und es kämen auch keine Nachrichten mehr aus England. Er berichtete jedoch, daß eine Meldung aus Berlin - das ist in Deutschland - verkündete, daß Hoffmeyer, ein Bakteriologe der Metschnikow-Schule, ein Serum gegen die Pest entdeckt habe. Das war bis zum heutigen Tag die letzte Nachricht, die wir hier in Amerika aus Europa erhielten. Wenn Hoffmeyer das Serum wirklich entdeckt hatte, dann war es bereits zu spät, denn sonst wären schon lange vorher Forscher von Europa gekommen, um nach uns zu sehen. Wir können nur schlußfolgern, daß das, was in Amerika geschehen ist, sich auch in Europa zutrug, und daß im günstigsten Fall einige Dutzend auf dem gesamten Kontinent die Scharlachrote Pest überlebt haben.

Es währte nur noch einen Tag, daß Nachrichten aus New York eintrafen, dann hörte auch das auf. Der Mann, der sie gesendet hatte und oben in seinem hohen Gebäude saß, war entweder an der Pest gestorben oder war in der großen Feuersbrunst, die, wie er es beschrieben hatte, um ihn herum wütete, umgekommen. Und was in New York vorging, vollzog sich haargenau so in allen anderen Städten. Es war das gleiche in San Francisco und Oakland und Berkeley. Bereits Donnerstag starben die Menschen so schnell, daß man der Leichen nicht Herr wurde und überall Tote herumlagen. Donnerstag nacht dann begann der panische Massensturm hinaus auf das Land. Stellt euch das vor, meine Enkel, Menschenmassen, gedrängter als die Lachsschwärme, die ihr im Sommer im Sacramento gesehen habt, ergießen sich wie von Sinnen zu Millionen aus den Städten hinaus aufs Land in dem vergeblichen Versuch, dem allgegenwärtigen Tod zu entkommen. Versteht ihr, sie trugen ja die Bazillen mit sich. Selbst die Luftschiffe der Reichen, die zu Berg- und Wüstenfestungen hin flohen, beförderten sie.

Hunderte von diesen Luftschiffen entkamen nach Hawaii, und sie brachten nicht nur die Pest mit sich, nein, sie mußten feststellen, daß die Pest bereits vor ihnen da war. Das erfuhren wir durch die Funkmeldungen, bis sich dann jegliche Ordnung in San Francisco auflöste und keine Funker mehr auf ihren Posten waren, um zu empfangen oder zu senden. Das war ganz erstaunlich, ganz verblüffend, dieser Verlust an Kommunikation mit der Welt. Es war ganz so, als habe die Welt aufgehört zu bestehen, als sei sie ausgelöscht worden. Sechzig Jahre lang hat diese Welt nicht mehr für mich existiert. Ich weiß, daß es solche Orte wie New York, Kontinente wie Europa, Asien, Afrika geben muß. Aber man hat kein Wort von ihnen gehört -sechzig Jahre nicht. Mit dem Erscheinen des Scharlachroten Todes zerfiel die Welt, endgültig und unwiderruflich. Zehntausend Jahre Kultur und Zivilisation vergingen mit der Schnelligkeit eines Augenzwinkerns, sie verfielen wie Schaum’.

Ich habe von den Luftschiffen der Reichen erzählt. Sie führten die Pest mit sich, und egal, wohin sie flüchteten, sie starben. Ich bin nur einem Überlebenden von ihnen allen begegnet - Mungerson. Er war dann später in Santa Rosa, und er heiratete meine älteste Tochter. Er stieß acht Jahre nach der Pest zu unserer Sippe. Er war damals neunzehn Jahre alt, und er war gezwungen, zwölf weitere Jahre zu warten, ehe er heiraten konnte. Wißt ihr, es gab keine unverheirateten Frauen, und einige der älteren Töchter der Santa Rosas waren bereits jemandem versprochen. So mußte er also warten, bis meine Mary sechzehn Jahre alt war. Es war sein Sohn, Gimp-Leg[1], der letztes Jahr von einem Berglöwen getötet wurde.

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Hinkebein